Der neue Leiter des Dokumentationsarchivs in den Ausstellungsräumen des DÖW, die auch nach der Übersiedlung auf das Otto-Wagner-Spital-Areal in der Wipplinger Straße bleiben sollen.

Chrsitian Fischer

Vor 60 Jahren wurde das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) von Widerstandskämpferinnen und -kämpfern, Verfolgten und Wissenschaftern gegründet. Blickt man auf den unfreiwilligen Retro-Charme, zeigt sich, dass sich die Ausstattung der Räumlichkeiten im Alten Rathaus im ersten Bezirk seit damals wenig verändert haben. Aufgabe des DÖW war und ist neben der Aufarbeitung des Austrofaschismus und der NS-Zeit auch die Beobachtung des gegenwärtigen Rechtsextremismus. Seit 1. April hat das DÖW mit dem Soziologen und Politologen Andreas Kranebitter einen neuen Leiter.

STANDARD: Das DÖW hat stets die Vergangenheit und Gegenwart erforscht. Sieht man etwa auf den 2022 präsentierten Endbericht zur Nachkriegsjustiz in Österreich und das Erstarken der Neonaziszene, übernehmen Sie keinen leichten Job, oder?

Kranebitter: Es war von Anfang an klar, dass im DÖW ein Bohren harter Bretter stattfindet. Und zwar mit einem Diamantbohrer. Aber es ist schon viel passiert. Ich denke da etwa an die Wehrmachtsausstellung in den 1990er-Jahren. Bis damals waren die Verbrechen der Wehrmacht eigentlich tabuisiert. Es war lange möglich, dass Teile der NS-Polizei als saubere Einheiten erscheinen konnten. Deserteure wurden sehr, sehr lange kriminalisiert und vom Opferfürsorgegesetz ausgeschlossen. Hinter dem Wandel der Wahrnehmung stand auch die jahrzehntelange Arbeit des DÖW.

STANDARD: Und unter Kanzler Franz Vranitzky wurde Österreich auch offiziell zum Täterland.

Kranebitter: Genau, da sind bedeutende Dinge passiert, die auch nicht mehr so leicht umkehrbar sind. Da haben sich schon Diskursverschiebungen ergeben. Unsere Arbeit war auch die Basis für große Gedenkprojekte, wie zuletzt die Namensmauer in Wien. Das heißt aber nicht, dass sich dadurch das Problem Rechtsextremismus löst. Und es ist wohl nicht das Dokumentationsarchiv da für verantwortlich, dass er sich in den letzten zehn Jahren noch einmal radikalisiert hat, seit 2015 in der Flüchtlingskrise und dann noch einmal stärker in der Corona-Pandemie.

Kranebitter im Büro neben einem historischen Plakat.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Das DÖW ist ein Verein, der im Dienste der Republik und ihrer Verfassung arbeitet. Wie sind Sie finanziell aufgestellt?

Kranebitter: Die Finanzierung erfolgt über eine Stiftung, die aus drei Teilen besteht: dem Verein DÖW, der Stadt Wien und dem Bund. Stadt und Bund finanzieren uns mit je 475.000 Euro jährlich. Die Summe ist seit mehreren Jahren nicht erhöht worden, sie reicht für die künftigen Aufgaben, wie die Dokumentation von Rechtsextremismus im Web und unsere Forschungs- und Vermittlungsvorhaben nicht aus. Es gab letztes Jahr zwar für die Forschungsstelle Rechtsextremismus vom Wissenschaftsministerium extra Mittel, das war aber keine Erhöhung der Stiftungsgelder, sondern eine Vergütung für mehr Arbeit. Aber die Gesprächsbasis mit Stadt und Bund ist gut, und es gibt ja auch schon Pläne, dass wir auf das Areal des Otto-Wagner-Spitals übersiedeln. Das wird auch eine Chance sein. Wir platzen aus allen Nähten. Unsere Mitarbeiter sitzen zu fünft in einem Zimmer und versuchen, in Ruhe wissenschaftlich zu arbeiten. Im Bibliotheks- und Archivbereich müssen alte Dokumente auch adäquat aufbewahrt werden. Dafür braucht es klimatische Bedingungen, die im Altbau nicht gegeben sind.

STANDARD: Mit dem Umzug würde das DÖW aus dem Herzen der Hauptstadt an den Stadtrand verschwinden.

Kranebitter: Das stimmt für einen Großteil der täglichen Arbeit. Teil unseres Standortkonzepts wäre aber auch, dass der Ausstellungsraum hierbleibt. Wir würden also weiterhin ein Standbein in der Innenstadt haben.

STANDARD: Die FPÖ attackiert das DÖW regelmäßig und liegt in vielen Umfragen auf Platz eins. Käme sie in die Bundesregierung, müssten Sie um deren Unterstützung fürchten?

Kranebitter: Wir lassen uns davon nicht einschüchtern, sondern setzen unsere Arbeit unbeirrt fort. Unsere Förderung ist im Stiftungskonstrukt abgesichert. Ob sie erhöht wird oder gleich bleibt, ist jedoch jährlich zu verhandeln. Unser Wunsch an die Politik wäre, eine Erhöhung jetzt schon abzusichern. Nicht nur wegen politisch stürmischer Zeiten, auch wegen der vielen gesellschaftlich notwendigen Aufgaben, die wir erfüllen wollen. Das DÖW war schon immer die Institution, die auch dort hinschaut, wo andere nicht hinschauen wollen. Das muss auch in der Zukunft so bleiben. Jene die diesen Wert erkennen, müssen auch die Strukturen und Bedingungen dafür schaffen.

STANDARD: Die neue Regierung Niederösterreichs regt auf. Halten Sie die Landes-FPÖ Udo Landbauers für rechter als die restliche FPÖ?

Kranebitter: Es hat mich gewundert, dass das zweite Liederbuch mit Wehrmachtsliedern, das von Landbauer aktiv beworben wurde, medial ziemlich untergegangen ist. Die niederösterreichische FPÖ ist mit Sicherheit am rechten Ende des inner parteilichen Spektrums. Aber es gab erst kürzlich am Bundesparteitag in Saalbach den Sager von Bundesparteichef Herbert Kickl, wonach es letztlich nur eine FPÖ gebe.

STANDARD: Im Umfeld von Oberösterreichs FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner etwa wird doch genauso rechtsextremes Gedankengut gepflegt.

Kranebitter: Ja, auch Haimbuchner bezieht sich auf das rechtsextreme Ideologem des Bevölkerungsaustauschs. Dem liegt die Vorstellung der Ethnisierung des Sozialen und des Austauschs von etwas, das ursprünglich rein gewesen sein soll, zugrunde. Solche Bilder werden tradiert und ausgeschlachtet, nicht nur von Einzelpersonen.

STANDARD: Gemeint ist der Verschwörungsmythos "Great Reset", den die Identitären seit Jahren verbreiten, dann der Attentäter im neuseeländischen Christchurch und schließlich hiesige Politiker. Gibt es weitere pro blematische Begriffe bei der FPÖ?

Kranebitter: Ein wesentlicher Punkt ist der Begriff der Volksgemeinschaft im FPÖ-Parteiprogramm. Dieser Begriff war Kern der NS-Ideologie. Er ist erst 2011 wieder ins FPÖ-Programm geschrieben worden, davor war er schon weg. So etwas passiert nicht zufällig.

STANDARD: Die FPÖ stellt es gerne anders da, doch das DÖW war von Anfang an überparteilich.

Kranebitter im Gespräch: "Es wird von uns erwartet, dass wir knackige Sätze raushauen, aber Wissenschaft lässt sich meistens nicht in einer prägnanten Schlagzeile zusammenfassen."
Foto: Christian Fischer

Kranebitter: Ja, es gab hier alle Fraktionen der Verfolgten. Bürgerliche, sozialdemokratische und kommunistische Aktivistinnen und Aktivisten. Das ist keine große Über raschung, schließlich war es eine Gründung von Überlebenden und Verfolgten. Solange sie sich mit unserem gesellschaftlichen Auftrag identifizieren, werde ich die Leute beim Einstellungsgespräch auch sicher nicht nach ihren politischen Überzeugungen fragen. Die gehen mich erstens nichts an, zweitens wird wissenschaftliche Arbeit relativ unabhängig davon gemacht. Dieses Verhältnis von Politik und Wissenschaft beschäftigt mich in den letzten Tagen stark. Es wird von uns erwartet, dass wir knackige Sätze raushauen, aber Wissenschaft lässt sich meistens nicht in einer prägnanten Schlagzeile zusammenfassen. Unsere Aufgabe ist nicht das Kommentieren von Tagespolitik, sondern das Sammeln, Dokumentieren und Einordnen, um dann den großen Bogen zu zeichnen. Deswegen ist auch eine Neuauflage vom Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus (Verlag Deuticke, 1994, Anm.) so wichtig. Rechtsextremismus ist für uns kein politischer Schlachtbegriff, sondern ein wissenschaftlicher Begriff, den der Politologe Willibald Holzer damals definiert hat. Das ist ein auf über 100 Seiten ausformulierter Arbeitsbegriff, den wir weiterentwickeln.

STANDARD: Was haben Sie neben einem neuen Handbuch noch vor?

Kranebitter: Ein Überblickswerk über den Holocaust in Österreich und ein Widerstandssymposium zu unserem 60. Gründungstag. Ich möchte, dass wir Impulse für die Widerstandsforschung setzen, auch international. Außerdem ist mir unsere Sichtbarkeit in der Gesellschaft wichtig, auch in den Bundesländern und der sogenannten Mi grationsgesellschaft mit einem aufklärerischen Impetus. Unsere Dokumentation über die rechtsextremen Grauen Wölfe soll auch auf Türkisch publiziert werden. Es soll nicht nur eine Forschung von Mehrheitsösterreichern über Minderheiten sein.

STANDARD: Die Neuausschreibung des Rechtsextremismusberichts, der 2002 abgeschafft wurde, lässt auf sich warten. Die Regierung hat einen solchen vom DÖW im Regierungsprogramm angekündigt. Wissen Sie, wann das so weit sein wird?

Kranebitter: Ich hoffe bald. Die sechs, sieben Seiten, die dazu im Verfassungsschutzbericht erscheinen, reichen nicht, um in die Tiefe zu gehen. Dort wird nur dokumentiert, was offensichtlich ist. Man sieht auch an den unterschiedlichen Zahlen, die zu Anzeige- und Verurteilungsstatistiken herumschwirren, dass man eine Institution bräuchte, die das einordnet.

STANDARD: Ist es für Sie denkbar, dass mit einer FPÖ-Regierungsbeteiligung am Verbotsgesetz gerüttelt wird?

Kranebitter: Man würde glauben, dass sie aus den vergangenen Regierungsbeteiligungen gelernt haben und nicht leichtsinnig genug sind, solche Symbolpolitik zu betreiben. Aber man kann sich nie sicher sein, dass der Konsens in dieser Hinsicht nicht bröckelt. Plötzlich könnten auch Dinge zur Diskussion stehen, von denen man das nicht geglaubt hätte. Es wäre mir vor Jahren auch nicht in den Sinn gekommen, dass Politiker einmal die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte infrage stellen. (Colette M. Schmidt, 11. 4.2023)