Einmal im Monat bietet der Jugendtreff Käfer lokalen Jugendlichen Partystimmung ohne Touristen.

Foto: Stefan Klauser

Süßliches Parfum und Teenagerschweiß schlagen einem entgegen, Lichtshow, Nebelmaschine und eine Soundanlage mit dicken Subwoofern, aus der gerade ein Deutschrap-Song die Stimmung der Partygäste zum Kochen bringt. Viele tanzen mit erhobenen Armen, andere drängen sich an die Bar, die die Farbe im Takt des Beats wechselt.

Dass man sich nicht in einem hippen Club in einer Großstadt, sondern in einer improvisierten Dorfdisco in einem der abgelegensten Winkel des Landes befindet, merkt man erst, wenn man zum Luftschnappen vor die Tür tritt. Es ist der Eingang der Volksschule Hirschegg im Kleinwalsertal. Und die jungen Menschen, die sich hier am Freitagabend im Untergeschoß drängen, sind keine Urlauber, sondern Jugendliche aus der Gegend.

Sowohl in der Winter- als auch in der Sommersaison dreht sich hier alles um die zahlungskräftigen Gäste, die in Funktionskleidung mit Ski- und Wanderstöcken das Ortsbild prägen. Alleine im Jänner teilen sich die rund 5.000 Einheimischen die idyllische Sackgasse, die man nur von Deutschland aus erreichen kann, mit fast 23.000 Touristen. Man hat sich daran gewöhnt, schließlich lebt man hier vom Fremdenverkehr. Für die rund tausend Jungen im Ort bleiben aber abseits von Alpenzauber und Aprés Ski wenige Orte, an denen sie feiern können und dabei unter sich sind. Und doch, fernab der üblichen Tal-Hotspots, haben sie einmal im Monat die Chance dazu.

Vor dem Schultor

Es ist halb elf am Freitagabend. Die letzten Aprés-Ski-Gäste sind mit ihren Brettern, Boards und schweren Skischuhen in ihre Hotels zurückgekehrt. In den Cafés und Restaurants brennt kein Licht mehr, die Bushaltestellen sind verlassen. Aber aus der Ferne hört man leisen Bass, vor der Tür der Volksschule rauchen ein paar Teenager in dem durch Bauzäune abgetrennten Bereich schnell noch eine Zigarette. Die Musik wird immer lauter. Am Eingang stehen vier erwachsene Securities in schwarzem Outfit. Hinter der Tür sitzen zwei Jugendliche, überprüfen das Mindestalter von 16, kassieren fünf Euro und legen jedem ein Bändchen an. Dicht an dicht drängen sich drinnen am Dancefloor fast 200 junge Einheimische in Hoodies, Leggings oder bauchfreien Tops. Skischuhe und Outdoor-Kleidung sucht man hier vergeblich.

Pius ist als Obmann des Vereins einer der Hauptverantwortlichen für die rauschenden Partynächte im Käfer.
Foto: Stefan Klauser

"Touristen verirren sich eigentlich nie hierher", sagt Pius, während sein Blick über die Tanzfläche streift. Er ist der Obmann des Vereins Jugendforum Kleinwalsertal, der all das monatlich im Käfer auf die Beine stellt. Sein Blick wandert zu den Turntables, hinter denen die Vorstandsmitglieder Tom (19), Carlo (18) und David (17) stehen. Sie sind heute für die Musik zuständig: Ein bisschen Drum´n Bass, Chart-Pop, Deutschrap und Alltime-Classics. Mit 20 ist Pius der Älteste im Verein.

Selbst organisiert

Die rund 100 Quadratmeter großen Räumlichkeiten stellt die Gemeinde zur Verfügung. Zwei Mal wöchentlich hängt man auch tagsüber zwischen Playstation, Billiard- und Tischfußballtisch im Käfer ab. Partys gebe es hier schon immer, monatlich organisiert werden sie aber erst seit letztem Jahr, erzählt Pius. Um Organisation, Bar, Securities und Musik kümmert sich das Teenagerkollektiv selbst. Auch die Finanzierung müssen sie selbst stemmen – durch Eintrittsgelder und Spenden. Das muss reichen, für die Nebelmaschine, die kürzlich gekauften neuen Kühlschränke und die Securities für die ganze Nacht. "Alles was in der Vereinskasse ist, wird gleich wieder ausgegeben", sagt Pius. Praktisch sei aber, dass man sich die meisten Dinge handwerklich hier selbst richten könne – denn er ist Schreiner, ein Kollege Spengler, ein anderer Elektriker.

Um Konkurrenz musste das Partykollektiv bisher nicht fürchten, denn Orte zum nächtlichen Feiern und Tanzen gibt es im Kleinwalsertal kaum. Vor allem seit das Jolly, ein Club im Untergeschoß des Casinos, vor ein paar Jahren dicht gemacht hat, herrscht nachts tote Hose. Regelmäßig fahren die Jugendlichen daher zum Feiern über die Grenze nach Deutschland, ins benachbarte Oberstdorf oder Kempten.

VIDEO: Nicht nur bei den monatlichen Partys ist der Jugendraum Käfer Treffpunkt der Taljugend. Zwei Mal pro Woche hängt man hier auch tagsüber ab, tauscht sich aus und spielt Tischfußball oder Billard. Auch dabei haben wir den Jugendlichen einen Besuch abgestattet und sie unter anderem gefragt, wie sie sich ihre Zukunft im Kleinwalsertal vorstellen.
DER STANDARD

Die einzige gewerbliche Diskothek im Ort, die "Mausefalle", ist im Keller eines Aparthotels angesiedelt. "Hauptsächlich Touristen und Skilehrer" würde man da normalerweise antreffen. Seit kurzem, seit der Obmann der Landjugend die Disko neu übernommen hat, könne man da aber am Wochenende wieder hingehen: "Oft bucht der jetzt gute DJs aus Kempten und Oberstdorf", sagt Carlos.

Für Touristen gebaut

In Dutzenden anderen österreichischen Wintersportorten haben junge Menschen das gleiche Problem wie die Jugendlichen im Kleinwalsertal: Ihre Eltern leben vom Tourismus, viele hoffen selbst auf Jobs in dieser Branche. Ein schlechtes Wort verlieren sie daher über die Gäste nicht. Aber mit den tausenden Menschen, die im Winter wie im Sommer in ihre Dörfer strömen und die kleinen Gemeinden voll in Beschlag nehmen, muss man sich als Jugendliche erst mal arrangieren.

Es sind Alltäglichkeiten, die sie irritieren. "Manchmal nervt es mich, dass es zwar in jedem Hotel Hallenbäder gibt, wir aber kein öffentliches Hallenbad haben", sagt die 16-jährige Monja. Auch die Heimfahrten von der Schule im sogenannten Walserbus seien im Winter eine Herausforderung: "Da fährt der Bus direkt an der Kanzelwandbahn vorbei und ist so vollgestopft mit Skifahrern, dass wir manchmal nicht mehr reinpassen." Finanziert wird der Walserbus von der Gemeinde. Auf das Projekt ist man hier sehr stolz: Im Zehn-Minuten-Takt kutschiert der Bus Einheimische wie Touristen von Gondel zu Gondel durch die funktionale Enklave: Vom benachbarten Deutschen Oberstdorf hinein nach Riezlern, durch Hirschegg und Mittelberg, bis ans Ende der Sackgasse nach Baad.

Gänzlich ohne Touristen hätten sie das Tal bisher nur einmal erlebt: In der Coronazeit. An einem Ort, an dem die meisten Familien Ferienwohnungen vermieten, feierten viele ihr erstes Weihnachten ohne Fremde im eigenen Haus. Wie das war? "Richtig schön" sagen die Jugendlichen im Chor.

Die meisten Jugendlichen verbringen ihre Partywochenenden aus Mangel an Alternativen im benachbarten Deutschland.
Foto: Stefan Klauser

Stolz auf ihr Tal

Aber auch Monja weiß, was sie den Gästen zu verdanken hat. "Wir kennen es nicht anders und dürfen uns nicht beschweren. Viele gute Sachen gibt es im Ort nur, weil wir so viele Touristen haben." Sie meint damit etwa die gute Verkehrsanbindung oder gut finanzierte Initiativen wie die Jugendbergrettung. Und auch Tom schlägt einen diplomatischen Ton an: "Wenn Leute sagen, es gibt hier nur Tourismus, dann würde ich wahrscheinlich sagen, das stimmt – aber wir leben hier davon und sollten froh sein, dass die Touristen kommen. Unter‘m Strich geht’s uns im Kleinwalsertal nämlich sehr, sehr gut."

Auch deshalb sind die Jugendlichen stolz auf ihre Heimat. Auf die Frage, "seid ihr eigentlich Österreicher oder Deutsche?" antworten sie: "Wir sind Walser". "Wenn Österreich gegen Deutschland spielt, dann bin ich für Österreich", fügt Pius schnell hinzu. Aber so richtig gehöre man halt nirgends dazu.

In der Disco ist es inzwischen nach Mitternacht. Der im Schachbrettmuster grün geflieste Boden wird immer klebriger. Zersetzte Schinkenreste im Klo-Waschbecken lassen darauf schließen, dass so mancher Gast über den Durst getrunken hat. Gerade als die Stimmung nachzulassen droht, ballern noch ein paar Klassiker durch den Raum. Ein tropikaler Remix von Macarena erklingt aus den Boxen und reißt auch die Erschöpften mit. Hände werden ausgestreckt, Hüften geschwungen, es wird reihum gehüpft – nicht nur auf dem Dancefloor sondern auch auf der Bar, auf der das Barpersonal mit Leuchtarmbändern an den Handgelenken eine filmreife Showeinlage hinlegt. Ist das der Coyote-Ugly-Moment des Kleinwalsertals?

Und dann ertönt – man glaubt es kaum – "Ja ja jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt". Eine Horde Teenager brüllt im Kollektiv bei dem Lied mit, das in der Hochsaison die Hymne des Tales sein könnte. Es ist ein guter Moment, um zu gehen.

Die Teenager legen im Kollektiv auf – am liebsten Drum ´n´ Bass, heute verlangt das Publikum aber nach Chart-Klassikern.
Foto: Stefan Klauser

Bis später in der Mausefalle

Am nächsten Tag treffen wir Pius und Co. inmitten der Party-Überreste. Seit dem Vormittag wird aufgeräumt. Ein Klo ist schon fertig geputzt, die meisten Müllsäcke sind entsorgt. Nun ist der völlig verdreckte Boden dran. "Hat wer einen Kärcher?", fragt einer der Burschen scherzhaft.

Was, wenn plötzlich Leute mit Skibrille auf dem Kopf im Käfer aufgetaucht wären? "Über die hätten wir uns wahrscheinlich lustig gemacht", sagt David: "Aber Touristen machen immer gute Stimmung", sie wären deshalb trotzdem willkommen gewesen. "Hätten sie Skischuhe angehabt, hätten sie uns aber vielleicht den Fliesenboden zerbrochen", bemerkt Tom und blickt besorgt auf das grüne Schachbrettmuster.

Die Jungen lassen sich auf einem klebrigen Ledersofa nieder und ziehen Resümee über den Abend. Sie sind etwas enttäuscht. "Es war nicht so viel los wie sonst und auch die Stimmung war nicht so gut wie normalerweise", sagt Carlos. Vielleicht habe das am Wetter gelegen. Oder ist die Mausefalle unter der neuen Führung doch auch für die lokale Jugend attraktiv geworden? Dort legt am Abend DJ Let‘s Fetz auf. "Vielleicht bis später", rufen die Burschen einander zu. Schließlich ist heute Samstag. (Viktoria Kirner, 9.2.2023)