Es könnte ein netter Wahlkampftermin sein. Bitterkalt zwar, aber immerhin scheint auch in Berlin einmal die Sonne. Bettina Jarasch, Senatorin für Umwelt und Mobilität sowie Spitzenkandidatin der Grünen, steht im warmen Wintermantel auf der Wilmersdorfer Straße.

"Kriegstreiber!", ruft plötzlich jemand. Und: "Keine Waffenlieferungen, schämt euch!" Es bleibt bei dem kurzen Zwischenruf, und so kann Jarasch sich auf Schöneres als den Krieg konzentrieren: ihre Visionen für die Wilmersdorfer Straße. Die große Fußgängerzone im Westen der Stadt ist kein Aushängeschild: Leerstand, viele Billigläden.

Noch ist Franziska Giffey vorne. Sie sitzt als Regierende Bürgermeisterin im Berliner Rathaus. Bettina Jarasch von den Grünen hat in der rot-rot-grünen Koalition einen Posten im Senat und will Giffey überholen.
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"Wir werden neu nachdenken müssen", sagt Jarasch. Die Straße soll mit kleinen Läden attraktiver werden. Überhaupt wünscht sie sich "mehr Quartiere vor Ort", auch außerhalb des Berliner Rings. Gemeint ist damit der Berliner-S-Bahn-Ring. Innerhalb ist Berlin Innenstadt, außerhalb dünnt es dann aus, es gibt weniger nette Cafés, mehr Wohnsilos. Von der Konkurrenz wird Jarasch oft vorgeworfen, die Grünen würden in Berlin hauptsächlich Politik für jene innerhalb des Rings machen. Für die, die auch das Auto nicht dringend brauchen.

Genau das will nach Jaraschs Rede ein älterer Herr besprechen. Er ist ein bisschen aufgeregt, weil er die grüne Spitzenkandidatin ja "nur aus dem Fernsehen kennt". Jarasch lächelt ihm aufmunternd zu.

Tipps vom Wähler

Und dann ist er recht forsch. "Frau Jarasch, Sie müssen anders kommunizieren", rät er. Von den Grünen höre man immer, sie wollen überall Tempo 30. "Nein, nicht auf den Tangentialen, da bleibt 50", wirft Jarasch ein. "Ja, aber das müssen Sie sagen!", fordert der Mann jetzt, "sonst bleibt nur hängen, die Grünen sind gegen das Auto."

Ganz unrecht hat er ja nicht. "Autofahrer werden Platz abgeben müssen", sagt Jarasch. Ab 2030 will sie in Berlin auch nur noch E-Autos, die zentrale Flaniermeile Friedrichstraße mit dem berühmten Checkpoint Charlie hat sie zu einem großen Teil für Autos gesperrt. Dafür gab es einen Rüffel von Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD): "Diese Aktion ist nicht im Senat abgestimmt. Ich halte diesen Alleingang auch nicht für durchdacht."

Wiederholung aus Gründen

Es ist nicht das einzige Thema, bei dem die beiden nicht harmonieren. Eigentlich sind sie ja Partnerinnen. Giffey, die Bürgermeisterin, regiert mit einem rot-grün-roten Bündnis, sie möchte natürlich Chefin im Roten Rathaus bleiben. Doch es ist fraglich, ob Giffey das nach der Wahl am Sonntag gelingt – eine Wahl, die sie nicht haben wollte; die aber nötig wurde, weil bei der ursprünglichen im Herbst 2021 so viele Fehler passiert waren.

In einer Forsa-Umfrage liegen die Grünen bei 18 Prozent, die SPD bei 17, die CDU führt mit 26. Trotzdem macht man sich bei den Grünen Hoffnung, dass Jarasch die erste grüne Bürgermeisterin von Berlin wird. Es könnte dann weiterhin ein Bündnis mit SPD und Linken geben. Aber Jarasch wäre die Chefin – nicht mehr Giffey.

2011 wähnte schon einmal eine Grüne das höchste Amt zum Greifen nahe: Renate Künast. Sie lag in Umfragen lange vorn, aber dann war das Ergebnis nicht so gut. Derlei befürchten auch manche Grüne. Man weiß nicht, wie sich die Räumung des nordrhein-westfälischen Braunkohledorfs Lützerath auf die Wahl auswirkt. Dies hat viele Grüne und Klimaaktivisten empört. Und in einer weiteren zentralen Frage sind sich Giffey und Jarasch nicht grün. Jarasch will das Votum des Volksentscheids "Deutsche Wohnen und Co enteignen" umsetzen. In diesem haben sich 59 Prozent für die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne ausgesprochen.

Streit um Enteignung

Die Linken sind auch dafür, aber Giffey lehnt dies ab: "Ich habe einen Eid geleistet, für diese Stadt das Beste zu bewegen und auch Schaden von dieser Stadt abzuwenden." Deshalb hat so mancher ein ganz anderes Bündnis im Blick. Wenn die CDU tatsächlich am Sonntag als stärkste Kraft ins Ziel geht, könnte Kai Wegner Bürgermeister werden – wenn er es denn schafft, die SPD als Juniorpartnerin ins Boot zu holen. Zurzeit liegen zwischen Schwarz und Rot aber noch (Wahlkampf-) Welten. Wegner wettert täglich über Chaos und Missmanagement.

So schlecht jedoch sei die Bilanz nicht, sagt Julia Reuschenbach, Politologin an der Freien Universität Berlin: "Berlin ist gut durch die Pandemie gekommen, es gab viele Hilfen für Bürger, Kultur, Tourismus und Unternehmen – auch während der Energiekrise." Als Erfolg sieht sie auch die Fortsetzung des günstigen Tickets für den Nahverkehr und die Unterbringung für die Geflüchteten aus der Ukraine. Vielleicht ist nach der Wahl dafür dann ja Wegner zuständig. (Birgit Baumann aus Berlin, 10.2.2023)