75 % der EU-Bevölkerung leben in Staaten, die nicht mehr Teil der Energiecharta sind.
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In ihrem Gastbeitrag argumentieren die Juristinnen Christina Eckes, Lea Main-Klingst und Lukas Schaugg, warum eine Überarbeitung des Energiecharta Vertrags schlechter als ein Ausstieg wäre.

Der Vertrag über die Energiecharta (ECT) ist ein internationales Abkommen aus den 1990er-Jahren, dem auch die EU und ihre Mitgliedsstaaten angehören. Er ermöglicht es Energieinvestoren, vor internationalen Schiedsgerichten Entschädigungen einzuklagen, wenn sich politische Maßnahmen oder Gesetze nachteilig auf ihre Profite auswirken. Das gilt selbst dann, wenn diese dem legitimen Schutz von Umwelt und Klima dienen. Klagen betreffen etwa den Ausstieg aus Kohle oder die Einschränkung von Offshore-Bohrungen oder Fracking. So sagte etwa ein Schiedsgericht dem britischen Unternehmen Rockhopper eine Entschädigung von 190 Millionen Euro zu, weil Italien aus ökologischen Gründen die Erschließung weiterer Ölfelder in Küstennähe untersagt hatte.

Der ECT steht damit im doppelten Widerspruch zur Klimakrise: Zum einen schützt er klimaschädliche Investitionen in fossile Energien, zum anderen bremst er Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz. Denn schon allein die Androhung astronomischer Entschädigungszahlungen wirkt abschreckend.

Reform vergrößert Problem

Seit 2017 wurde daher versucht, den ECT zu "reformieren". Diese Überarbeitung verbessert zwar einige Punkte, andere aber verschlechtert sie. Positiv, aber ungenügend ist ein "flexibler Mechanismus", mit dem Staaten den Schutz fossiler Investitionen aufheben können, aber nicht müssen. In sehr vielen Vertragsstaaten bleibt dieser erhalten.

Negativ ist die Erweiterung des Investitionsschutzes auf umstrittene neue Energiequellen wie etwa Biomasse oder Biotreibstoffe. Die neu eingeführte Klausel zum Recht eines Staates, regulierend einzugreifen, dürfte das Risiko von Klagen nicht wesentlich verringern. Erst kürzlich wurden Umweltausnahmen in einem Verfahren eines Rohstoffkonzerns gegen Kolumbien als praktisch irrelevant eingestuft. Damit bleibt der Vertrag unvereinbar mit dem Pariser Klimaabkommen.

Fehlende Mehrheit

Seit Oktober 2022 haben daher sieben EU-Staaten – Deutschland, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Polen, Slowenien und Spanien – beschlossen, aus dem ECT auszutreten. Gemeinsam mit dem bereits 2016 ausgestiegenen Italien repräsentieren sie etwa 75 Prozent der EU-Bevölkerung. Im EU-Rat verfehlte die ECT-Reform zudem die notwendige Mehrheit. Am 24. November 2022 forderte auch das EU-Parlament einen koordinierten Ausstieg der EU. Damit ist klar: Die ungenügende und teilweise klimaschädliche Überarbeitung des ECT ist politisch keine Option mehr.

Ein einseitiger Austritt aus dem ECT löst an sich die Fortgeltungsklausel ("sunset clause") aus, welche bestehende Investitionen für weitere 20 Jahre abdeckt. Diese Klausel ist jedoch nicht zwischen den EU-Staaten anwendbar. Dies hat auch die EU-Kommission in ihrem Entwurf eines EU-Abkommens klargestellt. Außerdem steht es allen zurücktretenden Staaten (auch außerhalb der EU) frei, die Klausel unter sich zu "neutralisieren", da dies die Rechte von Drittstaaten nicht beeinträchtigt. Gültig bliebe sie nur für im Vertrag verbleibende Staaten und deren Investoren sowie für Investoren aus zurückgetretenen Staaten in verbleibenden Staaten.

Koordinierter Rücktritt

Wie geht es nun weiter? Der ECT fällt als gemischtes Abkommen sowohl in die Zuständigkeit der EU (ausländische Direktinvestitionen) als auch in jene der Mitgliedsstaaten (Investitionsschiedsgerichtsbarkeit). Sollte die EU austreten, können einzelne Mitgliedsstaaten daher nicht Vertragsparteien im ECT bleiben. Die EU müsste dies in einem eigenen Ratsbeschluss autorisieren. Da der überarbeitete ECT jedoch gegen die EU-Klimaschutzziele und der alte ECT zusätzlich gegen EU-Recht verstößt, ist dies kein rechtlich vertretbares Szenario.

Trotz all dieser Probleme scheinen einige EU-Staaten, darunter auch Österreich, noch immer nicht zum Austritt aus dem ECT bereit. Im Sinne des Klimaschutzes ist es dafür höchste Zeit. Nur ein koordinierter Rücktritt der EU und der EU-Mitgliedsstaaten kann bessere Voraussetzungen für dringend nötige Klimaschutzmaßnahmen schaffen. (Christina Eckes, Lea Main-Klingst, Lukas Schaugg, 24.1.2023)