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Leopold Kunschak (links) mit Ignaz Seipel (Mitte) bei einer Kundgebung auf der Wiener Ringstraße 1920.
Foto: picturedesk / Gebrüder Schumann

Kunschaks Karriere ist beeindruckend: Mehr als 60 Jahre engagierte er sich bei den Christsozialen. 1945 unterschrieb Kunschak die Proklamation zur Wiedererrichtung Österreichs, zählte zu den Gründern des ÖAAB und der Volkspartei. Er ist für die Konservativen das, was Karl Renner für die Sozialdemokraten war. Dem entsprechend werden in den Nachkriegsjahrzehnten Straßen und Plätze nach ihm benannt, Briefmarken mit seinem Konterfei gedruckt, in der ÖVP-Akademie trägt ein Saal seinen Namen.

ÖVP-Ikone

Nun, 70 Jahre nach seinem Tod, erinnern sich die Konservativen nur ungern an ihren ersten Parteiobmann. Der zuletzt 2016 verliehene Kunschak-Preis wurde diskret abgewickelt. "Er existiert nicht mehr", wie ein ÖVP-Sprecher dem STANDARD bestätigt. Begründet wird das nicht, doch die Ursache liegt auf der Hand: Die ÖVP-Ikone war berüchtigt für einen Hass auf Juden, der eliminatorische Züge hatte.

Kunschaks Idol hieß Karl Lueger (1844– 1910), der als Bürgermeister Wiens massiv auf Antisemitismus setzte und auch den jungen Adolf Hitler beeindruckte. Mit Lueger freundete sich Kunschak schon 1892 an, beim "ersten großen Antisemitenausflug". Wenig später gründete er die Christlich-soziale Arbeiterzeitung, in der Hetze gegen Juden ein fixer Bestandteil waren.

Kunschak stellte sich zwar den Nazis entgegen, teilte aber ihre Ideologie.
Foto: gemeinfrei

Antisemitische Hetze

Mit dem Ersten Weltkrieg radikalisierte sich Kunschak. Damals flüchteten zahlreiche Juden aus östlichen Regionen der Monarchie vor den Kämpfen nach Westen. Offiziell verzeichnete die Hauptstadt etwa 30.000 "Ostjuden". Deren bloße Anwesenheit schlachteten wesentliche Akteure der jungen Republik skrupellos aus. "Die Christsozialen und die Deutschnationalen haben den Antisemitismus als wichtigen Programmpunkt", notierte der Schriftsteller Joseph Roth. "Die Sozialdemokraten fürchten den Ruf einer ‚jüdischen Partei‘."

Vor der Nationalversammlung hielt Kunschak 1920 eine menschenverachtende Rede, die sich wie eine Blaupause für die spätere Nazi-Propaganda liest: "Ostjuden" nannte er eine "Eiterbeule am Körper unseres Volkslebens". Das "arische Wien" sei in Gefahr gewesen: "Der Heuschreck lässt das Land, das er überfallen hat, nicht eher los, als bis er es kahl gefressen hat." Kunschak zielte auch auf "jüdische Intellektuelle (…) die sich hier breitgemacht haben". Ganze Berufsstände seien einer "Verjudung" anheimgefallen. Die Hetze gipfelte in dem Vorschlag: Würden die Juden nicht freiwillig auswandern, sollten sie in "Konzentrationslager gesteckt werden" – und dafür selbst bezahlen. Kunschaks Hass ist Parteilinie: Im Linzer Programm von 1924 wurde die Forderung erhoben, "dass der zersetzende Einfluss des Judentums aus dem Geistes- und Wirtschaftsleben des deutschen Volkes verdrängt werde".

"Dreimal nein"

Kunschak befeuerte den Personenkult um seinen antisemitischen Ziehvater Lueger mit der Errichtung des Denkmals zu Ehren des Bürgermeisters auf dem gleichnamigen Platz. Bei dessen Einweihung 1926 hielt Kunschak die feierliche Ansprache. "Erbe des Luegergeistes!", wurde er später in einer Festschrift tituliert: "Kein Wort könnte Leopold Kunschak besser kennzeichnen."

Der Historiker Kurt Bauer nennt Kunschak dennoch eine "ambivalente Figur", setzte er sich doch für den Erhalt der parlamentarischen Demokratie ein. Bauer verweist auf Kunschaks Reaktion, als Kanzler Engelbert Dollfuß 1933 in einer Klubsitzung von Kontakten zu den Nazis berichtete. "Dreimal nein", rief Kunschak dem Protokoll zufolge. "Ich erkläre, dass ich mich im Kampf gegen die Nationalsozialisten selbst mit dem Teufel in Verbindung setze." Wenig später, als Österreich in den Bürgerkrieg kippte, warnte Kunschak vor einer Katastrophe, "bevor wir an Gräbern stehen und weinen".

Ausgrenzung der Juden

Bei der anschließenden Kruckenkreuz-Diktatur machte er trotzdem mit. Als "Staatsrat" unterstützte er die "durch seinen Märtyrertod geheiligten Ziele" von Dollfuß. Kunschak wollte den Zugang von Juden zu Universitäten und dem öffentlichen Dienst beschränken, jüdische Kinder sollten von nichtjüdischen getrennt werden. Seine Idee von einem "Judenkataster" garnierte Kunschak mit drastischen Worten: Die "Judenfrage" solle auf dem Boden der Vernunft und des Rechtes gelöst werden, andernfalls werde die "Lösung dem Bereich hemmungsloser Brutalität überantwortet". Sein Hass gefiel auch im benachbarten Hitler-Deutschland. Die Zeitschrift Neues Volk, die vom Rassenpolitischen Amt der NSDAP herausgegeben wurde, zitierte einen Appell aus der Kunschak-Zeitung: "Wir lassen nicht mehr von der Judenfrage, fort mit der jüdischen Presse, fort mit den jüdischen Wissenschaftlern und Industriellen!"

"Erbe des Luegergeistes": Festschrift zum 60. Geburtstag von Kunschak.
Foto: gemeinfrei

Neue Belege aus Yad Vashem

Nach dem "Anschluss" Österreichs im März 1938 holten die neuen Herren Kunschak trotzdem zunächst ab. Doch anders als die meisten Wortführer des Ständestaates kam er nicht ins Konzentrationslager. Kunschak lebte bis zur Befreiung weitgehend unbehelligt in Wien. Dass die Juden aus Wien in die Vernichtung deportiert wurden, war Kunschak sicher bewusst. Mehr als 60.000 österreichischen Juden starben in der Shoah, von den Überlebenden kehrten nur wenige zurück.

Kunschak blieb unbelehrbar. Im September 1945 wetterte er auf einer Protestversammlung gegen die Einreise von Holocaust-Überlebenden aus Polen. In Österreich hätten weder einheimische noch fremde Juden etwas zu suchen. Als der Historiker Bauer 2013 im STANDARD auf diese Rede hinwies, erhielt er energischen Widerspruch aus der ÖVP. Nun tauchte ein weiterer Beleg auf. Im Archiv der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem fand der Historiker Florian Wenninger einen Bericht des World Jewish Congress. Zwei Mitarbeiter konfrontierten Kunschak 1945 mit dessen Äußerungen. Kunschak versicherte demnach, er "war immer Antisemit, aber niemals Rassenantisemit". Auf Nachfrage, ob sich seine Judenfeindlichkeit inzwischen modifiziert habe, lautete seine Antwort: "Meiner Meinung nach gibt es in Österreich heute keine Judenfrage mehr."

Der Großteil der österreichischen Juden ist im Holocaust umgekommen. (Oliver Das Gupta, 13.3.2023)