Vor der ersten Schleuse haben alle Bammel. Selbst Manno, der Hausbootvermieter von Locaboat, warnt uns schmunzelnd vor: "Direkt am Wasser liegt ein kleines Café, die Einheimischen schauen den Urlaubern gern zu, wie sie das machen." Alles klar, wir stellen uns schon einmal darauf ein, zum allgemeinen Gespött zu werden. 2,90 Meter über Wasser hoch ist unser schwimmendes Ferienhaus, 11,8 Meter lang, Schiffsführerschein brauchen wir keinen, Vorkenntnisse auch nicht. Ein wenig nervös sind wir trotzdem: Direkt vor uns im Hafen wirkt unser Boot durchaus imposant. Um es sicher durch alle Schleusen zu bekommen, müssen wir zu dritt im Team arbeiten.

Keine Bremsen

Ein Trockenkurs und eine Runde auf dem Wasser mit Manno – dann geht es auch schon los. Loosdrecht ist ein idealer Startpunkt, die niederländische Gemeinde liegt inmitten von fünf Seen und Teichen, es gibt also genügend Platz, um zu lernen, anderen Schiffen auszuweichen. Die Sonne strahlt, die Sommerhäuser auf den Inseln ringsum erinnern an Skandinavien. Wir tuckern gemächlich mit zehn Kilometern pro Stunde dahin, Bremsen gibt es keine, einfach runter vom Gas und notfalls dann den Rückwärtsgang einlegen. Es gibt zwei Möglichkeiten, das Boot zu steuern, vom Sonnendeck aus und, sollte das Wetter schlecht sein, unten im überdachten Bereich.

In den Niederlanden gibt es Wasserstraßen in der Länge von 3.000 Kilometern, ein dichtes Netz aus Flüssen, Kanälen, kleinen Seen und Poldern spannt sich von der Nordsee bis zum Ijsselmeer. Preise ab € 1.309 pro Woche; ein Boot für vier bis sieben Passagiere in der Hauptsaison kostet € 2.275 pro Woche. Fällig werden zudem Kraftstoff- und Liegegebühren. www.locaboat. com
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Bald wird die Wasserführung schmäler, wir sind im ersten Kanal. Kühe liegen malerisch im Gras, kauen gelangweilt und wenig beeindruckt. Dann, direkt vor uns, die erste Schleuse. Die Ampel springt auf Grün, das bedeutet: Langsam reinschippern, einer macht das Boot vorn fest, einer hinten. Das Seil über einen Haken an der Wand werfen und dann das Schiff an den Rand ziehen. Um einen Knoten zu üben, machen wir das Seil kurz am Boot fest. Sofort bleibt ein netter älterer Herr mit seinem Fahrrad stehen und sagt: "Sie müssen das Seil in der Hand halten, sonst haben Sie später Probleme." Stimmt! Wenn der Wasserstand sinkt oder steigt, dann muss man mehr Seil geben können.

Durchatmen in der Gracht

Auf dem Weg nach Utrecht passieren wir zahlreiche Brücken. Jede ist anders, manche klappen auf, andere heben sich einfach ein paar Meter gerade in die Höhe. In einigen sitzt eine Wärterin oder ein Wärter in einem Häuschen, bei anderen muss man anrufen, und dann gibt es welche, bei denen einen Knopf zu drücken ist. Auch das ist ein Abenteuer, das Boot so exakt hinzusetzen, dass einer an Bord es schafft, den roten Knopf zu betätigen. Von der versprochenen Entschleunigung merken wir am ersten Tag wenig, vor allem sind wir spät dran. Und um 19 Uhr schließen alle Schleusen und Brücken. Dann gibt es kein Weiterkommen mehr. Ein wendiges einheimisches Boot hilft uns und drückt rechtzeitig den Knopf.

In Utrecht können wir durchatmen. Wir haben es punktgenau geschafft, machen nicht im Hafen fest, sondern in einer ruhigen Gracht, was ohnehin viel schöner ist. Ein paar Minuten zu Fuß, und schon sind wir im belebten Zentrum der Studentenstadt, die wie Amsterdam in Klein wirkt. Deshalb sind Hausbootreisen in den Niederlanden so abwechslungsreich: Während man in Frankreich eher in der Natur herumtuckert, ist man hier auf dem Wasser und zugleich nie weit von der nächsten Metropole entfernt. Tagsüber an Bord relaxen, abends und morgens eine Stadt erkunden.

Der erste Flash dann nach dem Aufwachen: Die Vögel zwitschern, ein paar Jogger sind unterwegs, direkt neben dem Boot schattige Bäume und eine Wiese. Wir verstehen, warum Hausboote seit der Pandemie boomen. Man ist seine eigene kleine, unabhängige Insel. Abseits von Trubel und Hektik lässt sich mit dem Boot ein Platz zum Chillen finden. Geschlafen haben wir tief, Ohropax waren trotzdem eine gute Idee, weil die Wände an Bord extrem hellhörig sind. Landstrom haben wir schon gestern angehängt – wichtig, um sein Handy aufzuladen –, Wasser ist aufgefüllt.

Holland von seiner freundlichen Wasserseite

Die Weiterfahrt geht erstaunlich locker von der Hand. Es ist Samstag, die Einheimischen machen es sich in ihren Landhäusern am Wasser bequem. In den Niederlanden hat man nichts zu verstecken, typisch protestantisch, die großen Fenster haben keine Vorhänge. Wir tuckern mit dem Boot vorbei, sehen den Familien beim Kochen, Lesen, Staubsaugen zu, die damit kein Problem zu haben scheinen. Wohlhabende Kids haben das Boot der Eltern ausgeliehen, um anzugeben, Musik zu hören und heimlich zu trinken. Und jeder winkt uns freundlich zu. Sicher, weil erst Vorsaison ist, könnte man meinen. Aber eine Mitreisende klärt auf, dass es im Hochsommer genauso ist. An so viel Freundlichkeit müssen wir uns erst gewöhnen.

In Holland führen enge Kanäle wie anderswo Schotterstraßen durch grüne Wiesen. Unterwegs trifft man oft auf schwimmende Häuser wie dieses fröhlich beflaggte im Snekermeer.
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Mit dem Auto würde man an Häuserfronten vorbeifahren, gar nicht mitbekommen, wie schön die Anlegestellen in den Gärten sind, wie idyllisch alles am Wasser liegt. Mit dem Hausboot erlebt man die Niederlande von ihrer eigentlichen, ihrer maritimen Seite. Man versteht den holländischen Witz: Gott hat die Welt erschaffen, aber die Holländer die Niederlande. Mühsam wurde das Land dem Wasser abgetrotzt, durch den Bau von Dämmen, Deichen und Kanälen bewohnbar gemacht. Rund ein Viertel des Landes liegt unterhalb des Meeresspiegels.

Herrlich verschlafen

Nächster Stopp: die beschauliche Kleinstadt Oudewater, bekannt für sein Hexenmuseum. In den Niederlanden ist Massentourismus häufig, vor allem Amsterdam ist schrecklich überlaufen. Oudewater dagegen wirkt herrlich verschlafen, trotz Wochenende wirkt es, als würden um 22 Uhr die Gehsteige hochgerollt. Bis auf ein paar Jugendliche, die noch unterwegs sind.

Am nächsten Morgen erwartet uns eine der wenigen Brücken, an denen man die Maut noch wie früher bezahlt. Auf der Hoenkoopsebrug steht der Wärter mit einer Angel, an der ein Holzschuh befestigt ist. Er schleudert ihn uns zu, wir werfen zwei Euro in die Pantolette.

Wir sind fast schon am nächsten Ziel, in der Käsestadt Gouda, als auf einer Brücke zwei rote Ampeln leuchten. Ein schlechtes Zeichen. Auf telefonische Nachfrage heißt es, die Brücke sei kaputt, aber morgen um acht in der Früh werde sie wieder gehen. Das klingt nach Ausrede. Keine Reparaturarbeiten sind zu beobachten. Schwänzt da wer, um das schöne Wetter zu genießen?

Fahrrad, Gouda, echt Holland

Zum Glück ist unser Relax-Level bereits sehr hoch. Man lernt beim Hausbootfahren, Dinge zu nehmen, wie sie kommen. Der Weg ist das Ziel, Stress bringt nichts. Wir legen an einem Steg neben einem Sportplatz an. Es fühlt sich verboten und abenteuerlich an, obwohl ein Schild ohnehin anzeigt, dass Parken erlaubt ist. Mit unseren Fahrrädern, die wir dabeihaben, radeln wir einfach nach Gouda. Ohnehin der beste Weg, um sich wie eine echte Holländerin zu fühlen. Jede und jeder hat hier ein Fahrrad.

Gouda ist schön, aber sehr touristisch. Wir erkunden lieber das Umland per E-Chopper-Tour. Mit Easy-Rider-Feeling gleiten wir lautlos an einer Bilderbuchlandschaft vorbei, die nicht nur Windmühlen zu bieten hat: Überall kleine Kanälchen, Reiher stehen im Wasser, Entenfamilien tummeln sich, und das Grün ist so saftig, dass man beinahe glaubt, in einer künstlichen Inszenierung zu sein.

Das letzte Teilstück mit dem Boot nach Leiden ist noch einmal spannend. Eine Brücke hat wegen Bauarbeiten nur von elf bis zwölf Uhr geöffnet. Werden wir es schaffen? Es warten bereits riesige Tanker. Wir fahren im Konvoi mit, als hätten wir nie etwas anderes gemacht, als Hausbootkapitän zu sein. Ahoi! (RONDO, Karin Cerny, 16.4.2023)