Der Tiger beschützt den Kopf von Kombinationsweltmeisterin Federica Brignone.

Foto: AP/Marco Trovati

Knieverletzungen gehören zum schlechten Ton. Kaum eine Athletin, kaum ein Athlet aus dem Weltcup der alpinen Skirennläufer hat unversehrte Kreuzbänder, unbearbeitete Menisken. Eine andere, unterschwellige Verletzung wird in der Szene weniger betont: Verletzungen am Kopf.

Die Gefahr lauert ständig, von ihr sind mehr Aktive betroffen, als offen zugegeben wird. Erst im Jänner beendete der Schweizer Speedfahrer Mauro Caviezel seine Karriere infolge eines Schädel-Hirn-Traumas. Eineinhalb Jahre bestritt er keine Rennen, weil er in der Abfahrtshocke eine Sehstörung beklagte: Er sah doppelt.

Caviezel kämpfte sich trotz unsicherer Prognose in den Weltcup zurück, im vergangenen November stürzte er in Lake Louise erneut schwer, schlug mit dem Kopf auf und war für einige Momente bewusstlos. Zwei Monate später verkündete er sein Karriereende. Ihm gehe es zwar wieder gut, "leider aber nicht gut genug, um wieder in den Skirennsport einzusteigen".

Kalkuliertes Risiko

Kopfverletzungen sind "ein Problem, das nicht unerheblich ist", sagt Andrea Podolsky. Sie ist Sportmedizinerin am Universitätsklinikum in Krems an der Donau, betreut eine Vielzahl an Athletinnen und Athleten des Olympiazentrums Niederösterreich, darunter auch Skiprofis. Bei einem Sturz prallt das Gehirn gegen die innere Schädeldecke, die Durchblutung ist vorübergehend vermindert.

Mögliche Folgen sind reduzierte Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit, Schlafstörungen und anhaltende Kopfschmerzen. "Im besten Fall klingen die Symptome nach wenigen Tagen wieder ab, im schlechten Fall bleiben sie bestehen", sagt Podolsky. Besonders gefährlich sei, dass viele Gehirnerschütterungen unerkannt blieben – wiederholten sie sich, steige das Risiko für anhaltende Symptome.

Dieses Risiko ging einst Michelle Gisin ein. Die Schweizerin zog sich einen Tag vor der Olympia-Kombination 2018 eine Gehirnerschütterung zu. Dennoch trat sie wenige Stunden später zum Rennen an – und holte Gold. "Wäre das Rennen kein olympisches gewesen, wäre ich nicht gefahren", sagte Gisin.

In der Kitzbühler Mausefalle hat es 2011 Hans Grugger erwischt. Bei einer Trainingsfahrt kam er heftig zu Sturz, er zog sich ein Schädel-Hirn-Trauma zu. Etwa drei Monate rund um den Unfall sind aus seinem Gedächtnis komplett gelöscht. Die Folgen des Sturzes machten eine Fortsetzung der Karriere unmöglich. Grugger konnte sein rechtes Bein nur noch zeitverzögert ansteuern, die Reaktionsfähigkeit war beeinträchtigt. Er beendete die Karriere, schloss ein Lehramtsstudium ab und arbeitet heute in der Sportmittelschule Ebensee. "Kitzbühel ist das schönste Rennen", sagt er inzwischen: "Wenn niemandem etwas passiert."

Der Weg zurück

Cornelia Hütter hat seit einem Jahr mit den Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas zu kämpfen. Erst vergangene Woche musste sie einen Trainingstag abbrechen, die Symptome wurden zu stark. "Ich glaube, das Gehirn wird oft unterschätzt. Es braucht aber gleich viel Zeit und Geduld. Wer nichts riskiert, gewinnt nichts. So ist das Leben", sagte sie vor ihrer Fahrt zu Bronze im Super-G dem STANDARD.

Teamkollegin Nina Ortlieb und die Schweizer Olympiasiegerin Corinne Suter zogen sich im Jänner Gehirnerschütterungen zu, planen aber am Samstag mit einem Start in der WM-Abfahrt.

Auf dem Weg zum Comeback nach einer Kopfverletzung empfiehlt Podolsky vom Uniklinikum Krems, erst langsam zum Sport zurückzukehren. "Dies sollte graduell geschehen, vorerst niedrig intensive und kurze Belastungen im symptomfreien Bereich", gefolgt von langsamer Steigerung. "Lange Ruhephasen", sagt Podolsky, "werden heute nicht mehr empfohlen." (Lukas Zahrer, 9.2.2023)