Das Design der KI-Zunge ist angelehnt an eine Zitronenscheibe, die auf dem Rand eines Cocktailglases sitzt.

Foto: Pamela Schmatz

Mit dem Sensor werden die Flüssigkeiten gemessen und an eine App auf dem Handy und weiterführend in eine Cloud zur Auswertung geschickt.

Foto: Pamela Schmatz

Den Kampf zwischen Menschen und künstlicher Intelligenz stellen sich die meisten eher wie einen Aufstand der Maschinen vor. Roboter und Technologie wenden sich gegen ihre Schöpfer und versuchen sie mit exzessivem Feuerwaffenarsenal auszulöschen. Richtig bombastisch eben.

Dass die Schlacht auch weniger episch, blutarm und bei einer studentischen Weinmesse ablaufen kann, beweist eine künstliche Zunge. Vergangene Woche wurde die KI-Zunge "Hypertaste" des Techherstellers IBM in Krems präsentiert und forderte Weinkennende und Hobbysommeliers zu einem Schmeckwettkampf heraus. In einer Blindverkostung mussten drei verschiedene Rieslinge aus Österreich und Deutschland richtig erschmeckt und zugeordnet werden.

Nach sechs Schlucken Wein war ich mir sicher, mir das Aroma und die Säure jedes Weins gemerkt zu haben, um sie zuzuordnen. Selbstsicher gab ich die Reihenfolge an, um dann mein Ergebnis zu bekommen: alle drei falsch. Die Winetasting-KI wurde zum Vergleich in den Wein gehalten und konnte nach nur wenigen Sekunden treffsicher Weinsorte und Marke erkennen. KI-Zunge: 1, Mensch: 0. Zur Transparenz: So wie mir erging es auch anderen Testern, die eher Laien im Weintrinken sind. Winzerinnen und Winzer vor Ort konnten die Weine dagegen genau erkennen, teilweise sogar nur am Geruch.

Wie funktioniert's?

Die künstliche Zunge kann aber nicht nur Wein erkennen. Die Technologie wurde für so gut wie alle Flüssigkeiten entwickelt und kann auch die Herkunft und Intensität von Kaffee erkennen oder Mineralwasser aufgrund der Inhaltsstoffe unterscheiden.

Dafür misst die künstliche Intelligenz mittels Sensoren die Molekülstrukturen der Flüssigkeit anhand von Spannungen. Jede Spannung ist charakteristisch, ähnlich einem Fingerabdruck, erklärt der Chefentwickler hinter der Zunge, Patrick Ruch. Das liege zum Beispiel am Zuckergehalt der Flüssigkeit oder der Konzentration von Blei im Wasser. Dieser Spannungsfingerabdruck wird dann über eine App auf dem Handy an die Cloud weitergeleitet, wo ein Algorithmus das Signal auswertet und die gemessene Flüssigkeit anhand vorab gefütterter Informationen erkennt. Die KI weiß, welche Aspekte des Fingerabdrucks mit welchen Eigenschaften korrelieren, und kann dann eben punktgenau ausspucken, wie der Wein, der Kaffee oder das Mineralwasser schmeckt.

Wie es schmecken könnte

Außerdem erkennt die KI-Zunge, ob der Weißwein beispielsweise aus der Wachau stammt oder aus der Südsteiermark. In der Produktentwicklung eingesetzt, könnte man so bereits vorab, nur anhand der Inhaltsstoffe, eruieren, ob zum Beispiel der neu entwickelte Hustensaft für Kinder bitter wirkt beziehungsweise der Zielgruppe schmeckt, erklärt der Entwickler einen möglichen Einsatz der KI-Zunge. Sie kann also vorhersagen, wie etwas schmecken könnte, ohne jemals in Kontakt mit der Flüssigkeit gekommen zu sein. Auch in der Qualitätskontrolle sieht Ruch einen möglichen Einsatz seiner KI-Zunge. Geschmackliche Schwankungen im Produkt könnte sie in wenigen Sekunden erkennen, ebenso wenn Alkohol gefälscht oder ihm etwas zugesetzt wurde.

In der Industrie arbeite man bereits mit einer Firma in Japan zusammen, für Privatpersonen sieht Ruch zumindest in Zukunft diverse Einsatzmöglichkeiten der Zunge: So könne man zum Beispiel Allergene im Lebensmittel erkennen oder den Kaloriengehalt einer Speise analysieren. Als Ersatz für einen Sommelier im Restaurant ist die künstliche Zunge aber nicht gedacht. Jedoch sei es denkbar, die KI als Helferlein einzusetzen, um passende Weine zum bestimmten Gericht zu finden. (Kevin Recher, 26.4.2023)