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Leukämieblutzellen unter dem Mikroskop. Trotz intensiver Behandlung verläuft die akute myeloische Leukämie bei einem Viertel der Betroffenen tödlich.
Foto: Gilbert Novy, Science Photo Library / picturedesk.com

Schon bei der Diagnose wissen, wie sich Krebszellen in zwei Jahren verhalten werden und welche Behandlung anschlägt? Was nach dem Blick in die Kristallkugel klingt, ist das Ziel eines aktuellen Forschungsprojekts der St.-Anna-Kinderkrebsforschung. In Tests mit eingefrorenen Knochenmarksproben früherer Leukämiepatienten gelingt das bereits. "Wir können am Tag der Diagnose mit 87-prozentiger Sicherheit vorhersagen, wie gut ein Patient auf eine bestimmte Therapie ansprechen wird", sagt Kaan Boztug, wissenschaftlicher Direktor der St.-Anna-Kinderkrebsforschung.

Dieses Wissen soll nun genutzt werden, um für jedes Kind eine maßgeschneiderte Behandlung empfehlen zu können. Denn die zweithäufigste Leukämieform bei Kindern, die akute myeloische Leukämie (AML), verläuft trotz intensiver Behandlung bei rund einem Viertel der Betroffenen immer noch tödlich. Zwar betrifft die AML meist Erwachsene in höherem Alter, doch auch Kinder können daran erkranken. In Österreich betrifft das zwischen zwölf und 15 Kinder pro Jahr. "Es gibt sehr viele Ausprägungsformen dieser Leukämie, sodass wir auch viele unterschiedliche Therapien brauchen", erklärt Boztug. Über etablierte Therapien hinaus könnten viele neue Krebsmedikamente auch bei von AML betroffenen Kindern wirksam sein.

Erste Anwendung bei Kindern

"Wir haben uns angeschaut: Welche Möglichkeiten haben diese Patienten? Welche Medikamente gibt es, die bereits für diese oder andere Krankheiten zugelassen sind oder in Studien untersucht werden?", erklärt der beteiligte Michael Dworzak, Forschungsgruppenleiter an der St.-Anna-Kinderkrebsforschung. Dabei sei man auf 108 Medikamente gekommen, die nun an Krebszellen von 45 früheren Patienten getestet werden. Ermöglicht wird dies durch eine Methode namens Pharmakoskopie, die am Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften etabliert wurde. In nun verfeinerter Form wird sie erstmals bei Kindern eingesetzt. Mit dieser Methode sehen die Forschenden im Labor, wie sich die Krebszellen Erkrankter verhalten, wenn sie mit bestimmten Medikamenten in Kontakt kommen.

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Behälter mit Leukämiezellen.
Foto: Gilbert Novy, Science Photo Library / picturedesk.com

"Im Mikroskop zeigt sich, wie gut eine Therapie Krebszellen tötet", erklärt Dworzak. Zu sehen sei auch, wie das gesunde Gewebe, das bestmöglich geschont werden soll, reagiert. Das mikroskopische Bild wird mithilfe künstlicher Intelligenz in Information umgerechnet. Neben der Medikamententestung analysieren die Forscher auch Informationen über das Erbgut der Zellen, etwa Mutationen, oder ihren Stoffwechsel. Alle Daten werden mittels maschinellen Lernens verarbeitet, sodass für jeden Patienten ein eigenes (Rückfall-) Risikoprofil entsteht.

Puzzleteil der Behandlung

Das derzeitige Forschungsprojekt soll so bald wie möglich Kindern zugutekommen. "Wir sind froh, dass wir diese Technologie entwickeln konnten, um in der Zukunft hoffentlich auch die sehr schwer zu behandelnden Leukämieformen noch besser charakterisieren zu können", sagt Projektpartner Giulio Superti-Furga, wissenschaftlicher Direktor des CeMM. Erste Lichtblicke gibt es bereits: Wenn ein Kind zum Beispiel einen Rückfall habe und keine etablierte Therapie zur Verfügung stehe, dann helfe das Risikoprofil. "Wir wissen vielleicht, dass ein bestimmtes Medikament laut Testung der Patientenzellen im Labor wirksam ist. Läuft zeitgleich eine klinische Studie mit besagtem Medikament, dann könnte das Kind dieses Medikament in der Studie erhalten", erklärt Dworzak. Ermöglicht wurde das Forschungsprojekt durch eine Förderung des Wissenschaftsfonds FWF.

Das Projekt liefere aber nur einen weiteren Puzzlestein neben vielen anderen Faktoren, die bei der Therapiewahl zu beachten seien. "Unsere Vision ist, diese Daten in ein molekulares Tumorboard einfließen zu lassen", sagt Boztug. "Also eine Art Expertenrat zu jedem Patienten, in dem das Ergebnis unserer modernen Medikamententestung genauso Beachtung findet wie die Tumorgenetik oder CT- und MRT-Bilder."

Kaan Boztug, wissenschaftlicher Direktor der St.-Anna-Kinderkrebsforschung. forscht intensiv zu Leukämie.
Foto: Ian Ehm

Hoffnung bei anderen Krebsarten

Menschen, die mit anderen Tumorarten zu kämpfen haben, sollen in Zukunft ebenfalls von dem Forschungsansatz profitieren. Die Erkenntnisse sollen auch Therapien für andere Krebsformen bei Kindern verbessern. Besonders für die, bei denen bisherige Standardtherapien keine Heilung ermöglichen, gilt die individuelle Abstimmung der Behandlung als große Chance. Warum Boztug gerade bei der Leukämie begonnen hat? "Forschung ist dazu da, Sachen zu machen, die man noch nicht machen kann, für die es aber Innovationsbedarf gibt. Und die akute myeloische Leukämie bei Kindern hat leider immer noch eine relativ schlechte Prognose", erklärt er. Als internationales Kompetenzzentrum habe man zudem viele Daten für die Forschung zur Verfügung.

Bei der Fülle an Daten, die nun ausgewertet werden, erhoffen sich die Forschenden, die Biologie der Krebszellen noch genauer zu verstehen als bisher. Es soll nicht nur die Achillesferse der jeweiligen Krebszelle gefunden, sondern auch ihre Entwicklung vorhergesagt werden. "Ich kann Ihnen nicht sagen, was wir noch alles herausfinden werden, aber wir werden Muster erkennen, die uns weiterhelfen. Da bin ich mir sicher", schließt Boztug. (Veronika Sperl, 28.1.2023)