Endlich Frühling! Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern und Allergiker, na ja, sie haben ein Problem. Während sich andere am zarten Grün der ersten Blätter erfreuen, wünschen sie sich am liebsten ihre FFP-2-Maske zurück oder besser noch: ein Lifetime-Abo für Taschentücher. Es ist jedes Jahr das gleiche Bild: Einmal benützt, liegen die weißen Knäuel verstreut in der Wohnung oder türmen sich im Mistkübel.

Aus der Mottenkiste geholt: Stofftaschentücher sind besser als ihr Ruf.
Foto: Getty/Liudmila Chernetska

Was spricht eigentlich noch mal gegen Stofftaschentücher? Ach ja, sie gelten als unhygienisch und altbacken. Werden sie heutzutage aus der Versenkung ausgebeulter Hosentaschen geholt, dann fast immer von Händen älterer Herren. Politiker, Wirtschaftsbosse und der Papst schwören nach wie vor auf den guten Stoff. Hip sieht anders aus. Da hilft beim katholischen Oberhaupt auch keine Imagepolitur mittels AI, die im Netz gerade die Runde macht.

Der KI-generierte Papst in Daunenjacke (links) machte in sozialen Netzwerken die Runde. Im realen Leben (rechts) setzt das kirchliche Oberhaupt mit dem Stofftaschentuch (alt)modische Akzente.
KI-Bild: Twitter / @PopBase, Foto: EPA/Fabio Frustaci

Beim Schnäuzen scheinen die Boomer ausnahmsweise die Nase vorn zu haben – zumindest jetzt noch. Es gäbe nämlich gute Gründe, warum der Klassiker auch bei Jüngeren schon bald ein Comeback feiern könnte. Die Zero-Waste-Bewegung hat Baumwolle und Leinen als ökologischere Alternative längst für sich entdeckt. Online-Stores wie Fazinettel in Österreich oder Stoffi in der Schweiz feiern die altehrwürdige Schnäuztechnik mit nachhaltig produzierten Stoffen. Auch auf Instagram und Etsy blitzen sie immer wieder auf: klassisch kariert, knallbunt oder mit verspieltem Blumendekor.

Auch eine Sammelleidenschaft lässt sich mit Stofftaschentüchern verbinden.

Der Schritt raus aus der Schmuddelecke ist also nur ein kleiner. Schon jetzt bedient sich die Gen Z am Kleiderschrank der Eltern und Großeltern. Sie tragen Sakkos, Blusen, Schnürlsamthosen und cremefarbene Hemden. Wird Gewand doch einmal gekauft, dann immer öfter in Secondhandgeschäften. Der bunte Stilmix mit bereits Getragenem schaut nicht nur schick aus, sondern schont auch die Umwelt. Immerhin sind es laut dem Verein für Konsumenteninformation rund 620 Einwegtaschentücher, die ein Österreicher oder eine Österreicherin pro Jahr verbraucht.

Papier ist praktischer

Vor etwa hundert Jahren traten sie ihren Siegeszug an: Tempo in Europa, Kleenex in den USA und Asien. Schnell aus der Box oder dem Plastiktütchen gezogen, verschwinden sie nach verrichteten Dingen genauso schnell wieder im Mistkübel. Stofftaschentücher wollen hingegen gewaschen und gebügelt werden, eine Arbeit, die tendenziell noch immer öfter von Frauen gemacht wird. Kein Wunder eigentlich, dass gerade sie sich der pflegefreien Errungenschaft zuwandten. Nach Gebrauch entsorgt, hält man sich auch Viren und Bakterien vom Leib.

Wie ist das nun mit der Hygiene? Der mehrmalige Gebrauch ein und desselben Taschentuchs ist für manche nicht nur grauslich, sondern kann auch zu Infektionen führen. Bei einem infektiösen Schnupfen oder bei Corona seien Stofftaschentücher daher nicht zu empfehlen, bestätigt Hygienikerin Cornelia Lass-Flörl von der Universität Innsbruck.

Vivienne Westwood platzierte auf ihren Taschentüchern politische Botschaften.
Foto: Vivienne Westwood / Verstiaire Collective

Anders ist es aber bei Allergien wie Heuschnupfen oder der laufenden Nase im Winter. Nichts davon ist ansteckend. In solchen Fällen könne man guten Gewissens zum Stofftaschentuch greifen. Wie oft dieses gewechselt und gewaschen werden soll, ist wie bei Unterwäsche oder T-Shirts dem eigenen Hygieneempfinden überlassen – im Zweifelsfall also lieber öfter. Ein Waschgang bei 60 Grad ist jedenfalls ausreichend, um Keimen den Garaus zu machen – eine gute Nachricht für all jene, die Bügeln aus Prinzip ablehnen. Aus ästhetischen Gründen ist es dennoch dringend zu empfehlen.

Gut möglich also, dass die karierten Stofflappen aus Großvaters Zeiten wieder öfter in der Öffentlichkeit auftauchen. Man muss sie nicht gerade bei eitrigem Schnupfen aus der Schublade holen, modisch könnten sie in Zukunft aber einiges hermachen, denn Stofftaschentücher bieten Raum für individuelle Spielereien. Seien es Stickereien, ausgefallene Patterns oder poppige Aufdrucke inklusive politischer Botschaften (siehe Vivienne Westwood). Und sollte bei der Wäsche ein Taschentuch versehentlich in der Hosentasche stecken, braucht sich niemand über Papierfussel ärgern. (Gerald Zagler, 8.4.2023)