Es gibt zu tun: Der Schweizer Milo Rau, der als politischer Theatermacher gilt, will in Wien bei den Festwochen eine Art Welttheater für die Stadt entwickeln.

Zum Geburtstag bekam Milo Rau eine Sachertorte, die seine Stimmung vielleicht noch zusätzlich hob. Bei seiner Präsentation als neuer, gut gelaunter Intendant der Wiener Festwochen, der am Mittwoch seinen 46. Geburtstag gefeiert hatte, hob er im Wiener Rathaus jedenfalls erheitert die klassisch verpackte Mehlspeise in die Höhe – wie auch ein Buch über Karl Kraus. Ob die Leckerei seine Programmierung beeinflussen würde, blieb offen. Gleichwohl vermittelte der Schweizer Theatermacher in allgemeiner Form sein Kunstverständnis. "Ich will ein großes mythisches Theaterfest machen", sagte der Nachfolger von Christophe Slagmuylder.

Zudem bekundete Rau, keine Abneigung gegen bekannte Namen zu hegen, und erwähnte den russischen Regisseur Kirill Serebrennikow oder Literatin Elfriede Jelinek. Die Festwochen? Sie sollen "gemeinsam mit allen" entstehen und "für alle" da sein, als "vielstimmiges, diverses, leidenschaftliches und kämpferisches Welttheater, als Fest für Wien und die Welt", sagte Rau, der seinen Stil in den Begriff "globaler Realismus" fasste.

Da blieben nur noch zwei

So wie er ein Genter Manifest erarbeitet hat, will Rau auch eines für Wien erstellen. Was brauche die Stadt, was braucht das Festival, was braucht aber auch Europa? Das würde seine Planungen prägen. Im Fokus stehe für ihn das internationale Sprechtheater, mit "Crossovers" in andere Sparten wie Musiktheater oder Ausstellungen, sagt Rau, dessen frühere Arbeiten wie Reflexe auf aktuelle Ereignisse wirken. Zu denken ist an Hate Radio, das sich mit dem Völkermord in Ruanda befasste, oder an Five Easy Pieces, das um den Kindermörder Marc Dutroux kreiste.

Am Ende der Suche nach einer Intendanz, so Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ), waren von den sechs Kandidaten und Kandidatinnen nach den Hearings noch zwei im Finale gelandet. Und Rau, der Auserwählte, dachte nach der Wahl: Es passe eigentlich, die Wiener Festwochen seien irgendwie längst ohnedies sein Arbeitgeber. Schließlich sind einige seiner künftigen Regiearbeiten bereits zuvor als Festwochen-Koproduktionen geplant worden.

Dies hat Noch-Intendant Slagmuylder in die Wege geleitet, der entschied, seinen Vertrag vorzeitig zu beenden und nach dem heurigen Festival an das Kulturzentrum Bozar in seiner Heimatstadt Brüssel zu wechseln. Konkret wird eine am Amazonas spielende Antigone als Koproduktion mit dem Burgtheater gezeigt werden, in der die indigene Aktivistin Kay Sara mitspielt.

Einige Koproduktionen

Milo Raus Hintergrund? Der am 25. Jänner 1977 in Bern geborene Regisseur, studierte Soziologie, Germanistik und Romanistik in Paris, Zürich und auch in Berlin. Er ist ein Erfahrener: Seit 2002 entstanden über 50 Theaterproduktionen, Filme, Bücher und Aktionen. Seit der Saison 2018/19 ist er Intendant des NT Gent. Dass sich diese Tätigkeit mit der neuen Wiener Aufgabe vereinbaren ließe, verneint Rau. Am Beispiel des Regisseurs und Intendanten Johan Simons habe er gesehen, dass eine solche Doppelbelastung nicht erstrebenswert sei. Simons habe in Gent gearbeitet und dazu noch die deutsche Ruhrtriennale betreut.

Rau wird in Gent daher die aktuelle Saison vollenden, mit Juli aber aussteigen. Dass er Gent noch einige Zeit verbunden bleiben wird, hinge – wie erwähnt – damit zusammen, dass seine dortigen Produktionen "ohnedies Koproduktionen der Wiener Festwochen sind".

Mehr Publikum

Konkrete Zielvorgaben, die Milo Rau erfüllen müsse, wurden bei der Präsentation im Wiener Rathaus nicht genannt. Zweifellos aber, so betonte die Kulturstadträtin, wird es nötig sein, mehr Publikum zu generieren. "Dass wir eine Steigerung wollen, ist klar. Es geht um das Erreichen einer breiten Öffentlichkeit, eine Gegenstrategie gegen Long Covid in diesem Bereich." Die Festwochen hätten allerdings das Problem, dass das Theater an der Wien derzeit renoviert wird und nicht als Spielstätte zur Verfügung steht.

Raus erste Saison, also jene 2024, wird gewissermaßen auch eine des Übergangs sein. Rau ist darüber allerdings keinesfalls unglücklich. Einige der Pläne von Slagmuylder werde er übernehmen. "Christoph ist ein wunderbarer Kurator und hat einige tolle Produktionen geplant", sagt Rau. "Ich dachte: Wow, woher wusste er, was ich einladen würde? Das ist etwas, was mich beruhigt. Aber es bleiben große Baustellen." Um diese nicht näher benannten Probleme zu beheben, hat Rau zunächst fünf Jahre Zeit – so lange läuft sein Vertrag. (Ljubisa Tosic, 27.1.2023)