Die einsträngige mRNA ist die kleine Schwester der allseits bekannten DNA und verfügt über den Bauplan von lebensnotwendigen Proteinen.
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Spätestens seit der Corona-Impfung ist die Messenger-RNA, kurz mRNA, allen ein Begriff. Im Leben des Biochemikers Clemens Plaschka, der am Institute of Molecular Pathology (IMP) in Wien forscht, spielte das lebensnotwendige Molekül allerdings schon lange vor der Pandemie eine bedeutende Rolle – und das ganz ohne Nadeln.

Schon während seines Studiums am Imperial College in London beschäftigte sich der gebürtige Wiener mit dem Thema Genexpression. Für seine Doktorarbeit wechselte er an die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) nach München, danach forschte er am Laboratory of Molecular Biology in Cambridge. Dort konnte der junge Forscher zeigen, wie mRNA-Enzyme wirken, die beim Bau des langkettigen Moleküls helfen.

Angesichts des gefährlichen Halbwissens über mRNA, das während der Corona-Pandemie auf einschlägigen Plattformen zu kursieren begann, hat der Biochemiker ein besonderes Anliegen: "Ich möchte die Leute daran erinnern, dass die mRNA nicht für die Impfung erfunden wurde oder erst seit der Pandemie existiert – ganz im Gegenteil. Die mRNA ist ein Grundbaustein des Lebens. Dieser Fakt ist in der Corona-Debatte leider häufig verlorengegangen."

Was im Körper passiert

Zur Erinnerung: Die Genexpression im Menschen kann grob in drei Teilschritte – Transkription, mRNA-Prozessierung und Translation – unterteilt werden. Im ersten Schritt lesen Enzyme die DNA ab und erstellen die mRNA, eine spiegelbildliche Kopie. Die Boten-Ribonukleinsäure, wie die mRNA mit vollem deutschem Namen heißt, setzt sich dabei aus einzelnen Nukleotiden zusammen, die neben einer Basen- sowie Phosphatgruppe aus Ribose, einem Einfachzucker, bestehen.

Hinter den vier Buchstaben verbirgt sich allerdings noch mehr: Die mRNA ist Basis für einen der wichtigsten Mechanismen im Körper. Während sie im zweiten Schritt zunächst von Enzymen zurechtgeschnitten und modifiziert wird, kann sie danach aus dem Zellkern ins Zytoplasma transportiert werden, wo sie in einem letzten – und gleichzeitig bedeutendsten Schritt – zu Proteinen, also Eiweißen übersetzt wird.

Die kleine Schwester der DNA stellt somit den Bauplan für die Bildung von körpereigenen Proteinen zur Verfügung, die für zahlreiche fundamentale Verfahren in der Zelle verantwortlich sind.

Punktlandung

Der generelle Produktionsweg ist dabei längst bekannt: Sobald die mRNA aus dem Zellkern ausgeschleust wird, wandert sie zunächst zu den sogenannten Ribosomen, der Proteinfabrik der Zelle. Dort startet die Eiweißproduktion, indem jede Sequenz des mRNA-Moleküls in Aminosäuren, den wichtigsten Proteinbaustein, übersetzt wird.

Das Ribosom übersetzt jedoch blind und kann nicht zwischen einer richtigen oder fehlerhaften Vorlage unterscheiden. Bei diesem Schritt ist daher besondere Vorsicht geboten – eine Fehlübersetzung kann überlebenswichtige Funktionen beeinträchtigen.

Eine verheerende Fehlerquelle ist die voreilige Weiterleitung der mRNA zu den Ribosomen. Bislang war jedoch völlig unklar, wie die Zelle entscheidet, dass eine mRNA für die Reise zu den Ribosomen "mature", sprich reif genug ist. Dieser Frage widmete sich Plaschka nun in einer im Fachjournal Nature publizierten Studie.

Der junge Wissenschafter betont die Bedeutung der zellinternen Qualitätskontrolle für den erfolgreichen Proteinaufbau: "Die Herstellung der reifen mRNA ist ein äußerst komplexer Prozess – jeder Schritt muss perfekt ausgeführt werden, damit der richtige Proteinentwurf entsteht. Wenn eine unreife mRNA zu den Ribosomen weitergeleitet wird, könnte das zu fehlerhaften Proteinen führen, was fatale Folgen hat." Eukaryotische Zellen müssen daher in jedem Fall sicherstellen, dass die Qualität und die Reife der mRNA stimmen, bevor die Proteinproduktion startet.

Die meisten Menschen verbinden Messenger-RNA mit den neuartigen Impfstoffen. Biochemiker Clemens Plaschka möchte daran erinnern, dass die mRNA nicht für die Impfung erfunden wurde, sondern ein Grundbaustein des Lebens ist.
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Eine Frage der Reife

Doch wann gilt eine mRNA als reif? "Die Zelle muss gewisse Modifikationen durchführen. So werden innerhalb des Moleküls beispielsweise Introns – Abschnitte der RNA, die nicht zum Bau von Proteinen beitragen – entfernt, um korrekte Proteinsequenzen zu gewährleisten", erklärt Plaschka.

Aber auch äußere Anpassungen werden getroffen: "Die mRNA muss sich verdichten, um den Transport durch die Zelle zu ermöglichen. Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass die mRNA dafür kompakte Kügelchen bildet, bevor sie den Zellkern verlässt."

Wie die mRNA gezielt identifiziert und für den Kernexport vorbereitet wird, haben Plaschka und sein Team nun untersucht. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass der sogenannte Transkriptions- und Exportkomplex, kurz TREX, hilft, die mRNA zu erkennen und zu organisieren.

Wer bei TREX an einen fleischfressenden Dinosaurier denkt, irrt natürlich. Vielmehr handelt es sich dabei um einen großen Proteinkomplex, der laut neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen durch bestimmte molekulare Anzeichen reife mRNA erkennen kann.

Eine Untereinheit von TREX spielt hier eine Schlüsselrolle: "Die Proteine der Untereinheit binden Reifungsmarkierungen auf dem mRNA-Molekül. Jede Untereinheit ist für mehrere Markierungen verantwortlich, wodurch sie entfernte mRNA-Segmente näher zusammenbringt", erläutert Plaschka.

Das Molekül verdichtet sich so zu einem organisierten Bündel. In einem zweiten Schritt rekrutieren die Moleküle der Untereinheit den Rest des TREX-Komplexes, um eine Schutzhülle um das Bündel zu bilden.

Aus den Pandemiefehlern lernen

Aktuell beschränkt sich die Forschung noch auf den Basisprozess. Weitere Untersuchungen sind jedoch schon in Planung: "Je besser wir den Prozess verstehen, desto eher können wir ihn in Zukunft auch kontrollieren." Eine Regulation könnte vor allem beim Schutz vor Infektionen helfen – schließlich gibt es viele Viren, die diesen zellulären Mechanismus schädigen und stattdessen eigene interne Prozesse starten.

"Durch das bessere Verständnis dieses grundlegenden Mechanismus könnten wir längerfristig Wege finden, wie man diese Schädigung verhindert und die Virusproduktion frühzeitig stoppt", betont Plaschka.

Um aus den Fehlern der Pandemie zu lernen, muss vor allem das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft gestärkt werden, ist sich Plaschka sicher. Wenn es nach ihm geht, sollte in der Schule vermehrt vermittelt werden, dass Wissenschaft wichtig ist und wissenschaftliche Prozesse vertrauenswürdig sind.

"Wenn wir junge Menschen im Unterricht systematisch für Wissenschaft begeistern, würde das langfristig zu einer größeren Wertschätzung von Forschung führen. Beim Fußball jubeln alle Zuschauer mit – es wäre toll, wenn sich eine solche Leidenschaft auf die Wissenschaft übertragen ließe." (Anna Tratter, 16.4.2023)