Beschwerdeführer Michael Bonvalot, hier bei der Arbeit auf einer anderen Demo als der im September 2022.

Foto: David Prokop

"Männer sind das keine, das sind eher Mädschen", sagt ein Mann mit breitem sächsischen Dialekt. Er verfolgt mit seiner Kamera im Livestream das Team aus Securitys und einer Fotografin des Journalisten Michael Bonvalot, die ruhig rückwärtsgehen und einen deutlichen Abstand zum Corona-Demozug hinter einem Banner einhalten.

Aus diesem Demozug sind einige Männer ausgeschert, um Bonvalot und sein Team teils zu beschimpfen und zu verfolgen. Als Polizeibeamte die Medienleute auf die Seite der Straße drängen, kommentiert der Sachse, dass die "Mädschen" nun weinen würden, weil sie "ausgeschlossen" würden. Die Reaktion der Demonstranten um ihn herum ist gut hörbar: erfreutes Gejohle und "Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen!"-Rufe.

Filmschauen im Gerichtssaal

Es ist Freitagvormittag, und das Video läuft im Verhandlungssaal 18 im Wiener Verwaltungsgericht. Der Sachse, der es für einen Livestream am 10. September 2022 bei einer Corona-Demo auf der Wiener Ringstraße aufgenommen hatte, hatte sicher nicht im Sinn, dass es im April 2023 als Beweismittel zugunsten Bonvalots zum Einsatz kommen würde. Bonvalot hat gegen die Amtshandlung der Polizei an diesem Tag eine Maßnahmenbeschwerde eingebracht. Und weil auf diesem Film eigentlich alles zu sehen ist, worum es dem Beschwerdeführer Bonvalot geht, müssen es sich nun Richterin Beatrix Hornschwall, Bonvalot und sein Anwalt Clemens Lahner, die Vertreterin der Polizei und alle anderen im Saal gemeinsam ansehen.

Bonvalot und seine Kollegen wurden nämlich nicht nur von der Demo entfernt und damit an ihrer Berichterstattung gehindert, sie wurden auch festgesetzt, ihre Identitäten wurden festgestellt, und sie wurden angezeigt, weil sie den Gehsteig nicht verwendet hatten. Der Ring war für die Demo gesperrt, es fuhren keine Autos, und auch alle anderen durften auf der Straße gehen. Nur die Reportergruppe, die aus sicherer Entfernung von rund 50 Metern die Demo filmte, nicht.

"Irrelevant"

Die Verwaltungsstrafverfahren gegen das Team waren allerdings bereits im Jänner dieses Jahres komplett eingestellt worden – DER STANDARD berichtete. Den Ausgang dieses Verfahrens sieht die Behördenvertreterin am Freitag als "irrelevant" für die Maßnahmenbeschwerde. Anwalt Lahner weist aber darauf hin, dass er in jenem Verfahren die Beischaffung des Einsatzbefehls beantragt hatte. Und dieser sei auch für das aktuelle Maßnahmenbeschwerdeverfahren relevant. Nämlich im Sinne einer "objektiven Ex-ante-Behandlung", die zu prüfen sei. Weniger juristisch ausgedrückt: Es stellt sich die Frage, wie die Beamten die Situation im Moment des Geschehens eingeschätzt haben. Befürchteten sie bereits, dass die Demonstranten gegen die Journalisten pöbeln würden? Einen Hinweis darauf könnte auch der Einsatzbefehl geben, doch den will die Behörde nicht für das Verfahren zur Verfügung zu stellen. Lahner forderte das am Ende des Verhandlungstages, die Richtern will darüber nachdenken, ob sie Lahner hier folgt.

Doch zurück zu Bonvalot und fünf männlichen Zeugen und einer Zeugin aus seinem Team, die am Freitag zu Protokoll gaben, wie sie sich jeweils an den Tag erinnern. Beschwerdeführer Bonvalot selbst beschrieb, wie sich die Situation immer gefährlicher zuspitzte und er zuerst erleichtert war, als er sah, dass sich eine Polizeieinheit auf ihn zubewegte. Denn er dachte zunächst, diese werde die "Pöbler ein wenig aufhalten". Doch bald war klar, dass das nicht der Fall war. Stattdessen stieß ein Polizist ihn mit der Hand immer weiter fort, Bonvalot habe sich dabei weiter rückwärts wegbewegt. Der Presseausweis Bonvalots hing ihm dabei die ganze Zeit gut sichtbar um den Hals. Seine Hinweise auf diesen seien aber ignoriert worden. Das ist auch im Video zu sehen.

"Berechtigtes Ärgernis"

Die Strategie der Behördenvertreterin wechselte zwischen dem Argument, das Medienteam habe bei den Demonstranten ein berechtigtes Ärgernis erwirkt, obwohl Bonvalots Team diese weder beschimpfte noch den Abstand zu ihnen verringerte, sondern vor ihnen zurückwich. Später ließ die Vertreterin der Polizei auch die Möglichkeit anklingen, die Polizei sei dem Journalisten zu Hilfe gekommen. Eine Sichtweise, die angesichts der Stoßerei, des Abdrängens und der Festsetzung doch überraschte.

Besonders anschaulich dafür, wie belastend die Situation für sie gewesen sein muss, war die Zeugenaussage der Fotografin.

"Bedroht und sexistisch beleidigt"

Sie sei von den Corona-Demonstranten "bedroht und sexistisch beleidigt" worden, jemand habe versucht, ihr die Kamera zu entreißen. Als sie die Polizeieinheit gesehen habe, habe sie sich "eine Sekunde" sicherer gefühlt. "Ich habe tatsächlich gedacht, dass die Polizei eingreift, um die Pressefreiheit zu gewährleisten", erzählt die Frau. Doch sie habe sich "wirklich nur eine Sekunde" sicherer gefühlt, denn die Polizei "kam nicht, um zu helfen, sondern um mich zu beamtshandeln".

Einige Zeugen bekräftigen, dass der Polizist, der Bonvalot entfernte, diesen so fest stieß, dass er ohne den hinter ihm stehenden Sicherheitsmann leicht das Gleichgewicht hätte verlieren können. Lahner versucht Richterin Hornschall eindringlich zu erklären, dass das defensive Verhalten des Medienteams kein berechtigtes Ärgernis nach Paragraf 81 im Sicherheitspolizeigesetz für die Demoteilnehmer dargestellt habe und sie daher auch nicht für die Störung der öffentlichen Ordnung verantwortlich gemacht werden könnten. Damit könne man die Amtshandlung also nicht rechtfertigen.

"Lügenpresse"

Vielmehr seien die regelmäßig "Lügenpresse" skandierenden, "gewalttätig und martialisch" auftretenden Corona-Leugner der Presse gegenüber an sich feindselig eingestellt, so Lahner. Die Richterin will wissen, welche Berichterstattung nicht behindert werde. Ein Zeuge zählt lauter rechtsextreme Medien auf, wie etwa "Info direkt", "Heimatkurier" (das Medium der Identitären), "Auf 1" und "Report 24".

Und welche werden behindert, will Hornschall weiter wissen und bekommt etwa ORF, Puls 4 und eben Bonvalot genannt. Nach fünf Stunden vertagt die Richterin die Verhandlung auf unbestimmte Zeit. Bei der Fortsetzung wird die Aussage des Polizisten, der Bonvalot gestoßen haben soll, erwartet. Und vielleicht erfährt die Öffentlichkeit dann, wie der Einsatzbefehl vor der Amtshandlung lautete. (Colette M. Schmidt, 21.4.2023)