Erneuerbare Energie trägt die Hoffnungen der künftigen Stromversorgung der Welt. Doch einige Nachteile nähren Zweifel, ob ein vollständiger Ausstieg aus fossiler Stromversorgung gelingen kann.

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DER STANDARD

Insbesondere ist es die wechselnde Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie, die einen großskaligen Umstieg fraglich erscheinen lässt. Bis 2030 sollen in der EU 42 Prozent der gesamten Energie aus erneuerbaren Quellen stammen. Der Anteil an Erneuerbaren bei der elektrischen Energie wird prozentuell erheblich schneller steigen müssen, um etwa Strom für eine mögliche neue Wasserstoffwirtschaft zu liefern, die ebenfalls einen wichtigen Beitrag zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen liefern soll.

Das deutsche Kernkraftwerk Isar 2 wenige Tage vor seiner Abschaltung.
Foto: IMAGO/Wolfgang Maria Weber

Doch wie weit lässt sich dieser Anteil erhöhen? Kritiker warnen davor, sich rein auf erneuerbare Energiequellen zu verlassen. Es fehle an Speichern für Zeiten geringerer Verfügbarkeit und an der Infrastruktur, um Spitzen bei der Produktion zu nutzen.

Geht es auch ohne Kernkraft?

Dementsprechend kontroversiell wird der nun umgesetzte deutsche Atomausstieg diskutiert. Während Frankreich weiterhin auf Atomkraft setzt und andere Länder wie Tschechien einen Ausbau ihrer Kernenergiekapazitäten mittels Minireaktoren planen, fehlt diese Komponente nun in Deutschland, die zuletzt sechs Prozent des deutschen Elektrizitätsbedarfs deckte.

Eine Gruppe von Fachleuten hat versucht, die Folgen dieses Schritts für Deutschland einzuordnen und ein Bild der künftigen deutschen Energieversorgung zu zeichnen. Ihr Fazit lautet, dass neben flexiblen Back-up-Kraftwerken und einem Ausbau von Speichermöglichkeiten auch eine stärkere Vernetzung der europäischen Stromversorgung eine wesentliche Rolle spielen muss.

"In einer zu großen Teilen auf wetterabhängigen Erzeugungstechnologien basierenden Stromerzeugung ist die Dunkelflaute ein ernst zu nehmendes Phänomen", sagt Patrick Jochem, Leiter der Abteilung für Energiesystemanalyse am Institut für Vernetzte Energiesysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Insbesondere in den Wintermonaten sei das ein Problem, wenn die Nachfrage nach Strom hoch sei und die vergleichsweise zuverlässige Stromerzeugung durch Sonnenenergie in geringeren Maßen zur Verfügung stehe.

Um dem Problem zu begegnen, gibt es verschiedene Strategien, sagt sein Forscherkollege Jan Wohland, Klimaphysiker an der Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich. Vermutlich werde es eine Kombination verschiedener Zugänge geben. "Back-up-Kraftwerke sind dabei eine Option", sagt Wohland.

Der Bau von Stromleitungen ist oft ähnlich umstritten wie Kraftwerksprojekte. Fürs Klima wäre eine stärkere Vernetzung der europäischen Stromnetze die günstigere Lösung.
Foto: imago stock&people

Voraussetzungen für Back-up-Kraftwerke

Für die benötigten Kraftwerke gibt es klare Voraussetzungen, sagt Jochem: "Zum Back-up eignen sich am besten diejenigen Kraftwerke, die schnell in Betrieb gehen und zügig hoch- und runtergeregelt werden können." Am besten seien hierzu Gaskraftwerke geeignet. "Dementsprechend ertüchtigte Kohlekraftwerke funktionieren ebenfalls und theoretisch auch Kernkraftwerke, obwohl diese aus wirtschaftlichen Gründen für einen möglichst konstanten Betrieb ausgelegt sind."

Meist geht es dabei um kurzfristige Engpässe. "In unseren Energieszenarien ist die Residuallast – also die Last, die nicht durch erneuerbare Energien gedeckt werden kann – in der Regel durch kleinere, kurzzeitige Abweichungen von wenigen Minuten bis Stunden gekennzeichnet", sagt Jochem. "Für länger andauernde, ertragsschwache Situationen, sogenannte Dunkelflauten, werden jedoch Technologien benötigt, die auch über einen längeren Zeitraum Energie bereitstellen können."

Wohland erklärt, dass nicht alle Kraftwerkstypen dafür gleich geeignet sind. "Je nach Dauer der ertragsschwachen Situation kommen unterschiedliche Kraftwerke infrage, wobei Gaskraftwerke generell besser geeignet sind als Kohlekraftwerke, welche wiederum besser geeignet sind als Atomkraftwerke", sagt der Experte.

Für das Überbrücken von Dunkelflauten sei Kernkraft also relativ ungeeignet, sagt Jochem: "Durch die geringen Volllaststunden und hohen Anforderungen an eine flexible Betriebsführung scheiden aus heutiger Sicht Kern- und Kohlekraftwerke als Back-up-Kapazitäten aus."

An Gaskraftwerken führt laut den Experten allerdings kein Weg vorbei – wobei das nicht bedeutet, dass diese mit fossiler Energie betrieben werden müssen. Es könnten Kraftwerke sein, "die auch mit erneuerbar erzeugtem Methan oder Wasserstoff betrieben werden können", wie Jochem betont.

Doch Christian Rehtanz, Leiter des Instituts für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft der Technischen Universität Dortmund, warnt diesbezüglich vor zu großen Hoffnungen: "Die Bereitstellung des grünen Wasserstoffs in den benötigten Mengen und mit der notwendigen Versorgungssicherheit und erträglichen Kosten benötigt einen etablierten Weltmarkt." Hiervon ist man heute technisch und wirtschaftlich noch weit entfernt.

"Lokale, sprich deutsche Überschüsse aus erneuerbaren Energien in Wasserstoff umzuwandeln wird hierzu keinesfalls ausreichen", warnt Rehtanz. Die Alternative sei bis auf weiteres das Abscheiden und Speichern von CO2 durch Carbon Capture and Storage, um die Emissionen auf null zu drücken. Ohne Umstellung auf Gaskraftwerke sei jedenfalls auch ein völliger Ausstieg aus Kohle nicht denkbar.

Reduktion der Kraftwerke durch Kooperation

Wie viele Kraftwerke es benötigen wird, ist dabei noch nicht ganz klar. Das wird davon abhängen, wie "intelligent" und vernetzt unsere europäische Stromversorgung der Zukunft sein wird.

"Es gibt Szenarien, bei denen 40 Gigawatt ausreichend sind", sagt Jochem. "Diese Szenarien zeichnen sich insbesondere durch eine hohe nachfrageseitige Flexibilität und hohe Verfügbarkeit von Speichern sowie von flexibler nachhaltiger Stromerzeugung wie beispielsweise Geothermie und Biogaskraftwerken aus." In anderen Szenarien würden weiterhin Back-up-Kapazitäten von bis zu 90 Gigawatt benötigt.

Das Gaskraftwerk im steirischen Mellach. Gaskraftwerke werden auch künftig eine Rolle als Reserve für Zeiten mit geringer Produktion von Strom aus erneuerbaren Quellen dienen.
Foto: APA/ERWIN SCHERIAU

"Hierfür wird es auch wichtig sein, das System auf allen Ebenen mit einer entsprechenden IT-Infrastruktur zu ergänzen, um alle Flexibilitäten der Nachfrage – von Industrie, sonstigem Gewerbe und Dienstleistungssektoren und privaten Haushalten – sowie des Angebots – konventionelle Erzeugung aber auch Speichertechnologien – effizient in das System zu integrieren", sagt Jochem.

Neue Ausbauziele für Back-up-Kraftwerke in Deutschland

Deutschland bereitet sich jedenfalls vor. Um Flauten zu vermeiden, definierte die deutsche Bundesregierung zu Beginn dieses Jahres erstmals Ausbauziele für Back-up-Kraftwerke, die im Notfall einspringen sollen, wenn Photovoltaik und Wind zu wenig Strom liefern. Diese seien bereits auf einen künftigen Betrieb mit erneuerbarer Energie ausgelegt, sagt Jochem.

"Regulatorisch wird an Gaskraftwerke bereits die Anforderung einer H2-Readiness gestellt. In Verbindung mit den sektoralen Emissionsminderungszielen des Klimaschutzgesetzes ergibt sich dadurch ein treibender Faktor für den Wasserstoffeinsatz im Stromsektor", berichtet der Experte. Biogas und Biomethan werden für solche Gaskraftwerke eher keine Rolle spielen, ist Jochem überzeugt.

Limitierend für diesen Zugang wird jedenfalls die Energiebilanz der gesamten Kette zwischen Wasserstofferzeugung und Rückverstromung in Gaskraftwerken sein. Elektrische Energie direkt zu verwenden ist in der Regel effizienter, als sie Umwandlungsschritten zu unterziehen.

Speicher halten die Fachleute weiterhin für wichtig, allerdings müsse man die Anforderungen für langfristige Schwankungen im Auge haben. Batterien seien als Langzeitspeicher aus wirtschaftlicher Sicht ungeeignet und nur für kurzfristige Speicherung interessant. Geeignet sind hierfür Pumpspeicherkraftwerke.

Doch nicht alle Schwankungen müssen über Speicher oder Gaskraftwerke kompensiert werden. Im europäischen Stromnetz gebe es gute Möglichkeiten, Schwankungen auszugleichen, sagt Jochem: "In unseren Ergebnissen sehen wir bisher auf europäischer Ebene einen guten natürlichen Ausgleichsmechanismus. Erleben wir im Norden eine Flaute, sind die Windturbinen im Süden oft gut ausgelastet. Bewölkung in einer Region ist oft mit Sonne in einer anderen verbunden."

Die Vernetzung des europäischen Stromnetzes sei also entscheidend. Bei Verbindungen zwischen den Ländern gebe es noch Potenzial, das man ausschöpfen müsse. (Reinhard Kleindl, 17.4.2023)