Einer hatte sich zu fest angeklebt. Es brauchte Gerät zur Befreiung.

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Es dauerte bis zum Mittag am Montag. Dann erst floss der Verkehr in der deutschen Hauptstadt wieder halbwegs normal. Für Staus und Behinderungen hatten nicht nur die üblichen Baustellen oder das erhöhte Verkehrsaufkommen zu Wochenbeginn gesorgt, sondern auch Aktivisten und Aktivistinnen der Letzten Generation.

VIDEO: Mehr als 30 Blockaden von Klimaaktivistinnen in Berlin.
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"Unsere höchsten Erwartungen wurden deutlich übertroffen! An 27 Verkehrsknotenpunkten in Berlin kam es heute zu Protesten, dreimal so viele wie noch im letzten Herbst", freute sich deren Sprecherin Aimée van Baalen. Die Polizei sprach sogar von 35 Orten, sie war mit insgesamt 500 Kräften im Einsatz.

Diesmal nämlich hatten sich die "Klimakleber" über die ganze Stadt verteilt, mit Schwerpunkten in Spandau und Charlottenburg. Doch es klebten sich nicht alle fest, manche setzten sich auch einfach auf die Straße. So geschehen auf dem Großen Stern, auf dem Alexanderplatz, auf der Stadtautobahn 100 oder auf dem Ernst-Reuter-Platz.

Asphalt aufgestemmt

Dort allerdings hatte sich ein Aktivist so fest angeklebt, dass die Polizei den Asphalt rund um ihn aufstemmen musste. Die Polizei nahm nach vorläufigen Zahlen rund 200 Personen in Gewahrsam.

Die Letzte Generation will mit der konzertierten Aktion den Druck auf die Bundesregierung erhöhen, damit diese die Forderungen der Gruppierung umsetzt. Diese sind: ein dauerhaftes Neun-Euro-Ticket für den Bahn-Regionalverkehr, ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen und die Einberufung eines Gesellschaftsrates. Dieser soll Maßnahmen erarbeiten, wie Deutschland bis 2030 die Nutzung fossiler Rohstoffe beenden kann.

In der Ampelkoalition kommt die Forderung nach dem Neun-Euro-Ticket und dem Tempolimit auf Autobahnen vor allem bei der FDP nicht an. Für Parteichef Christian Lindner ist das Blockieren von Straßen und Autobahnen nichts anderes "als physische Gewalt". FDP-Justizminister Marco Buschmann malt ein düsteres Szenario: "In den 1920er- und 1930er-Jahren gab es in Berlin straßenschlachtartige Zustände, weil sich Menschen am linken und rechten politischen Rand selbst ermächtigt fühlten, sich über die Rechtsordnung zu stellen und die eigenen Vorstellungen mit der Faust durchzusetzen."

Schokolade als Hilfe

Doch auch von den Grünen kommt mittlerweile Kritik. So erklärt Parteichef Omid Nouripour: "Wir gewinnen keine Akzeptanz, wenn die Leute stundenlang im Stau stehen, obwohl sie dringend zur Arbeit müssten."

Die Letzte Generation hingegen fühlt sich gut unterstützt und schwärmt: "Es ist klar, dass hier gerade etwas ins Rollen kommt. Kinder winken beim Vorbeilaufen, Radfahrer:innen applaudieren, und Passant:innen schenken Schokolade." Die Letzte Generation will auch noch in den kommenden zwei Wochen in Berlin protestieren und plant neue Maßnahmen.

Handgelenksbruch

Die Polizei in Berlin ermittelt intern wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt gegen Einsatzkräfte. In der Vorwoche war einem Aktivisten das Handgelenk gebrochen worden, dazu kursiert im Internet ein Video.

Politisch wird sich ab Donnerstag der neue schwarz-rote Senat um die Klimakleber kümmern. Nachdem die SPD-Basis die große Koalition abgesegnet hat, kann diese in dieser Woche mit Bürgermeister Kai Wegner (CDU) an den Start gehen. (Birgit Baumann aus Berlin, 24.4.2023)