Das vom Hinduismus inspirierte "Raji: An Ancient Epic" ist nur eines von vielen Indie-Games, die im Netflix-Abo zu überzeugen wissen.

Foto: Nodding Heads Games

Die Videothek ist tot, und Netflix ist der Mörder. Für die meisten Menschen gehört der Streamingservice aus den USA inzwischen zum Alltag – es ist aber noch nicht so lange her, dass die disruptive Macht des Streamingservices das heißeste Thema in den Wirtschaftsredaktionen dieser Welt war. So wie Netflix Fernsehen und Kino für immer veränderte und Nachahmer wie Amazon Prime oder Disney+ auf den Plan rief, so folgte kurz darauf Spotify, um das digitale Geschäftsmodell von iTunes für altbacken zu erklären. Apple wiederum konterte mit einem eigenen Musikstreaming.

Dieses Hin und Her ist längst auch in der Gamingwelt angekommen, und schon länger wird die Frage diskutiert, wer denn dieses "Netflix für Gaming" bereitstellen könne: einen Abodienst also, bei dem Gamerinnen und Gamer gegen eine monatliche Gebühr ohne zusätzliche Kosten auf einen großen Spielekatalog zugreifen können.

Xbox, Playstation und andere

Lange sah es so aus, als würde Microsoft dieses Rennen gewinnen. Und noch immer ist der Xbox-Konzern mit seinem Gamepass so etwas wie der Platzhirsch der Spieleabos. Gegen eine monatliche Gebühr erhält man hier Games für PC oder Konsole oder kann diese aus der Cloud streamen.

Sony ruhte sich lange Zeit auf seinem bestehenden Playstation-Plus-Angebot aus, das auch verpflichtend nötig ist, wenn man auf der Konsole online im Multiplayer spielen will. Inzwischen hat man gegenüber dem direkten Konkurrenten nachgerüstet und bietet ein mehrstufiges Modell mit einer größeren Auswahl an Spielen. Und dann sind da natürlich noch Apple und Google, die Abos für Mobile Games anbieten.

Netflix ist das Netflix des Gamings

Oft vergessen wird dabei ein Player, der gute Chancen hat, das Netflix des Gamings zu werden – nämlich Netflix selbst. Dieser ermöglicht es seinen Abonnentinnen und Abonnenten nämlich, über die mobile Netflix-App im Abo integrierte Smartphone-Spiele zu finden und kostenlos zu installieren. Ohne Werbung, ohne zusätzliche Kosten.

Das Angebot ist vielen Menschen noch immer nicht bekannt, sie reduzieren den Konzern nach wie vor auf Filme und Serien. Dabei ist der Zugang erstens sehr niederschwellig, weil die meisten Meschen heutzutage Smartphones besitzen und oft auch damit umzugehen wissen. Zweitens ist es beeindruckend, mit welch qualitativ hochwertigen Titeln der Netflix-Spielekatalog zuletzt gewachsen ist.

Feine Indie-Auswahl

So wurde bereits im Vorjahr das rundenbasierte Strategiespiel "Into the Breach" in das Netflix-Abo integriert. Anfang 2023 folgte überraschend eine mobile Version des unter Kritikern und Fans gleichermaßen gefeierten Koop-Prügelspiels "Teenage Mutant Ninja Turtles: Shredder's Revenge".

Netflix

Dann kam im März das ebenfalls hochgelobte "Terra Nil" ins Netflix-Abo. Und erst vergangene Woche brachte man mit dem im indischen Pune entwickelten und vom Hinduismus inspirierten "Raji: An Ancient Epic" ein Action-Adventure ins Repertoire, das ironischerweise zuvor in Microsofts Gamepass vorzufinden war, dort nun aber nicht mehr integriert ist.

Keines dieser Spiele ist ein Blockbuster. Sie alle haben aber gemeinsam, dass sie von Fans und Kritikern geliebt werden und Bestbewertungen kassieren. Es sind Indie-Games, die gelungen sind. Und diese feine Auswahl lässt immer mehr den Eindruck entstehen, dass bei Netlfix ein Team sitzt, das wirklich etwas von Games versteht.

Netflix-Games auf dem Fernseher

Nun ist es so, dass das Smartphone eines der beliebtesten Spielgeräte unserer Zeit ist. Es ist immer verfügbar, seine Bedienung ist leicht zu erlernen, und der Spielekatalog ist groß – auch jener an von Glücksspielmechanik, Mikropayments und Pornowerbung durchsetztem Trash, mit dem der anspruchsvolle Netflix-Katalog in Konkurrenz steht.

Die Zeichen mehren sich aber, dass Netflix Gaming auch auf jene Plattform bringen könnte, auf der der Streamingdienst ohnehin zu Hause ist: dem Fernseher. Das wäre nicht nur sinnvoll, weil man die Kundinnen und Kunden dort abholen würde, wo sie ihre Freizeit verbringen – es wäre auch ein direkter Angriff auf die Konsolen von Nintendo, Microsoft und Sony, die ebenfalls im Wohnzimmer um die Aufmerksamkeit der Menschen wetteifern.

Zu wünschen wäre es jedenfalls, dass Netflix diesen Schritt setzt. Erstens für die Gamerinnen und Gamer, weil diese das Angebot dann auch entspannt auf dem großen Screen genießen können. Zweitens für Netflix – denn derzeit nutzt nur rund ein Prozent der Kundschaft das Gaming-Angebot, es gibt also noch viel Luft nach oben. Und drittens für die Developer dieser kleinen Kunstwerke. Denn sie verdienen es, dass ihre kreative Arbeit auch in der breiten Masse mehr Beachtung findet. (Stefan Mey, 10.3.2023)