Foto: Bfi Lehrwerkstatt/Sebastian Freiler

In vielen Gesprächen mit Verantwortlichen für Lehrlingsausbildung manifestiert sich ein nachdenklich machendes Bild. Nahezu jeder Betrieb ab einer mittleren Größenordnung möchte in den nächsten Jahren mehr Lehrlinge ausbilden. Das ist ein löbliches Ziel und natürlich ganz im Sinne der Ausbilderinnen und Ausbilder. Aber: Über einen Ausbau der Ausbildungsressourcen wird in den meisten Betrieben nicht gesprochen.

Von außen betrachtet würde man vermuten, dass die Großen alles richtig machen. Spricht man mit denen, die für die Ausbildung verantwortlich sind, hört man anderes: Kostendruck und zu wenig Mitarbeitende führen dazu, dass die Mittel für die Ausbildung im besten Fall gleich bleiben müssen, sogar Einsparungen stehen im Raum. Doch wenn wir die Anzahl der Lehrlinge erhöhen wollen, dann müssen wir auch auf Zielgruppen zurückgreifen, die wir bisher nicht aufgenommen haben. Die noch mehr Betreuungsaufwand, zumindest am Anfang, brauchen. Die notwendige Weiterentwicklung der Lehrberufe an sich kommt noch dazu.

Ein Ausbildungsleiter bringt es auf den Punkt: "Wir brauchen keine Digi-Schecks, um die Ausbildung auszulagern. Wir brauchen Zeit, um unsere Ausbildung optimal aufzustellen und uns um die Menschen dahinter zu kümmern." Wer junge Menschen am Anfang ihrer Berufslaufbahn nicht ausreichend fördert und wer nicht berücksichtigt, dass der Aufwand für eine gute Ausbildung in Zukunft eher höher als geringer wird, der hat am Ende gar nichts gewonnen. Keine Fachkräfte, denn diese kommen oft schon während der Ausbildung abhanden. Der wird aber auch Gefahr laufen, dass er seine Ausbildungspersonen verliert.

Denn, ebenfalls ein Zitat aus einem renommierten Ausbildungsbetrieb: "Der Zeitmangel und mehrfache Druck wird zunehmend zu einer persönlichen und mentalen Belastung." Vor allem aber wird so das Ziel aller Employer-Branding-Bemühungen rasch konterkariert, denn nicht eingehaltene Versprechungen verbreiten sich schneller als jede Kampagne.

Oben braucht Kontakt zu unten

Die Herausforderung liegt darin, dass die Top-Führungskräfte rausmüssen aus ihren Elfenbeintürmen und Managementblasen. Wer immer nur mit jenen spricht, die gleich (akademisch) ausgebildet wurden und ähnlich denken, der bekommt seine Meinung bestätigt, läuft aber Gefahr, dass die Realität sich völlig anders darstellt, als auf der Homepage formuliert.

Wer mit der Lehrlingsausbildung in seinem Betrieb immer nur auf offiziellem Weg in Berührung kommt, dem könnte das Schicksal aus Des Kaisers neue Kleider widerfahren. Nachdem sich niemand im direkten Umfeld das Thema Kostensteigerungen anzusprechen traut, taucht das Problem erst auf, wenn Aufträge abgelehnt werden müssen oder Qualitätsmängel aufpoppen. Es wird nicht genügen, wenn wir Vorgaben formulieren, ohne die dazugehörigen Ressourcen zu genehmigen und zu überprüfen, was davon in der Realität ankommt. Das gilt nicht nur für die Thematik Lehrlinge, sondern auch für viele Aspekte des New Work.

Investition in die Zukunft

Mystery-Bewerbungen würden rasch zeigen, wie es in ihrem Recruiting wirklich aussieht, wenn beispielsweise eine erfahrene Bilanzbuchhalterin gerne einen Tag Homeoffice hätte. Kann das scheitern? Ja. Sogar an der technischen Infrastruktur. Alles schwer vorstellbar für die Vorstandsetage, weil ihre Ausstattung natürlich State of the Art ist. Viele Mitarbeiter müssen aber mit ganz anderen Bedingungen klarkommen und tun das auch, weil es eben immer so war. Neue Mitarbeiter von außen sehen das klarer und vor allem: Sie haben die Wahl.

Wir brauchen also viel mehr Dialog mit jenen, die täglich mit diesen Herausforderungen umgehen müssen. Und wenn wir immer hören, dass wir alle die besten Fachleute brauchen, dann muss uns deren Ausbildung auch etwas wert sein. Und darf nicht daran scheitern, dass man trotz immer noch beachtlicher Gewinne nicht bereit ist, im Recruiting zusätzliche Kapazitäten zu genehmigen. Um beispielsweise mehr Jugendliche zum Schnuppern einladen zu können und weniger über die Zeugnisse aussieben zu müssen. Ermöglichen wir den Mitarbeitenden auch, den großen Plänen Taten folgen zu lassen. Sonst bleiben es am Ende nur leere Pläne und Konzepte, ohne neue und qualifizierte Mitarbeiter. (Robert Frasch, 31.3.2023)