Die Chefdirigentin des ORF-RSO-Wien: Marin Alsop.

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Unlängst im Museumsquartier, bei Offenbachs Operette La Périchole, sorgte Regisseur Nikolaus Habjan für einige Schenkelklopfer. Auch die Mitglieder des ORF-RSO-Wien, im Orchestergraben aktiv, werden da und dort geschmunzelt haben. Nun aber dürfte dem Kollektiv das Lachen vergangen sein, eine üble Tradition erhebt ihr Haupt: Das RSO soll wieder einmal vom ORF eingespart werden.

Am Montag stellte ORF-Generaldirektor Roland Weißmann seine auf Wunsch der Bundesregierung erstellte Liste mit Einsparungen vor. "Es geht hier wirklich um eine Einstellung", kommentierte Angelika Möser, künstlerische Leiterin des RSO, gegenüber der APA die Pläne. Praktisch jedes Land in Europa habe zumindest ein Radio-Symphonieorchester, "wenn man im Musikland Österreich meint, auf das ORF Radio-Symphonieorchester verzichten zu können, dann wäre das ein fatales Signal für die gesamte europäische Musiklandschaft." Doch sei "noch keine Entscheidung gefallen". Am 23. März kommt der ORF-Stiftungsrat zusammen, bis dahin will das RSO um seinen Fortbestand kämpfen. Moser richtet sich in dem Statement dezidiert an das Kunst- und Kulturministerium, es müsse sich zu einem Fortbestand des RSO bekennen. "Die Regierung hat das Heft des Handelns hier in der Hand."

Sehr flexibel

Das Lachen wird auch Stefan Herheim, dem Intendanten des Theaters an der Wien, sowie anderen Leitern von Musikinstitutionen vergangen sein. Der Wegfall des RSO würde tiefe Löcher in Programme schlagen. Das RSO ist nämlich ein musikalischer Grundversorger des Kulturlebens in Österreich und für den ORF, der auch vom Gesetz her ein wichtiger Kulturförderer sein soll, ein Imageträger. Nicht nur Herheims Theater an der Wien (gegenwärtig im MQ) hat große Premierenpläne an das RSO gebunden.

Dem RSO, als wohl flexibelstes Orchester Österreichs, kommt auch im Wiener Konzerthaus und im Musikverein eine wichtige Rolle zu. Man gestaltet mit Abonnements – zu nicht unbedingt marktgerecht hoch angesetzten Gagen – den musikalischen Alltag der Stadt mit.

Essenziell ist die Konzentration auf die zeitgenössische Musik, auch wenn man natürlich das klassisch-romantische Repertoire mitpflegt. Als Advokat der Moderne hat das RSO, das 1969 aus dem Großen Orchester des Österreichischen Rundfunks hervorging und lange Zeit ORF-Symphonieorchester hieß, an die 300 Uraufführungen umgesetzt. Ohne die Aktivität in diesem Bereich hätten wohl bedeutende Werke zeitgenössischer Komponisten und Komponistinnen nie das Licht der Welt erblickt und nicht die Chance bekommen, außerhalb Österreichs bekannt zu werden.

Repertoire lebender Komponisten

Die Verbreitung des Repertoires lebender Komponisten und Komponistinnen genießt bei den Wiener Philharmonikern ja keine Priorität. Auch die Wiener Symphoniker widmen sich der Moderne eher nur am Rande. Schließlich das Klangforum Wien. Es beackert zwar wie das RSO das Feld dar Moderne. Allerdings setzt es Kompositionen um, die nie großsymphonische Besetzungsausmaße annehmen. Das ist die Domäne des RSO-Wien.

Vom hohen Niveau zeugen u. a. Opernpremieren bei den Salzburger Festspielen. Essenzielle Beiträge liefert man auch beim renommierten Festival Wien Modern oder beim vom ORF mitveranstalteten Musikprotokoll im Rahmen des Steirischen Herbstes, das auch schon öfters auf der Sparliste des Öffentlich-Rechtlichen stand.

Das Anspruchsvolle im ORF hat es eben schwer, und auf Worte scheint wenig Verlass. Als der Vertrag von Chefdirigentin Marin Alsop bis 2025 verlängert wurde, freute sich ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher, dass dadurch "der künstlerisch sehr erfolgreiche Weg des RSO fortgesetzt wird". Und ORF-Chef Roland Weißmann bezeichnete das Orchester 2021 bei seinem Hearing noch als Produzent "zeitgenössischer Musik auf Weltniveau" – es schaffe Identität und solle erhalten bleiben. Seine aktuelle Meinung: ORF-Chef Roland Weißmann hofft trotz allem auf einen Fortbestand des RSO. Es sei aber klar, dass der ORF es mit Stand heute nicht finanzieren könne. Immerhin: "Das RSO ist ein wesentlicher Faktor, ein wirklich tolles Orchester. Wir werden jede Maßnahme unterstützen, damit es in Zukunft weitergeführt werden kann."

Bestürzte Reaktionen

Die Kollegen von den Wiener Philharmonikern reagierten bestürzt ob des Sparplans. Demnach stelle das RSO ein "auch weit über die Grenzen des Landes hinaus ein unersetzbares und wichtiges Kulturgut dar, das das Musikleben weltweit seit seinen Anfängen maßgeblich geprägt hat". Die Philharmoniker betonen weiters die Bedeutung des RSO für die zeitgenössische Musik und appellieren an die Kulturpolitik. Jan Nast, Intendant der Wiener Symphoniker, führte gegenüber der APA aus, andere Orchester könnten das RSO auf dem Gebiet der zeitgenössischen Musik nicht ersetzen. Denn die Philharmoniker oder Symphoniker müssten stärker als das RSO darauf achten, Einnahmen zu generieren. "Ein Aus für das RSO wäre ein Bruch in der Welthauptstadt der Musik", wird Nast zitiert.

Für Theater-an-der-Wien-Intendant Stefan Herheim gehört das RSO in einer Reaktion "durch seine kontinuierliche Zusammenarbeit mit dem Theater an der Wien auch zu den weltweit anerkannten Opernorchestern. Es genießt im Inland und Ausland höchste Reputation und sein Bestehen ist maßgebend für den Erfolg des Opernhauses der Stadt Wien. Ein Ende des Orchesters würde das Musiktheater an der Wien künstlerisch und finanziell in ernsthafte Schwierigkeiten bringen und wäre ein kulturpolitisch fatales Signal in einem Land, dessen weltweit anerkanntes, kulturelles Erbe von Institutionen wie der unseren getragen und erhalten wird."

"Ohne das ORF-RSO-Wien wäre die jüngere Musikgeschichte anders verlaufen", sagt Stephan Pauly, Intendant des Wiener Musikvereins. Die IG Freie Theaterarbeit betont den hohen Frauenanteil im RSO und dass es das einzige Berufsorchester des Landes mit einer Chefdirigentin sei.

"Das RSO ist aus der Musikstadt Wien nicht wegzudenken", kommentierte Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ). "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat einen Kulturauftrag, und ich appelliere an die Verantwortlichen, diesen nicht mit Füßen zu treten, in dem sie das Fortbestehen des RSO in Frage stellen. Hier ein rein wirtschaftliches Denken als Maßstab für Entscheidungen anzulegen, deren Auswirkungen weit über den ORF hinausreichen, halte ich für die falsche Herangehensweise." (Ljubisa Tosic, 20.2.2023)