Das Ausmaß der Zerstörung wird eine Woche nach der Tragödie immer deutlicher. Im Bild ist die zerstörte griechisch-orthodoxe Kirche der historischen Stadt Antakya zu sehen.

Foto: APA/AFP/YASIN AKGUL

Istanbul – Auch sieben Tage nach dem verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet mit zehntausenden Toten werden in einem Wettlauf gegen die Zeit noch Überlebende aus eingestürzten Gebäuden gerettet. Nach 163 Stunden unter Trümmern befreiten die Rettungsteams in der Provinz Hatay am Sonntagabend unter anderem einen siebenjährigen Buben und eine 62-Jährige, wie die Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi in der Nacht auf Montag berichtete.

In der Provinz Kahramanmaras wurde ein 45-jähriger Mann gerettet, der 162 Stunden verschüttet gewesen war. Während der Rettungsarbeiten erzählte er den Rettungskräften, dass er auf den Ofen neben sich geschlagen habe, um mit Geräuschen auf sich aufmerksam zu machen. 158 Stunden musste ein zehnjähriger Bub in der Stadt Adimayan auf Rettung warten. Sein erster Wunsch, Fruchtgummis zu bekommen, habe die Herzen der Retter berührt.

Auch österreichische Soldaten und Soldatinnen der Austrian Forces Disaster Relief Unit waren zur Unterstützung in das türkisch-syrische Grenzgebiet gereist. Der Einsatz geht nun bereits dem Ende zu. "Bis heute Mittag stehen die Soldaten für etwaige Suchaufträge noch bereit, dann beginnt der Rückmarsch zum Flughafen Adana", schrieb Bundesheersprecher Michael Bauer Montagfrüh auf Twitter.

Noch tausende Menschen vermisst

Am Montag vor einer Woche hatte das erste Beben der Stärke 7,7 um 2.17 Uhr MEZ die Region erschüttert, Stunden später folgte ein zweites schweres Beben der Stärke 7,6. Die Zahl der bestätigten Toten liegt inzwischen bei mehr als 35.000, davon in Syrien laut Weltgesundheitsorganisation mindestens 5.900. Der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths rechnete am Sonntag sogar mit bis zu 50.000 Toten. Tausende werden noch vermisst.

Eine Woche nach der Tragödie wird das Ausmaß der Zerstörung immer deutlicher. Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde, Ali Ertan Toprak, warnte indes vor eskalierender Gewalt. "Es macht mir zunehmend Sorgen, dass die Menschen aufeinander losgehen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Viele Ortschaften haben bis heute keine Hilfe erhalten. Deshalb ist die Wut so groß."

Baumängel sollen den Einsturz der Gebäude begünstigt haben.

Die Menschen fragen sich auch, weshalb so viele Gebäude einstürzen konnten. Erste Haftbefehle wurden erlassen. Die Beschuldigten sollen für Baumängel verantwortlich sein, die den Einsturz der Gebäude begünstigt hätten, meldete die Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf Strafverfolger. Experten kritisieren, dass Bauvorschriften für mehr Schutz vor Beben nicht umgesetzt wurden.

Wahlkampfthema

"Die Türkei hat auf dem Papier eine der besten Baunormen der Welt. Wenn es um die Umsetzung geht, sind wir die Schlechtesten", sagte der Städtebauexperte Orhan Sarialtun von der Ingenieur- und Architektenkammer der Deutschen Presse-Agentur. Die meisten beschädigten Gebäude in den betroffenen Provinzen wiesen dieselben Mängel auf: an Stahl- und Eisenstangen, Beton minderer Qualität sei verwendet worden, und bei Bodenuntersuchungen habe es Fehlberechnungen gegeben, sagte Sarialtun. Die Opposition macht die Regierung für den Pfusch am Bau verantwortlich. In der Türkei ist Wahlkampf.

Der türkische Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu warf Präsident Erdoğan, der seit 20 Jahren an der Macht ist, am Sonntag einmal mehr vor, das Land nicht auf solch ein Beben vorbereitet zu haben. Er kritisierte zudem, dass die Regierung im Jahr 2018 eine Bau-Amnestie erlassen habe, mit der illegal errichtete Gebäude gegen Strafzahlung im Nachhinein legalisiert worden seien. "Sie haben die Häuser, in denen die Menschen leben, zum Friedhof gemacht und dafür noch Geld genommen", sagte der Oppositionsführer.

Unterdessen setzte sich auch der argentinische Fußballstar Lionel Messi für die Opfer ein. Er forderte via Instagram zu Spenden an das Uno-Kinderhilfswerk Unicef auf. "Dies sind sehr traurige Tage für die tausenden Kinder und ihre Familien, die von den verheerenden Erdbeben in der Türkei und in Syrien betroffen sind. Mein Herz ist bei ihnen", schrieb der 35-Jährige. Unicef sei von Anfang an in der Region im Einsatz gewesen, um die Kinder zu schützen. Die Hilfe seiner Follower sei "sehr wertvoll". (APA, red, 13.2.2023)