Sahra Wagenknecht weist Vorwürfe zurück, sie arbeite auf Geheiß des Kremls.

Foto: Imago / Bernd Elmenthaler

Ihr Inhalt klingt wie das Drehbuch zu vielem, was sich in Deutschland in den vergangenen Monaten abgespielt hat – dabei sollen westliche Geheimdienste die Papiere aus dem Kreml abgesaugt haben. Die "Washington Post" hat die Dokumente gesichtet und zeichnet ein Bild einer breitangelegten russischen Kampagne, die darauf ausgelegt war und ist, die Unterstützung für die Ukraine zu sabotieren, Stimmung gegen Russland-Sanktionen zu säen und eine prorussische Partei an die Spitze der deutschen Politik zu pushen – zunächst in Umfragen, dann bei Wahlen.

Die Hauptprotagonisten, die vermeintlichen Kreml-Ziele in Deutschland, überraschen dabei nicht. Es sind jene – oft als Putin-Versteher beschriebenen – Persönlichkeiten der deutschen Innenpolitik, die Russland in den vergangenen Monaten mit bilateralen Besuchen, wohlgesonnenen Worten im Bundestag, auf Kundgebungen sowie informellen Kontakten die Stange hielten.

"Natürliche Allianz"

Da wäre etwa Sahra Wagenknecht, die gemeinsam mit Alice Schwarzer am 25. Februar 2023, also einen Tag nach dem Jahrestag der großflächigen Invasion der Ukraine durch Russland, in Berlin eine Friedensdemo mit 13.000 Besuchern abhielt, welche primär das Ziel hatte, die Ukraine zu maßregeln, nicht aber den Aggressor Russland zum Abzug seiner Truppen aufzufordern. Unter den jubelnden Zuschauern fanden sich neben dem rechtsextremen Publizisten Jürgen Elsässer auch viele AfD-Politiker. Diese neue Allianz, die aus Sicht Wagenknechts bisher keine offizielle ist, sondern lediglich eine Einladung an alle, die "ehrlichen Herzens für Frieden und für Verhandlungen demonstrieren möchten", sein sollte, wird einige Tausend Kilometer weiter im Osten aber scheinbar ernsthafter forciert, als dies bislang bekannt war.

So zeigen die angeblichen internen Kreml-Dokumente, dass bereits Anfang September 2022 hochrangige Beamte und Politstrategen – unter anderem der stellvertretende Leiter der russischen Präsidialverwaltung Sergei Kirijenko – über Strategien diskutierten, wie man die prorussischen Überzeugungen innerhalb der AfD und der Linken besser fusionieren könne.

Eine andere Person wäre der bis zu seinem Einzug in den Bundestag für die AfD vom Verfassungsschutz beobachtete Petr Bystron, der kürzlich auf einer "Fact-Finding-Mission" in Belarus war und noch vor Kriegsbeginn in Kiew den mittlerweile im Rahmen eines Gefangenenaustauschs an Moskau übergebenen Putin-Freund Wiktor Medwedtschuk besuchte. Für den außenpolitischen Sprecher der AfD ist eine Koalition mit Wagenknecht – als "Koalition der Populisten, im besten Sinne", gegen die "Koalition der Globalisten" – jedenfalls attraktiv. Diese wäre aber nicht vom Kreml gesteuert gekommen, sagt Bystron. Sie habe sich bereits natürlich während der Corona-Maßnahmen-Kritik geformt.

Graffitis und Slogans

Wenngleich in den Dokumenten keine direkte Kommunikation zwischen deutschen Politikerinnen und Russland belegt ist, so wird detailliert aufgeschlüsselt, in welchem Rhythmus an den Kreml über den Fortschritt berichterstattet werden müsse. Die Zustimmung unter der deutschen Wählerschaft, welche für eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland plädiert, sollte etwa binnen drei Monaten um zehn Prozentpunkte gesteigert werden, so eine Vorgabe. Zu diesem Ziel wurden auch Slogans ("Die Ukraine will Krieg, Deutschland will Frieden") oder Graffitis (Außenministerin Annalena Baerbock auf einer Nord-Stream-Gaspipeline reitend mit ukrainischer Flagge und dem Spruch "Mir egal, was die Deutschen denken") entworfen. Bei Antikriegsdemos in Leipzig und Neustrelitz wurden Sprüche und Plakate platziert.

In einem niedergeschriebenen Manifest heißt es außerdem, die AfD müsse zur "Partei der deutschen Einheit" geschliffen werden, um in Wahlen zu reüssieren. Die Russland-Sanktionen – so der Wunsch – müssten so geframt werden, dass sie deutschen Interessen entgegenstehend wirkten. So könne es nur zwei Arten von Parteien geben, jene "der Freunde" oder jene "der Feinde Deutschlands".

Es ist nicht klar, ob und wie das Manifest die Vertreter der deutschen Politik erreichte. Nur kurz nach den strategischen Treffen in Moskau begannen AfD-Politiker die Russland-Aussagen Wagenknechts zu loben. Nach der Berliner Demo sprach der Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke gar eine Einladung an Wagenknecht zum Parteiwechsel aus.

Wagenknechts Ex glaubt daran, aber wiegelt ab

Ralph Niemeyer, "Reichsbürger", selbsternannter Vertreter einer deutschen "Exil-Regierung" in Moskau, die mit Russland verhandelt, und darüber hinaus auch der Ex-Ehemann von Sahra Wagenknecht, sagte zur "Washington Post", er wisse aus privaten Gesprächen, dass "gewisse Personen in Russland" ein Interesse an einer Union Wagenknechts mit Rechts-Außen hätten, weil sie um ihr Potenzial wüssten. Wagenknecht habe aber die Lehren aus Marine Le Pens misslungener Präsidentschaftskandidatur gezogen, der ihre Russland-Kontakte zum Verhängnis wurden. "Sahra kann diesen Fehler nicht machen", sagte Niemeyer.

Von der "Washington Post" auf mögliche Instruktionen angesprochen, sagte Wagenknecht, es gebe keinerlei Kooperation oder Allianz zwischen ihr und Elementen der AfD, dies sei "absurd". Sie hätte keinen Kontakt mit Repräsentanten Russlands, und ihr Privatleben (Niemeyer) kommentiere sie nicht. Die AfD reagierte nicht. Kreml-Sprecher Peskow sprach von Fake News, man habe auch keinerlei Zeit für sowas. (Fabian Sommavilla, 21.4.2023)