Der schwarz bezogene, schmale Drehsessel hat den Test bestanden. "Schau, der ist gut bei'nander", stellt der weißhaarige Mann mit Bart und petrolfarbener Funktionsjacke fest. Er hat auf besagtem Stuhl Platz genommen und drückt sein ganzes Gewicht hinein. Das Möbelstück erträgt es still.

Szenen wie diese werden sich an diesem Donnerstagnachmittag im Keller von Pavillon 16 auf dem Otto-Wagner-Areal in Penzing noch öfter abspielen. Fast das gesamte Inventar des Gebäudes steht zur Versteigerung – und damit ein Stück Wiener Pandemiegeschichte. Pavillon 16 ist einer von insgesamt fünf Häusern auf dem Gelände, in denen seit Ende 2020 das Labor Lifebrain untergebracht ist. In Corona-Hochphasen wurden dort im Rahmen des Wiener Testprogramms "Alles gurgelt" täglich hunderttausende PCR-Tests ausgewertet.

Große Auswahl für den Sesselkreis.
Foto: Stefanie Rachbauer

Das gehört schon jetzt der Vergangenheit an – und wird es bald noch mehr tun. Aktuell analysiert Lifebrain laut eigenen Angaben pro Tag nur noch 25.000 bis 30.000 Tests. Diese Zahl wird, wenn die Tests Ende Juni stark eingeschränkt werden, deutlich nach unten gehen. Kostenlos sind Tests dann nur noch für Personen mit Symptomen oder hohem Erkrankungsrisiko. Durchgeführt werden sie nicht wie bisher daheim, sondern beim Hausarzt oder im Spital. Das heißt: Auf der Baumgartner Höhe werden künftig noch weniger Proben eintreffen.

Deshalb hat Lifebrain bereits Personal reduziert – von zuletzt 600 auf aktuell 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In Pavillon 17 wurde der laufende Betrieb gebündelt, die übrigen vier Häuser werden sukzessive geräumt und dem Vermieter, dem Wiener Gesundheitsverbund (Wigev), zurückgegeben. Laut Wigev laufen die Verträge für zwei Häuser bis 28. Februar, für zwei weitere bis 30. April und für Pavillon 17 bis 31. Dezember. Das bedeutet: Alles, was nicht zum Gebäudebestand gehört, muss bis dahin raus. Sehr zur Freude des Sesseltesters.

1.700 Posten zu vergeben

Der Mediziner durchforstet den Keller von Pavillon 16 nach Stücken für sein Ärztezentrum in Gumpoldskirchen. "Die meisten Sachen sind ja keine zwei Jahre alt", sagt er. Erfahrung mit Versteigerungen hat der Mann keine, aber er scheint Gefallen daran zu entwickeln. Die Gartensessel und -tische, mit denen die Mitarbeitenden ihre Pausen verbrachten, nimmt er ebenso unter die Lupe wie die Trainingsgeräte aus dem laboreigenen Fitnessraum.

Nicht nur Labor-, sondern auch Fitnessgeräte sind zu haben.
Foto: Stefanie Rachbauer

643 Posten aus Pavillon 16 kommen unter den Hammer: Spinde, Kaffeemaschinen, Inkubatoren, Schütten, Radiatoren, Ventilatoren, Plastikkisten, Defibrillatoren, Erste-Hilfe-Kästen, Whiteboards. Was zu haben ist, ist mit weißen Pickerln gekennzeichnet. Über den aufgedruckten QR-Code kann auf der Auktionsplattform Aurena online mitgesteigert werden.

Insgesamt will Lifebrain so 1.700 Objekte loswerden – angefangen vom Badezimmerregal zum Rufpreis von einem Euro bis zum präanalytischen System mit angeschlossener Zentrifugiereinheit um mindestens 31.000 Euro. Derartige Großgeräte sind allerdings nicht auf dem Otto-Wagner-Gelände, sondern in einem Außenlager im niederösterreichischen Großebersdorf zu sehen.

Auf der Suche nach Andenken

So ein "700-Kilo-Gerät" will sich Anna Edermayr, technische Laborleiterin auf der Baumgartner Höhe, definitiv nicht ins Wohnzimmer stellen. Aber womöglich werde sie sich noch das eine oder andere Andenken aussuchen, sagt die Medizinerin beim Rundgang mit dem STANDARD. Das allmähliche Auflösen des Labors ist für Edermayr mit ambivalenten Gefühlen verbunden: "Einerseits ist schön, dass die Pandemie vorbei ist. Andererseits war das hier schon ein Leuchtturmprojekt."

An manchen Stellen ist Pavillon 16 anzusehen, dass er nicht mehr genutzt wird.
Foto: Stefanie Rachbauer

Pavillon 16 diente wie auch Pavillon 9 als Logistik-Pavillon. Hier wurden die Gurgelproben in eigens konzipierten Holzschütten entpackt und im Inkubator erhitzt – sodass das Virus zwar keine Krankheiten mehr hervorrufen kann, aber das Erbmaterial noch nachweisbar ist. In Metallcontainern wurden die so vorbereiteten Proben dann mit Kastenwägen – die ebenfalls ersteigert werden können – zur Analyse in die Pavillons 15 und 17 gebracht. In Pavillon 18 waren Büros untergebracht.

Preis und Nachhaltigkeit als Motiv

Der Gumpoldskirchner Arzt hat unterdessen weitere Sessel zum Probesitzen gefunden – und fachsimpelt mit zwei anderen Interessenten darüber. Die beiden Männer sind eigentlich wegen der Küchenausstattung gekommen. Er habe ein Lebensmittelgeschäft und ein Restaurant in Wien, erzählt einer. Ins Auge gefasst habe der Kühlschränke und Geschirrspüler. Warum er die hier kaufe? "Für die Umwelt."

In diesen Inkubatoren wurden die Proben erhitzt – und das Virus so unschädlich gemacht.
Foto: Stefanie Rachbauer

Der Nachhaltigkeitsgedanke treibt auch einen anderen Herrn an. Seine Tochter richte sich eine private Werkstatt ein, "da sind die Laborsessel genau richtig", erzählt er im Stiegenhaus. Neu koste ein Exemplar bis zu 300 Euro, bei der Versteigerung hofft er, mit einem Drittel dieser Summe auszukommen. Was der Mann beachten muss: Zusätzlich zur gebotenen Summe werden 18 Prozent Auktionsgebühr und Mehrwertsteuer fällig.

Das weiß der Wiener aber ohnehin: Er ist Auktionsprofi und hat etwa auch schon Gegenstände aus der aufgelassenen Leiner-Filiale in der Mariahilfer Straße ersteigert. Untergebracht hat er sie in seiner Kindergruppe in Mödling: Ein Verkaufspodest dient dort als Spiellandschaft.

Nachnutzung offen

Ob der Mann den Sessel für seine Tochter bekommt, entscheidet sich am Freitag: Da werden die ersten Zuschläge erteilt. Zwei weitere Auktionen gehen übernächste Woche über die Bühne, die Besichtigungen finden am 6. März statt. Weitere Versteigerungstermine seien nicht ausgeschlossen, heißt es vonseiten Lifebrain und Aurena.

Am Donnerstag fand die Besichtigung von Pavillon 16 statt, am 6. März sind in anderen Gebäuden weitere Lokalaugenscheine möglich.
Foto: Stefanie Rachbauer

Wie die bald leeren Pavillons nach der Freimachung genutzt werden, ist weitgehend ungewiss. In Pavillon 15 soll, wie DER STANDARD berichtete, das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands einziehen. Da das Otto-Wagner-Areal ab 2032 nicht mehr als Spitalsstandort genutzt werden soll, würden die übrigen vier Gebäude jedenfalls nicht beim Gesundheitsverbund bleiben, sondern an die Stadt übergehen, heißt es auf Anfrage.

Gehen bei der Versteigerung nicht alle Objekte weg, entscheide Lifebrain, was mit diesen Überbleibseln passiert. Das sei bei sogenannten Auftragsauktionen wie dieser üblich, sagt ein Aurena-Sprecher. Eine Alternative zur Auktion wurde jedenfalls bereits gefunden: Zusätzlich stelle man Mess- und Analysegeräte für medizinische und karitative Organisationen kostenlos zur Verfügung, teilt Lifebrain mit. (Stefanie Rachbauer, 24.2.2023)