Selenskyj sprach zuerst in München.

Foto: Michael Probst / AP

Zum traditionellen Weiß-Blau, das man in der Münchner Innenstadt gewohnt ist, gesellt sich dieser Tage noch mehr als sonst das Blau-Gelb der Ukraine. Die Fahne weht von Amtsgebäuden und ist zahlreichen Delegierten der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) an die Kleidung geheftet.

Der von Russland vor rund einem Jahr überfallene Staat ist der logische Schwerpunkt einer Konferenz, die sich der globalen Sicherheitspolitik verschrieben und seit jeher von westlichen Staaten dominiert wird. Freilich wird man auf der Konferenz nicht müde zu betonen, dass man den Globalen Süden bei dieser Anstrengung brauche. Auch deshalb will man auf die anderen Krisengebiete der Welt, von Afghanistan bis Haiti, nicht vergessen. Dennoch war es nicht überraschend, dass es sich beim "ukrainischen Offiziellen", der im Programmheft für die Eröffnung angekündigt wurde, um Präsident Wolodymyr Selenskyj höchstpersönlich handelte.

Steilvorlage für Selenskyj

Zuvor stellte aber noch Gastgeber Christoph Heusgen klar, dass der "Zivilisationsbruch", den Russland mit der "Absprechung des Existenzrechts der Ukraine" begangen habe, nicht zu tolerieren sei. Er lud alle Anwesenden ein, sich die Ausstellung zu russischen Kriegsverbrechen im Bayerischen Hof, der Konferenzstätte, anzuschauen, und mahnte abermals die Strafverfolgung der Kriegsverbrechen ein.

Selenskyj tat dann zu Beginn seiner Rede gleich das, was er mit am besten kann: Metaphern und Symbolik einsetzen. Er nutzte die Steilvorlage, die ihm die MSC mit dem Titel der Podiumsdiskussion – Der David am Dnjepr – gab, und wiederholte mehrmals, dass der Goliath besiegt werden müsste.

Versprechen einlösen

An Mut fehle es den Menschen in der Ukraine nicht, aber die Steinschleuder sei noch nicht stark genug, verlieh Selenskyj seinem Wunsch nach mehr und stärkeren Waffen Ausdruck. Vielleicht komme eines Tages ja tatsächlich auch "David's Sling", wie das israelische Flug- und Raketenabwehrsystem heißt, in der Ukraine an, sagte der Präsident. Goliath habe aber bereits begonnen zu verlieren, und man könne den Job noch heuer erledigen, gab sich Selenskyj überzeugt.

"Nicht die westlichen Waffenlieferungen verlängern den Krieg", sagte dann der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz. Das Gegenteil sei der Fall. Und dafür gelte es auch mal, mit deutschen Traditionen wie der Nichtlieferung von Kriegsgerät in Krisengebiete zu brechen. Er forderte jene Staaten, die Leopard-2-Kampfpanzer zugesagt haben, auf, ihren Worten auch Taten folgen zu lassen. Je früher der russische Präsident Wladimir Putin einsehe, dass sein imperialistisches Ziel nicht erreichbar sei, desto eher könne dieser Krieg vorbei sein, so Scholz.

In die gleiche Kerbe schlug kurz darauf Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er forderte mehr Geld für die Verteidigungskraft Europas und mehr Mittel für Innovationen im Rüstungsbereich. Der Kontinent müsste seine Sicherheitsdoktrin überdenken und auch über Mittelstreckenraketen beraten.

Österreich "niemals komplett neutral"

Alexander Schallenberg, der gemeinsam mit Europaministerin Karoline Edtstadler (beide ÖVP) das offizielle Österreich bei der Konferenz vertritt, hat in den nächsten Tagen und Stunden eine ganze Menge an bilateralen Treffen. Besonders spannend dürfte für den überzeugten Multilateralisten das Treffen mit dem chinesischen Staatsrat und früheren Außenminister Wang Yi werden. Schallenberg will China auf dessen "prorussische Neutralität" ansprechen, wie er es nennt. China wisse, dass jeder Tag Krieg "bad for business" sei. Europa wolle das aber freilich auch in Taten Chinas umgesetzt sehen.

Vom STANDARD darauf angesprochen, dass viele in Europa ihre sicherheitspolitischen Traditionen teils radikal abgeändert hätten, wie auch Bundeskanzler Scholz am Nachmittag meinte, sagte Schallenberg, dass dies von Österreich nie gefordert worden sei und dass man grundsätzlich bei allen Partnern sehr viel Lob für den Beitrag bei humanitärer Hilfe ernte. Es sei aber klar, dass man in diesem Krieg "niemals komplett neutral war" – lediglich "militärisch neutral". Denn bei Kriegsverbrechen und Brüchen mit den Grundsätzen der UN-Charta dürfe man nicht wegschauen. Mit konstruktiven Enthaltungen bei EU-Geld für Waffenlieferungen und den Sanktionen fahre man freilich "scharf an der Kante dessen, was die Neutralität zulässt", aber dies müsse man in solchen Zeiten eben manchmal machen.

Gefahren der Digitalisierung

Europaministerin Karoline Edtstadler, die nach einer Last-Minute-Corona-Erkrankung im vergangenen Jahr absagen musste und heuer erstmals dabei ist, freut sich schon auf das "diplomatische Speed-Dating" (Zitat Schallenberg). Edtstadler will die Konferenz und die bilateralen Treffen vor allem für Gespräche zu vier Dingen nutzen: Ukraine, logisch. Chancen, vor allem aber Gefahren der Digitalisierung. Stichwort: Beeinflussbarkeit von Wahlen. Der Kampf gegen Antisemitismus, der in Österreich leicht rückläufig sei, sei ihr wichtig. Und das besondere Anliegen sei wie immer das Netzwerk an starken politischen Frauen zu unterstützen. Die Männer hätten da ein knappes Jahrhundert Vorsprung, dies gelte es aufzuholen. (Fabian Sommavilla aus München, 17.2.2023)