Im Gastblog schreibt Germanistin Barbara Dvoran anhand ihrer eigenen Erfahrungen über das Lehren und Lernen von Sprachen.

Klammern Sie sich noch an Ihre guten Vorsätze für dieses Jahr, oder haben Sie sie schon unauffällig in die Schublade "nächstes Jahr" gesteckt? Lautet einer davon, endlich den gewissen Sprachkurs zu besuchen, oder überlegen Sie gerade, wie sie ihn doch noch stillschweigend abbrechen können?

Lernt man in Volkshochschul- oder Sprachinstitutskursen gerne – meist in mehreren Versuchen – eine Fremdsprache in der Freizeit, geht es bei vielen hier lebenden Menschen darum, Deutsch für die Arbeit, das Visum oder den Alltag zu lernen. In diesen zwei Fällen sind unterschiedliche Dynamiken vorhanden, die fördernd, aber auch hemmend sein können.

Menschen lernen aus verschiedenen Gründen eine neue Sprache. Wie kann dieses Ziel im Unterricht möglichst gut erreicht werden?
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Die Begeisterung, in der Freizeit Italienisch zu lernen und nach der Arbeit Hausübungen zu machen, kann verständlicherweise nach einigen Wochen nachlassen. Hier können Urlaube oder Prüfungen als Zielsetzung – oder Verliebtheit – helfen, um durchzuhalten. Bei dieser Art von Kursen ist vom klassischen Fremdsprachenunterricht die Rede. Das bedeutet, wir sitzen in Graz und lernen ein paar Stunden wöchentlich Italienisch, und eine andere Gruppe sitzt im Paralleluniversum Palermo und lernt Deutsch.

Beim Lernen der Zweitsprache lebt man hingegen in dem Land oder der jeweiligen Region der Sprache, und somit ist oftmals der Druck größer. Gleichzeitig gibt es aber auch mehr Möglichkeiten, in Kontakt mit der Sprache zu treten.

Den Kontext lernen

Wichtig im Fremd- und Zweitsprachenunterricht ist nicht nur zu lehren, wie etwas gesagt oder geschrieben wird, sondern auch, wann. Also die Kontextualisierung, die uns darüber hinaus auch beim Verstehen und Lernen hilft. Im Idealfall simulieren wir authentische Sprachverwendung. Nicht jedes Redemittel ist in jedem Zusammenhang geeignet. "Passt schon", kann ich lachend am Tisch mit Freunden in die Runde rufen, sollte ich jedoch nicht unbedingt der Chefin entgegnen.

Die moderneren Lehr- und Arbeitsbücher versuchen, dem Aspekt der Authentizität gerecht zu werden. An der Universität lernten wir: Verwenden Sie echte Rezepte, echte Konzertkarten, echte Beipackzettel. Lehrbücher können dem nur teilweise nachkommen, denn Lernende wünschen sich oft das systematisierte Lernen, das heißt grammatikalische Strukturen, die bereits verstanden werden können, und Wörter, die irgendwo in einer übersichtlichen Wörterliste wieder auftauchen und gelernt werden können.

Realität bedeutet auch Raum für Interpretation

Das bedeutet, unsere Lehrwerke können nur versuchen, realitätsnahe Übungen zu schaffen, und als Lehrkraft – oder als Trainerin oder Trainer, wobei ich bei diesem Wort immer an Liegestütze denken muss – sollte man den Sprachunterricht mit eigenen authentischen Materialien ergänzen. Dabei funktioniert es aus meiner Erfahrung gut, dass man die Gruppe daran gewöhnt, dass auf einem Anfänger-A2-Niveau manches nicht gänzlich verstanden und sofort übersetzt, aber doch zumindest einmal gesehen werden kann. Gehen auch Sie nicht in die Falle der altmodischen Grammatik-Übersetzungs-Methode und lassen Sie beim Unterrichten oder auch Lernen Platz für Zweifel, Gespür und mehrere Interpretationen.

Denn auch wenn wir einen nichtfremdsprachigen Text lesen, ist es unser Recht als Lesende, ihn frei zu interpretieren. Das trifft vor allem auf literarische Texte zu, die – dafür setzt sich auch die IG Autorinnen und Autoren ein – auch im Schulunterricht nicht immer weiter an den Rand gedrängt werden sollten, sondern ein wundervolles Mittel für den Sprachunterricht sind. Und je nach Vor- und Nachbereitung, Umfang und Zugang, kann auch während des Sprachenunterrichts theoretisch jeder Text mit jeder Gruppe bearbeitet werden.

Im Idealfall bilden Deutsch-Lehrwerke die verschiedenen Varietäten der Standardsprache (zum Beispiel Deutsch in Österreich, Deutsch in Deutschland) ab. Diesbezüglich könnten die meisten gängigen Unterrichtsmaterialien noch verbessert werden. Es müssen Menschen aus der Region miteinbezogen werden, was dem Anschein nach nicht immer bedacht wird. Sackerl statt Tüte und köstlich statt lecker oder umgekehrt – das beliebteste Streitthema schlechthin – ist nicht genug. Denn oft sind unsere Vorstellungen der anderen Varietäten nicht korrekt, veraltet oder basieren auf Stereotypen.

Der Klassenraum als Arbeitsplatz

Das Besondere am Unterrichten von Kindern und Jugendlichen ist, dass jede Stunde anders verläuft. Dazu kommt der Sinn für Humor der Heranwachsenden, der viel Freude bereiten kann. Während man es sich im Büro, vor allem im Homeoffice, manches Mal erlauben könnte, mit schlechter Laune oder einer hässlichen Frisur vor sich hin zu starren, ist das während des Schulunterrichts keine – gute – Option. Den Schülerinnen und Schülern entgeht nichts. Man wird fünfzig Minuten lang von fünfundzwanzig Kindern in Schlapfen – wie sagen Sie dazu? Patschen? Hausschuhen? – angestarrt, jede Tat wird beobachtet und man sollte keinerlei Schwäche zeigen.

Während der Zeit der Digitalisierung hat sich gezeigt: Onlineunterricht ist zeitsparend, einfacher als gedacht und bietet Vorteile. Während des Unterrichts oder bei Seminaren geht im virtuellen Raum allerdings viel verloren und oftmals fällt es schwerer, sich zu konzentrieren. Das trifft auch in einigen Bereichen auf die Arbeitswelt zu. Auch hier stellt sich die Frage: Persönliches Treffen oder Online-Meeting? Im virtuellen Raum sprießen Anglizismen besser. Hybride Konferenz oder Schlangestehen bei der Espresso-Maschine des italienischen Ausstellers auf der Messe?

Vorteile des Präsenzunterrichts

Es gibt viele Gründe für das persönliche Lernen, und als erster sei das Betreten des Klassenraums angeführt. Das Grußverhalten, die Sitzplatzwahl oder -suche, die Kleidung oder Frisur und der Zeitpunkt des Eintretens sind Teil des eigenen Auftretens, des Ich-Seins und der Kommunikation mit anderen. Während des Unterrichts kommt es außerdem immer wieder zu unerwarteten, witzigen Situationen: eine Spinne seilt sich vor dem Fenster ab; das Geschriebene lässt sich nicht mehr von der Tafel entfernen; der Strom fällt aus; jemand reißt die Türe auf. Es kann auch im Online-Klassenraum zu erheiternden Situationen kommen, aber sie sind weitaus anonymer. Denn allein vor dem Computer oder Tablet zu lachen ist weniger ansteckend.

Auch der Blickkontakt ist wichtig, denn man sieht in einem Gruppenkurs nur den Bildschirm und nicht einander an und kann niemandem verschwörerisch zuzwinkern. Die Bewegung im Raum ist nicht oder nur mit Avataren möglich. Gleichzeitige Kommunikation geschieht nicht auf dieselbe Weise wie im Präsenz-Unterricht. Im Klassenraum kann Person A einen Monolog halten, B unterbrechend eine Frage stellen, C inzwischen D etwas ins Ohr flüstern, E Vokabeln vor sich hinmurmeln, während F kichert, weil G ein Stift auf den Boden fällt. Das gilt für Kinder und Jugendliche genauso wie für Erwachsene.

In der Pause trifft man einander am Buffet, bei der Kaffeemaschine, früher einmal im Rauchereck oder kommt vielleicht im Klassenraum beim Lüften selbst ins Gespräch. Die Teilnehmenden meines Deutschkurses tauschten letztes Mal gerade Salat-Rezepte aus, als ich den Raum betrat – so viel zu guten Vorsätzen. Man kann persönlich auch etwas nachfragen, das nicht verstanden wurde. Viele wertvolle Informationen erhält man durch das "mit" in miteinander: "Mithören", "Mitreden" oder "Mitbekommen". Dass die Teilnehmenden im Präsenzunterricht die Körpersprache und den Mund der vortragenden Person sehr gut und ohne etwaige Verzögerung sehen können und dadurch das Gesagte besser verstehen, spricht vor allem in einer Fremdsprache für die persönliche Anwesenheit.

Dem Zufall eine Chance geben

Und zu guter Letzt: Auch im Fall von schlechter Laune ist man vielleicht nicht allein und wird durch einen Kollegen oder die Lehrperson aufgeheitert oder gefragt, wie es einem gehe. Es kann auch Genugtuung geben, schlechte Laune anderen mitzuteilen, indem man sie zeigt. Durch wutschnaubende Smileys und Totenköpfe Unmut auszudrücken ist unbefriedigender. Selbstverständlich kann man vom Gelächter im Nebenraum der Sprachschule oder einem Fenster, das im Winter aufgemacht wird, gestört werden – aber das ist es vielleicht wert. Wir sollten dem Zufall und den zwischenmenschlichen Begegnungen, der nonverbalen Kommunikation Raum im Raum geben. Ideal ist es, Technologie vorteilhaft als Werkzeug einzusetzen, viele Lernende tun dies ganz automatisch und suchen Vokabeln, die sie in ihren Übungen und Texten verwenden möchten, oder zeigen mir Bilder von etwas, das ich nicht kenne. Genauso ist es auch umgekehrt bereichernd, im Unterricht ein Falco-Interview zum Thema Sprachkunst zu zeigen.

Auch wenn es Überwindung kostet, den Sprachkurs zu besuchen – im Nachhinein freut man sich doch darüber, teilgenommen zu haben. Ganz nebenbei erfuhr ich diese Woche Neuigkeiten, hörte das unserem "obergescheit" entsprechende Wort auf Jiddisch, wobei meine Kollegin zu meiner Frage, wie man es schreibt, sich zu mir umdrehte und entgegnete: "Das schreibt man nicht, das sagt man." Und ich lernte, dass "Himmel" auf Hebräisch שמיים "shamayim" heißt (es wird von rechts nach links gelesen). Zerlegt man es in zwei Teile, ist eine der Bedeutungen "sham ma'im": "dort Wasser". Ein Wortfetzen, eine Idee, ein Satz bleiben nach jeder Stunde hängen. Ich wünsche viel Freude beim Sprachenlernen und gutes Durchhaltevermögen für die Fremdsprachenkurse – zumindest bis zum Sommerurlaub. (Barbara Dvoran, 21.2.2023)