Trotz tiefer Krise gibt es da und dort gute Gründe für Optimismus

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Der Krieg in Europa hat eine lang eingespielte geopolitische Ordnung ins Wanken gebracht. Die Energiepreise erreichen Rekordhöhen. Die Lebenshaltungskosten steigen. Trotz alledem gibt es auch Faktoren, die uns optimistisch stimmen sollten:

1. Die Ukraine schlägt sich viel besser als gedacht

Auch wenn es nach einem Jahr Krieg längst ins allgemeine Bewusstsein eingegangen ist, bleibt es erstaunlich: Die – vergleichsweise kleine – Ukraine kann sich überraschend gut behaupten gegen Russland, eine der führenden globalen Militärmächte. Der anfängliche Versuch der Russen, Kiew per Handstreich einzunehmen, schlug hochkant fehl. Seither wogt das Kampfgeschehen hauptsächlich im Osten und Süden des Landes hin und her – von der traurigen Ausnahme von Luftangriffen im ganzen Land abgesehen. Die Erfolge der Russen sind minimal; das von ihnen kontrollierte Territorium war im Lauf des Kriegs schon deutlich größer.

2. Wir sind diesen Winter nicht erfroren

Vergangenen Sommer wurde die Debatte fast panisch: In Deutschland diskutierte man darüber, die Temperatur in Häusern und Wohnungen gesetzlich auf 16 Grad zu senken. In Österreich wurde eilig ein Notfallplan ausgearbeitet, der die Zuteilung von Gas an Unternehmen regeln sollte. Inzwischen wissen wir: Die Wohnungen sind diesen Winter zwar durchwegs kälter als sonst, aus Kostengründen – aber frieren müssen wir immerhin nicht. Auch die Unternehmen produzieren weiter, wiewohl sie unter hohen Energiepreisen leiden. Gelungen ist das dank des forcierten Einspeicherns hoher Gasmengen durch die EU-Staaten und des raschen Aufstellens neuer Energiequellen.

3. Die Wirtschaftskrise ist nicht eingetroffen

"Wir stehen an einem Wendepunkt", sagte vergangenen September Stefan Stolitzka, Chef der steirischen Industriellenvereinigung. "Wir werden in eine Rezession kommen." Er war eine von vielen Stimmen, die vor einem mehr oder weniger massiven Wirtschaftseinbruch warnten. Tatsächlich jedoch: Im Vorjahr wuchs die Wirtschaft laut Wifo um kräftige 4,7 Prozent; heuer sollen es immerhin 0,3 Prozent sein. Auf Quartale betrachtet kam es bisher lediglich im vierten Quartal 2022 zu einer – milden – Rezession. Das heißt, die Energiekrise schlägt zwar durch, aber bei weitem nicht so schlimm wie befürchtet. Bank-Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer erklärt das "mit der fiskalischen Unterstützung durch den Staat". Außerdem seien die befürchteten schweren Energieengpässe ausgeblieben.

4. Der Westen hat entschlossen reagiert

Ja, es gibt viel Uneinigkeit bei der Frage, wie mit der russischen Aggression gegen die Ukraine zu verfahren sei. Staaten wie Ungarn drohen mit Blockaden; international wird etwa über den Umfang von Waffenlieferungen gestritten. Dennoch: Insgesamt reagierten die Staaten des Westens überraschend geschlossen und einheitlich auf Putins Überfall. Das begann beim weithin unerwarteten Ausschluss Russlands aus dem Zahlungsinformationssystem Swift und reicht bis zum internationalen Öl-Embargo Ende des Vorjahres. Stückwerk bleiben die Sanktionen freilich trotzdem – allein deshalb, weil der wichtige Sektor Energie ausgenommen ist.

5. Es herrscht Rekordbeschäftigung

Schlangen vor den Arbeitsämtern; Unternehmen, die massenhaft Leute entlassen: So würde sich die Lage bald darstellen, fürchteten viele, weil Energiepreise und Inflation in bislang ungekannte Höhen schießen. Eingetroffen ist das Gegenteil. Nie zuvor waren so viele Menschen beschäftigt; die Zahl der offenen Stellen lag 2022 auf einem Allzeithoch, was gar von einem veritablen Arbeitskräftemangel zeugt. Es hängt vor allem damit zusammen, dass die Wirtschaftskrise nicht eingetroffen ist (siehe Punkt 3).

6. Europa hat die Versorgung mit Energie schnell diversifiziert

Im Jahr 2020 stammte noch mehr als die Hälfte des in Europa verbrauchten Gases aus Russland. Bis Ende 2022 ist der Anteil auf 13 Prozent gesunken. Eine erstaunlich schnelle Diversifizierung, die vor allem mit Flüssigerdgas gelang. Zwar kommt dieser Rohstoff, der etwa aus den USA und Katar importiert wird, den Europäern teurer als Pipelinegas – und überdies bringt diese Gaswende nichts für den Klimaschutz. Doch zumindest die Abkehr von Russland ist gelungen.

7. Das Energiesystem steht zur Disposition

Eines steht fest: Heute spricht man im Allgemeinen völlig anders über Energie als noch vor einem Jahr. Den Menschen ist bewusst geworden, dass es sich um ein knappes Gut handelt, für das finanziell und geopolitisch ein Preis zu zahlen ist – vom Klimaschaden durch den Einsatz fossiler Energien ganz zu schweigen. Deshalb hat etwa vergangenen Mai die Klimaschutzministerin den Ausbau erneuerbarer Energien zum "nationalen Kraftakt" erklärt. Auch das Energiesparen wanderte weit nach oben auf der politischen Agenda: Immerhin gelang es in Österreich, zehn Prozent des Gasverbrauchs einzusparen. Der Ukraine-Krieg stößt also etwas an hinsichtlich der grundsätzlichen Verfasstheit des Energiesystems. Hoffentlich zum Besseren. (Joseph Gepp, 18.2.2023)