Eines der einst schönsten Chinarestaurants Wiens, in der Himmelpfortgasse, wurde nach jahrelangem Umbau sehr schwarz-gold und samtig.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Das Chinarestaurant an der Ecke Schellinggasse und Himmelpfortgasse war seit Jahrzehnten eine Besonderheit: Top-Innenstadt-Location (okay, die hat das Shanghai in der Jasomirgottstraße auch), fantastisch geschnittenes, lichtdurchflutetes Ecklokal mit extrem hohem Plafond und charmantem Runderker, vor allem aber keine Spur von Drachenfolklore und anderem China-Klimbim. Sondern ein wirklich wunderschöner, alt-wienerischer Gastraum mit Fischgrätparkett und 1950er-Thonets an vorzugsweise runden Tischen.

Weil gut chinesisch essen konnte man hier schon lang, am besten natürlich an runden Tischen samt "Lazy Susan"-Drehplatten, "cānzhuō zhuànpán" auf Mandarin. Das sind die auf maximale Erreichbarkeit gleichzeitig eingestellter Speisen konzipierten Kreiseltabletts in der Tischmitte. Schöner wurde der Ort durch den Umbau nicht, das konnte man über die vergangenen Jahre immer deutlicher erkennen: Im Zuge endlos scheinender, mehrfach ausgeweiteter Renovierungsarbeiten wurde hier nach und nach wirklich alles herausgerissen, was an alter Substanz noch vorhanden war.

Jetzt gibt es dafür Fußbodenheizung unter einem in Fliesenoptik verfugten Boden, bunte Stühle in Samtanmutung und schwarz gestrichene Wände, dazu allerhand Deko-Elemente, Schriftzüge und Raumtrenner in diversen Goldtönen. Die Tische sind mattschwarz furniert, sodass Fettschlieren – die beim Sichuan-Festmahl unvermeidlich sind – besonders gleißend herausleuchten. Rund sind nur noch ganz wenige, die dafür riesenhaft groß. Man sollte schon zu zehnt sein, um an ihren Ufern nicht einsam und verloren zu wirken.

Aber das Verhunzen und Wegrenovieren historisch schöner Lokale ist in Wien nachhaltig gepflegte Tradition, die Betreiber des Chuan haben sich insofern bloß den örtlichen Gepflogenheiten angepasst. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Der Chefkoch ist derselbe geblieben, und der kann es wirklich.

Gefüllte Teigtaschen

Shanghai Xiao Long Bao, die vielgerühmten, mit Suppe und Fleisch gefüllten Teigtaschen, die vor dem Auszuzeln kurz in schwarzen Essig getunkt werden, gelingen ganz wunderbar. In Germteig gehüllte gehackte Grammeln mit Pilzen und fermentierten schwarzen Bohnen (Jiang Rou Bao) will man auch haben – luftiger Teig, würzig fette Fülle, eine Art Grammelknödel auf Speed, richtig gut.

Schweinsripperln in süßsaurer Sauce werden vom Service empfohlen, die Sauce ist auch richtig scharf essigsauer, die Ribs, laut Karte vom Iberico-Schwein, fallen aber durch deutlichen Ebergeschmack auf – muss man mögen. Viel besser: Tofutaschen mit einer Fülle aus Oktopus und Garnele in milder, zart meeresfruchtiger Sauce mit Pak Choi, Buchenpilzen und Bambussprossen – wolkig zarte Protein-Gnocchi in Kombination mit knackigem Grünzeug. Dan Dan Nudeln mit Schweinefleisch, Chili, Sichuanpfeffer, Zimt und Sternanis mit getrockneten und fermentierten Senfstängeln (Sui Mi Ya Cai) sind fast so würzig, wie sie klingen – insgesamt aber nicht ganz so gut wie in der famosen China Kitchen auf der Wienzeile. Dafür aber haben die Nudeln hier besseren Biss.

Wolfsbarsch nach Art des Hauses in Chiliöl geschmort.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Wildes Feuerwerk

Im New Sichuan war der Karpfen nach Art des Hauses zu Recht gerühmt, im Chuan aber ist er, leider, von der Karte verschwunden. Stattdessen gibt es jetzt Wolfsbarsch nach demselben Rezept, in Chiliöl geschmort, schillernd vor Gewürzen wie Kreuzkümmel, Sichuanpfeffer, fermentierten Bohnen und mehr, mit Reisnudeln, Tofuhaut, Broccoli, frischen wie getrockneten Pfefferoni, Ingwerstiften und mehr angereichert. Zündet ein wildes Feuerwerk am Gaumen, nur der Wolfsbarsch ist so klein, dass gleich zwei davon in die Portion gepackt werden müssen (siehe Bild) . Die allerbesten Stücke, ob Kragen, Bauch oder der Muskel an der Seitenflosse, geraten damit aber so mickrig, dass man im Wesentlichen nur Gräten im Mund hat. Ein Trost: Wer rechtzeitig vorbestellt, kann sich auch weiterhin am Karpfen laben! (RONDO, Severin Corti, 7.4.2023)