"Terra Nil" kann als Beispiel für Solarpunk gesehen werden. Und als ein ideales Spiel für Ein- und Aussteiger.

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Stress im Job, Freizeitstress durch stressige Games und dann auch noch die Zukunftsangst, die in globalen Bedrohungen wie Klima-, Arten- und Wasserkrise besteht ... Hilfe, wie kommen wie da bloß wieder raus? So oder so ähnlich dürften wohl die Überlegungen gewesen sein, als man sich beim Developer Free Lives (die Macher von "Gorn" und "Broforce") für die Entwicklung von "Terra Nil" entschied.

DevolverDigital

Bei "Terra Nil" geht es darum, nach der Öko-Apokalypse zerstörte Landschaften wieder ergrünen zu lassen und mit tierischem Leben zu bevölkern. Erhältlich ist das Spiel für Windows, Mac und Linux via Steam (24,99 Euro), wo es bei über 1.400 Bewertungen im Schnitt neun von zehn Punkten erhalten hat. Außerdem ist das Spiel auf iOS- und Android-Smartphones gratis in jedem Netflix-Abo enthalten. DER STANDARD hat "Terra Nil" auf Windows und Android getestet, der Fokus des Tests lag auf der PC-Version.

Ein Musterbeispiel des Solarpunk

Neben Steam- und Cyberpunk ist der Solarpunk eine noch eher unbeachtete, aber eigentlich wichtige künstlerische und literarische Bewegung, die sich dem Zusammenspiel aus Technologie und ökologischer Nachhaltigkeit widmet. In "Terra Nil" ist es für die Nachhaltigkeit ein bisschen zu spät, weil wir uns in diesem Spiel auf einem bereits zerstörten Planeten befinden – dennoch kann das Game fast schon als Musterbeispiel der Bewegung gesehen werden, weil die Welt hier mit Technologie gerettet werden soll.

Die Erklärungen zum Spiel sind charmant und verständlich.
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So entscheidet man sich zu Beginn zwischen drei Schwierigkeitsgraden und findet sich auf einer trostlosen braunen Karte wieder. Im ersten Schritt werden erneuerbare Energieformen – etwa Windräder – platziert, die weitere Geräte mit Strom versorgen. Dazu gehören etwa Maschinen, die den Boden reinigen, und welche, die die fruchtbare Erde anschließend begrünen. Pumpen lassen Wasser wieder durch ausgetrocknete Flussbette fließen, geschickt platzierte Bienenstöcke lassen Blumen aus dem Boden sprießen.

Sind am Ende einer jeden Mission auch noch die ersten Tiere auf die Karte zurückgekehrt, so packen wir alle Geräte wieder in ein Luftschiff, heben mit diesem ab – und überlassen die Natur ihrem Schicksal.

Entspannendes Abbauspiel

"Terra Nil" würde theoretisch in die Kategorie der Aufbauspiele passen – nur ist es eigentlich keines, sondern vielmehr ein Abbauspiel. Denn den Anfang jedes einzelnen Levels verbringt man damit, den Dreck der Menschen zu entfernen, am Ende einer Mission ist man eine gute Zeit mit dem Einpacken der eigenen Gerätschaften beschäftigt. Und dazwischen werden kontrollierte Feuer gelegt, um anschließend Wälder zu pflanzen und so Lebensraum für die entsprechenden Tiere zu schaffen.

Das selbstgelegte Feuer ist dabei der einzige Faktor, durch den es in "Terra Nil" ein wenig hitziger zugeht. Denn Katastrophen oder unvorhergesehene Ereignisse gibt es in diesem Spiel nicht. Auch keine komplexen Rohstoff- und Produktionsketten. Und auch keinen Zeitdruck. Stattdessen spielt man in "Terra Nil" bei beruhigendem Soundtrack in der selbstgewählten Geschwindigkeit vor sich hin und lässt die Welt schrittweise wieder ergrünen. Und ist das Luftschiff schließlich abgeflogen, kann man noch in Ruhe das Tierleben beobachten – so lange man will, ganz ohne Zeitstress.

Wiederspielbares Puzzle-Game

Die recht geringe Komplexität wiederum bietet freilich auch Raum für Kritik. So dürfte dieses Spielprinzip gerade Fans von Hardcore-Strategy-Games eher abschrecken, streng genommen ist das Spiel mehr ein Puzzle- als ein Aufbauspiel. Und wer Aufregung oder Spannung sucht, der ist bei "Terra Nil" sowieso an der falschen Adresse.

Wer eine Mission geschafft hat, darf anschließend in Ruhe den Anblick der Natur genießen.
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Bemängeln könnte man außerdem, dass es nur vier unterschiedliche Landschaftstypen ("Biome") gibt: ein Tal, eine Insel, einen Gletscher und eine überflutete Stadt. Allerdings werden die Level jeweils prozedural generiert, jede Karte ist also anders als die vorherige. Und dadurch ist eine gewisse Wiederspielbarkeit gegeben.

All dies gilt übrigens für die PC- ebenso wie für die Netflix-Version, wobei Letztgenannte in den Google- und Apple-Stores schlechtere Bewertungen sammelt als die Steam-Version. So beklagen Nutzinnen und Nutzer teils Abstürze und einen starken Akkuverbrauch. Das erstgenannte Problem konnten wir im Test nicht verifizieren, das zweite schon.

Fazit: Ideal für Ein- und Aussteiger

Auf einem Workshop wurden wir zuletzt gefragt, was das beste Spiel für Einsteiger sei. Eine konkrete Antwort hatten wir damals nicht bei der Hand – aber heute würde ich sagen, dass "Terra Nil" definitiv in diese Kategorie fällt.

Mit dem fairen Preis und den niedrigen Systemanforderungen kann jedermann das Spiel auf dem PC installieren, und wer ein Netflix-Abo hat, der kann es sowieso gratis installieren. Alle Elemente des Spiels werden ausführlich erklärt, generell ist das Spielprinzip einfach zu verstehen. Zeitdruck gibt es keinen, Fehler können rückgängig gemacht werden. Und die drei Schwierigkeitsgrade erlauben es auch, zuerst zu lernen, bevor man in den schwierigeren Modi auch mal Landschaften so gestaltet, dass man die passenden Lebensräume nicht mehr sinnvoll errichten kann.

Dass das Spiel so ruhig, so entspannt, so verzeihend gegenüber der Person vor dem Bildschirm ist, macht es zu einem idealen Einstiegspunkt für Menschen, die ihre Gaming-Karriere nicht mit "Candy Crush" oder "Temple Run" beginnen wollen. Und gleichzeitig zum perfekten Ausstiegsszenario für alle, die nach einem stressigen Tag einfach entspannen und von einer heilen Welt träumen wollen. (Stefan Mey, 3.4.2023)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die PC-Version des Spiels wurde dem STANDARD vom Publisher Devolver Digital zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.