Zum Glück gibt es Gastronomen, die bei einem schönen Wirtshaus einfach zugreifen müssen – auch wenn sie eh schon genug um die Ohren haben. Manuel Jagetsberger ist so einer. Das Anna & Jagetsberger, das er zusammen mit seiner Partnerin Anna Pawlik vis-à-vis von den Breitenseer Lichtspielen betreibt, läuft tadellos. Aber dann ging er im nahen Fünfhaus an einem siechenden Automaten-Tschocherl von einem Eckwirtshaus vorbei, mit Park gegenüber, hohen Decken und auch sonst viel Potenzial, da musste es einfach sein.

Uralt-Wirtshaus, mit Liebe aufpoliert und großartig bekocht: das neue Jagetsberger auf der hinteren Märzstraße.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Eine saubere Zink-Budel hatte Jagetsberger bereits aus einem anderen Wirtshaus gerettet, die mit Weinmotiven geätzten Glastüren für den Windfang fand er bei der Auflösung des Burgenland-Stüberls am Währinger Gürtel, die soliden Resopaltische waren schon im Lokal – und die skulptural kantige Espressomaschine Faema E61 "Ariete" (frühe 1970er!) aus wieder einer anderen Betriebsauflösung wartete auch auf ein zweites Leben als Star der Schank. Das Sparvereins-Blech hängt unverändert an der Wand, die Thonet-Stühle sind ein bisserl wackelig, die Beleuchtung eher grell – ist aber wurscht: In Summe vermittelt der Ort vorstädtische Wirtshausnormalität erster Sorte, alles wirkt wie seit Ewigkeiten zusammengewachsen, nichts ist übermäßig hübsch aber alles sauber, pur, real. Und das ist bei so einer derart zusammengeschusterten Hütte schon ein großes Wunder.

Bier kommt von Trumer, beim Wein gibt Auskenner Franz Messeritsch im Hintergrund wertvolle Hinweise, dementsprechend zeigt die kleine Auswahl durchaus Kante. In der Hinterhand gibt’s darüber hinaus stets die eine oder andere speziellere Flasche. Die richtige Musik spielt hier aber in der Küche.

Lust am Kochen

Die ist von der Schank aus einsehbar, und da steht Jagetsberger selbst drin, seit mit "Mamsell" Nora Kreimeyer (Ex-St.-Charles, ex-Ludwig-Van-Mittagstisch) in Breitensee ein mehr als würdiger Ersatz gefunden wurde. Und es macht ihm Spaß. So sehr, dass seine Lust am Kochen und die Freude an der neuen Hütte einen aus dem Teller geradezu anzuhupfen scheint. Zur Vorspeise ist die Tartelette aus cremig knusprigem Karfiol mit einem lässig geschichteten Topping aus hausgebeizter Lachsforelle, eingelegtem Rhabarber und hauchdünn geschnittenem Rettich mit allerhand Frühlingskräutern nicht zu schlagen: Fantastische Kombination aus cremig und knackig, roh und geröstet, sauer und süß – extrem gute Vorspeise. Beef Tartare ist aber auch viel besser als sonst, von Hand geschnitten, ohne Chichi aber mit Schwung, kräutersatter Salsa Verde und, vor allem, wirklich gutem Fleisch gemacht.

Tadellose Fleischqualität und resche Panier beim Schweinswiener.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Nockerln hier, Gnocchi da

Bei der Grießnockerlsuppe drängelt sich der Liebstöckel ein bisserl gar begeistert vor, dafür sind die Nockerln prachtvoll flaumig. Gnocchi gehen auch, mit Morcheln, Erbsen, Spargel, Zuckerschoten und einer satten, aber nicht wuchtigen Oberssauce wird da dem Frühling gehuldigt. Aber Wirtshaus ist Wirtshaus ist Wirtshaus, natürlich gibt es da auch Beuschel. Das schneidet Jagetsberger extrem fein, die Würze schiebt richtig an, speziell am Zitronenabrieb wird nicht gespart. Echt gut: das knusprig gebackene Sardellenringerl als Garnitur. Rindsgulasch darf mit zarter Kreuzkümmelnote am Sakrileg kratzen, geht sich, samt köstlicher Nockerl und einem Löffel Sauerrahm, aber ganz wunderbar aus. Und das Schweins-Wiener, quasi der Urmeter des Vorstadtwirts? Tadellose Fleischqualität, schulmäßige Soufflierung, resche Panier – und ein großartiger Erdäpfel-Vogerlsalat samt Käferbohnen.

Espresso aus der Faema muss dann noch sein (und gut ist er!), bei der Malakoffschnitte dazu nützt aber auch die Mithilfe des ganzen Tisches nix: Einpacken bitte! Und danke. (Severin Corti, 5.5.2023)