Eine dreistündige Waffenruhe am Sonntag wurde schnell gebrochen.

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Berlin/Khartum – Seit dem Ausbruch der Kämpfe zwischen der Armee und paramilitärischen Kräften im Sudan sind mindestens 97 Zivilisten getötet worden. Weitere 942 Menschen, unter ihnen Soldaten wie Zivilisten, seien verletzt worden, teilte die sudanesische Ärzte-Organisation Montagfrüh mit. Zuvor hatte in der Nacht zum Montag die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 83 Tote und mehr als 1.126 Verletzte gemeldet.

Drei ostafrikanische Präsidenten reisen als Vermittler in den Sudan, um den Konflikt zwischen den rivalisierenden Lagern des Militärs beizulegen. Kenias Präsident William Ruto, Südsudans Präsident Salva Kiir und Djiboutis Präsident Ismaïl Omar Guelleh sollen zum frühestmöglichen Zeitpunkt in der Hauptstadt Khartum eintreffen, teilte die kenianische Regierung in der Nacht zum Montag mit.

Am Tag zuvor hatte die Zwischenstaatliche Behörde für Entwicklung ein außerordentliches Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs Ostafrikas anberaumt. Stabilität im Sudan sei der Schlüssel zur sozialen und wirtschaftlichen Stabilität der Region, hieß es im Anschluss an den Gipfel. Gefordert wurde "eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten zwischen den Kriegsparteien".

Großbritannien und die USA forderten ein sofortiges Ende der Kämpfe im Sudan und eine Rückkehr zu Gesprächen über eine Zivilregierung. "Wir rufen zu einer sofortigen Einstellung der Gewalt und einer Rückkehr zu Gesprächen auf, die auf eine Zivilregierung ausgerichtet sind", so der britische Außenminister James Cleverly und sein US-Kollege Antony Blinken in einer gemeinsamen Stellungnahme, die das britische Außenministerium am Montag veröffentlichte.

Kämpfe in der Hauptstadt

Am Montagmorgen seien in der Hauptstadt Khartum etwa zwei Stunden lang Bombardierungen und Luftangriffe zu hören gewesen, berichtete ein Reuters-Reporter. Danach ließen die Angriffe zwar etwas nach, doch es kam weiterhin zu Artilleriebeschuss. Berichten zufolge konzentrierten sich die Kämpfe in der sudanesischen Hauptstadt Khartum auf zentrale Einrichtungen der Regierung wie den Präsidentenpalast und das Armee-Hauptquartier. Auch in anderen Städten wie Nyala, Regionalhauptstadt des Bundesstaates Süd-Darfur und nach der Hauptstadtregion bevölkerungsreichste Stadt des Landes, kam es zu Auseinandersetzungen.

"Rapid Support Forces" (RSF)-Chef Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti, forderte ein Eingreifen der internationalen Gemeinschaft, um gegen die "Verbrechen des sudanesischen Generals Abdel Fattah al-Burhan" vorzugehen. "Seine Armee führt einen brutalen Feldzug gegen unschuldige Menschen und bombardiert sie mit MiGs", schrieb der RSF-Chef auf Twitter. Am Sonntag hatte es nach Angaben von Zeugen so ausgesehen, dass die Armee die Oberhand gewinne. Die Armee habe die Kontrolle über einen Großteil des Präsidentenpalastes in Khartum zurückerobert.

VIDEO: Blutiger Machtkampf im Sudan wird zur Zerreißprobe.
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Kurze Kampfpause am Sonntag

Ursprünglich einigten sich die Parteien am Sonntag auf eine dreistündige Kampfpause, um die von den Vereinten Nationen vorgeschlagenen humanitären Evakuierungen zu ermöglichen, so die UN-Mission im Sudan. Jedoch wurde die Vereinbarung nach einer kurzen Phase weitgehend ignoriert.

Wer auf dem Schlachtfeld gerade die Oberhand hat, ist angesichts der unübersichtlichen Lage und widersprüchlichen Angaben beider Konfliktparteien unklar. Sowohl die sudanesischen Streitkräfte unter dem Befehl von De-facto-Präsident Burhan als auch die von seinem Vize Dagalo, genannt Hemeti, angeführte paramilitärische Gruppe RSF verbreiten Erfolgsmeldungen, deren Wahrheitsgehalt sich kaum überprüfen lässt. Am Montag will der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York über die Lage beraten.

Krankenhäuser laut WHO überlastet

Laut WHO sind die Krankenhäuser in der Hauptstadt Khartum, in deren Umland rund sechs Millionen Einwohner leben, überlastet. Vielen der neun Krankenhäuser, die verletzte Zivilisten aufnehmen, fehle es an Blutkonserven, Transfusionszubehör und anderem medizinischen Material. Wasser- und Stromausfälle sowie fehlender Treibstoff für die Stromgeneratoren der Krankenhäuser erschwerten den Betrieb weiter. Auch Fachpersonal wie Anästhesisten fehle.

Das sudanesische Ärztekomitee forderte die Konfliktparteien am Montag auf, ihre "ständigen Angriffe" auf Krankenhäuser, Krankenwagen und medizinisches Personal einzustellen. Die medizinische Versorgung der Bevölkerung werde durch die systematische Bombardierung und den Beschuss von Gesundheitseinrichtungen blockiert. Demnach können Kranke und Verwundete vielerorts nicht mehr behandelt werden. Eine sichere Evakuierung der Patienten sei aktuell nicht möglich, hieß es. Zudem hätten viele Krankenhäuser und Kliniken weder Trinkwasser noch Nahrungsmittel. Auch ein Kinderkrankenhaus in der Hauptstadt Khartum sei betroffen.

UN-Generalsekretär Guterres verurteilt Gewalt

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, verurteilte die Angriffe und forderte in einem Post auf Twitter, dass die Verantwortlichen unverzüglich zur Rechenschaft gezogen werden sollten: "Die anhaltenden Zusammenstöße im Sudan haben zum Tod und zu Verletzungen von Zivilisten geführt, darunter drei unserer WFP-Kollegen (WFP: UN-Welternährungsprogramm, Anm.), die bei der Ausübung ihrer Arbeit getötet wurden." Auch der UN-Sondergesandte Volker Perthes erklärte, er sei entsetzt über die Berichte von Beschuss und Plünderungen, die UN- und andere humanitäre Einrichtungen betreffen würden.

Ausgelöst wurde der jüngste Konflikt laut Beobachtern am Samstag durch einen Streit über die Integration der RSF in das Militär als Teil des Übergangs zu einer zivilen Regierung. In dem von schweren Wirtschaftsproblemen gebeutelten Sudan hatten Massenproteste 2019 zum Sturz des jahrzehntelangen Herrschers Omar al-Bashir geführt. Daran waren die Armee und die RSF beteiligt gewesen. Militär und zivile Gruppen einigten sich damals auf eine Übergangsregierung.

Im Oktober 2021 kam es aber zu einem Putsch, bei dem das Militär die Macht vollständig übernahm. Seitdem wurde bei Protesten immer wieder der Rückzug des Militärs aus der Politik gefordert. RSF-Chef Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti, hatte sich zuletzt an die Spitze einer Bewegung gestellt, die das Land nach eigenen Angaben in die Demokratie führen will.

Konflikt könnte den Sudan "zerreißen"

Der jetzige Gewaltausbruch könnte das flächenmäßig drittgrößte Land Afrikas nach Ansicht eines Experten in eine lange Krise stürzen. Die Kämpfe hätten das Potenzial, den Sudan zu zerreißen, sagte Gerrit Kurtz, Politologe der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Entscheidend sei die Entwicklung der kommenden Tage. "Dazu zählt, wer von den beiden Parteien Kontrolle über die Staatsinstitutionen im Zentrum Khartums erlangt und wer den Kampf um innenpolitische und internationale Legitimität gewinnt."

"Jahrelange Konkurrenz zwischen beiden Sicherheitskräften, die nur durch eine Zweckgemeinschaft gegen die Zivilgesellschaft zusammengehalten wurden, entlädt sich jetzt in offener Feindseligkeit", erklärte Kurtz der dpa. "Beide Kräfte sind gut bewaffnet, auch wenn die RSF keine Luftwaffe und weniger schwere Waffen haben."

Das Militär sei von Loyalisten des Ex-Langzeitherrschers al-Bashir durchsetzt. "Sie trauen Hemeti, dem Führer der RSF, seit seiner Rolle bei der Entmachtung al-Bashirs 2019 nicht und sehen ihn als Verräter an. Armeechef al-Burhan handelt nicht zuletzt unter dem Druck dieser islamistischen Kräfte, der sich mit Blick auf die mögliche Übergabe der Macht an eine zivile Regierung zuspitzte", so Kurtz. "Al-Burhan sperrte sich gegen die Kontrolle des Sicherheitssektors durch eine zivile Übergangsregierung, während Hemeti glaubte, seine Geschäfte und Operationen im Graubereich der Legalität auch so weiterführen zu können." (Reuters, APA, red, 17.4.2023)