Die Berge der Catskills speisen die Wolkenkratzer der New Yorker mit Wasser.

Foto: Getty

Droht der Welt ein Wasserkollaps? Drei Tage lang stand New York im März im Zeichen des Wassers. Tausende Delegierte aus 170 Nationen tauschten sich im Hauptquartier der Vereinten Nationen über Wege aus der Krise aus. An einem gemeinsamen Tisch: Länder, die unter massivem Mangel an Wasser wie dessen Verseuchung leiden, und Staaten, für die Überfluss daran zusehends zur Bedrohung wird.

Wie geht New York mit der sensiblen Ressource um? Eine Küstenmetropole, die Forschern zufolge in einigen Jahrzehnten selbst regelmäßig unter Wasser stehen könnte?

Wer den Spuren des Trinkwassers der Millionenstadt folgt, lässt die von Meer, Flüssen und Wolkenkratzern geprägte City weit hinter sich. Einmal raus aus den Häuserschluchten, wird es rasch ländlich.

Gut 25 Kilometer außerhalb New Yorks flanieren Familien nach einem kurzen steilen Anstieg über die 138 Jahre alte Staumauer des Kensico-Reservoirs. 160 Kilometer weiter, im dünn besiedelten Landesinneren, vorbei an noblen Ferienhäusern und verschlafenen Provinznestern, ruht Wasser, so weit das Auge reicht.

Vier Milliarden Liter täglich

Was Rax, Schneeberg und Hochschwab für die Wiener, das sind die Catskills für die New Yorker. Worin sich das Trinkwasser beider Städte jedoch deutlich unterscheidet: Jenes der Wiener entspringt Quellen. New York versorgt seine mehr als 8,5 Millionen Einwohner hingegen mit Wasser aus Stauseen, die von Flüssen und Bächen gespeist werden.

Vier Milliarden Liter Wasser verbrauchen die New Yorker täglich. Bis in die höchsten Stöcke der Wolkenkratzer fließt es mit einer Zuverlässigkeit, von der andere kommunale Infrastrukturbetreiber nur träumen können. Der Ursprung des Wassers sei aber den wenigsten Einwohnern des Big Apple bewusst, bedauert John Milgrim, während sein Blick über die Ausläufer der von Laubwäldern bedeckten Berge schweift.

Milgrim, einer der Direktoren der Wasserversorgung der Stadt, erzählt von einer Hassliebe der Landbevölkerung zu dem mächtigen Stausee.

Wasser für die Metropole

1907 gebaut, flutete das Reservoir Catskills etliche Dörfer. Heute liefert es fast 40 Prozent des Wassers der New Yorker. Die Wasserwerke seien seit Generationen der größte Arbeitgeber der Region, betont Milgrim. Wie schon sein Vater stehe auch er zeit seines Berufslebens im Dienste der Versorgung der Hauptstadt.

16 Stunden braucht Wasser, um von Schneeberg und Rax bis nach Wien zu fließen. Gut drei Tage lang strömt es, immer der Schwerkraft nach, von den Hügeln der Catskills in die Höhen und Tiefen New Yorks.

Als Meisterwerk der Ingenieurskunst galten die 150 Kilometer langen Aquädukte Anfang des 20. Jahrhunderts. Und mancher Amerikaner zog mit Blick auf damit verbundenen technischen Herausforderungen Vergleiche zum Panamakanal.

Nicht gefiltert

Was das New Yorker Wasser mit dem Wiener verbindet: Beide werden nicht gefiltert. In den USA gilt das Wasser der Catskills, direkt aus der Leitung getrunken, aus diesem Grund als eines der besten des Landes. Milliarden Dollar flossen in den Schutz der Wälder und Feuchtgebiete entlang der Wasserläufe, um die Qualität des Oberflächenwassers soweit es geht zu bewahren.

Mit dem Geschmack des Wiener Wassers hat es dennoch wenig gemein. Dafür sorgt die Beigabe von Chlor, Fluorid, Orthophosphat und Natriumhydroxid. Letztere zwei dienen dazu, die Freisetzung von Kupfer und Blei aus alten Rohrleitungen der Gebäude zu reduzieren.

Kontrovers diskutiert wird unter den New Yorkern der gesetzlich vorgeschriebene Zusatz von Fluorid. Die künstliche Beimischung soll vor Zahnzerfall schützen. Über Sinn und Unsinn der Zwangsmedikation sind sich Wissenschafter uneinig,

Leicht, in der Regel kaum wahrnehmbar gechlort wird Wasser, um es zu desinfizieren, teils auch in Österreich. Für den gleichen Zweck kommt in Wien wie in New York ultraviolettes Licht zum Einsatz.

Rund 130 Liter Wasser verbraucht ein Wiener im Schnitt am Tag. Auf mehr als 400 Liter kommt ein New Yorker, wobei Großabnehmer wie Industrie und Gewerbe darin eingerechnet sind. Die amerikanische Metropole wuchs – ihr Wasserkonsum hingegen nahm ab, erläutert Milgrim. Innerhalb der vergangenen 50 Jahre sei der Verbrauch um die Hälfte gesunken, was vor allem auf bessere Leitungen und sparsamere Hydranten zurückzuführen sei.

Kilometerlange Schutzwälle

Der Klimawandel fordert Wien wie New York. Anders als weite Teile Europas kämpft die Ostküste der USA gegen zu viel Wasser. Der steigende Meeresspiegel nagt an Manhattan. Wiederkehrende Überflutungen zwingen die Stadtregierung zum Bau kilometerlanger Schutzwälle. Die Effizienz der Befestigungen am East River ist umstritten.

Unübersehbar sind die Folgen der Klimakrise für die Trinkwasserversorger der City. Vermehrte Niederschläge und das Eindringen von Salzwasser mindern seine Qualität.

Der UN-Gipfel am East River endete mit einem globalen Weckruf und freiwilligen Selbstverpflichtungen der 170 teilnehmenden Nationen. Alle Hoffnung für die Menschheit hänge von einem Kurswechsel ab, zog UN-Generalsekretär António Guterres Bilanz. (Verena Kainrath aus New York, 3.4.2023)