Öffentliche Sichtbarkeit von queeren Menschen führt generell zu einer positiveren Einstellung gegenüber diesen Gruppen. Auch daran will man am Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Trans-Feindlichkeit am 17. Mai aufmerksam machen.
Das führt aber auch dazu, dass jene, die bereits eine negative Einstellung haben, lauter werden. Weil sie fechten sozusagen das letzte Gefecht aus, um die Welt so, wie sie aus ihrer Sicht sein sollte, zu erhalten.

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Kinderlesungen von Dragqueens sorgen aktuell für viel Aufregung, in republikanisch dominierten US-Bundesstaaten genauso wie bei rechten Gruppierungen in Wien. Vor allem die FPÖ hat gegen die Events mobil gemacht, mit dem Argument, das sei Sexualisierungspropaganda für Kinder. Psychologinnen mit Expertise im Bereich Kinderschutz haben bereits erläutert, warum Kinder an solchen Lesungen mit ziemlicher Sicherheit keinen Schaden nehmen (DER STANDARD berichtete hier).

Hinter der massiven Ablehnung seitens einiger Teile der Gesellschaft scheint unter anderem Homophobie zu stecken. Wie diese überhaupt entsteht, haben viele Leserinnen und Leser des STANDARD im Zuge der Berichterstattung rund um das Thema gefragt. Das hat DER STANDARD nun den Sozialpsychologen Ulrich Klocke von der Humboldt-Universität in Berlin gefragt. Er erklärt, warum Ablehnung evolutionär sinnvoll sein konnte und weshalb die Proteste gegen Dragqueen-Lesungen auch als eine Art Rückzugsgefecht interpretiert werden können.

STANDARD: Hinter den Protesten gegen Dragqueen-Lesungen für Kinder dürfte ein ziemliches Quantum an Homophobie stecken – man erklärt Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zum Feindbild. Doch was genau ist Homophobie eigentlich?

Klocke: Tatsächlich ist der Begriff Homophobie ein ungenauer. Denn in ihm steckt das Wort Phobie, das bedeutet Angst. Die übliche Definition beschränkt sich aber nicht auf Angst. Der Begriff Homophobie wird von den allermeisten in einem sehr breiten Sinn verwendet, um negative Reaktionen auf Lesben und Schwule zu benennen. Je nach Definition sind damit auch negative Reaktionen auf bisexuelle, queere und transgeschlechtliche Personen gemeint. Es gibt präzisere Begriffe für das Phänomen, in der Wissenschaft etwa redet man, vor allem im englischsprachigen Raum, von Homonegativität. Oder man spricht einfach von Vorurteilen gegenüber sexuellen Minderheiten. Das ist insofern zutreffender, weil damit jede Art von negativer Reaktion eingeschlossen ist, also Angst und Unsicherheit, aber auch Feindseligkeit, Hass, sogar Verachtung oder Ekel.

STANDARD: Wie verbreitet ist Homophobie?

Klocke: Das kommt darauf an, wie man den Begriff definiert. Dieser an sich bezeichnet sämtliche negative Reaktionen, von Gewaltausübungen gegenüber homosexuellen oder queeren Menschen bis hin zu stereotypen Einstellungen und Verhaltensweisen. Letztere sind tatsächlich sehr weit verbreitet. Meine Kollegin Beate Küpper und ich haben in einer Studie herausgefunden, dass immerhin 44 Prozent der Menschen sagen, Homosexuelle sollen aufhören, so einen Wirbel um ihre Sexualität zu machen. Etwa ein Drittel sagt, dass das Thema in den Medien zu viel Raum einnimmt. Rund 40 Prozent gaben an, dass ihnen die Vorstellung, der eigene Sohn oder die eigene Tochter wäre homosexuell, unangenehm ist. Etwas entspannter sieht man das bei Arbeitskolleginnen und -kollegen. Da sagen nur noch zwölf Prozent, dass ihnen schwule Kollegen unangenehm wären. Diese Zahlen stammen aus Deutschland, ich gehe aber davon aus, dass das in Österreich ähnlich ist.

Was Zahlen zu Übergriffen anbelangt, ist die Lage auch nicht so klar. Am besten lässt sich das an den polizeilichen Kriminalstatistiken ablesen. Da sieht man, dass die Zahlen steigen. Aber man kann nicht klar sagen, ob das wegen einer zunehmenden Anzeigewahrscheinlichkeit ist oder deshalb, weil die Gewalt zunimmt. Um das herauszufinden, bräuchte man mehr und andere Daten. Man kann also nicht sagen "So viele Menschen sind homophob" oder "So viele Personen leiden wegen Homophobie". Das wäre unseriös, dazu kommt, dass die Grenzen fließend sind. So wie Rassismus uns alle betrifft und wir alle von Rassismus geprägt sind, so sind wir auch alle mehr oder weniger stark von Homophobie geprägt.

STANDARD: Das zeigt sich ja auch im täglichen Leben, der Ausruf "Hearst, bist schwul?" oder der Begriff "schwul" als Beleidigung, etwa unter Fußballfans, ist ja nach wie vor sehr stark verbreitet. Ist das immer gleich ein homophober Ausdruck?

Klocke: Nein, es bedeutet nicht zwingend, dass jemand etwas gegen Schwule hat. Ich habe selbst zu gruppenbezogenen Beschimpfungen geforscht, also wenn für eine Gruppe bestimmte Begriffe als Beschimpfung oder Beleidung genutzt werden. Besonders beliebt sind da Ausdrücke wie '"behindert", "Spast", "Penner" oder "Kanak", in Österreich würde man sagen "Tschusch". Und auch die Beschimpfung als schwul ist stark verbreitet. Uns war es nicht möglich, die Verwendung dieser Beschimpfungen durch die individuelle Einstellung gegenüber diesen Gruppen zu erklären. Jugendliche, die Ausdrücke wie "Schwuchtel" in ihrem Umfeld häufig hören, verwenden das ganz gedankenlos, vor allem wenn sie nie damit konfrontiert werden, dass das diskriminierend sein kann. Wenn ihnen aber die diskriminierende Wirkung bewusst ist, verwenden sie es tatsächlich seltener, das haben wir auch festgestellt. Daraus lässt sich schließen, solche Beschimpfungen sind oft nicht spezifisch diskriminierend gemeint. Man möchte vielmehr deutlich machen, dass irgendetwas negativ ist oder man jemanden beleidigen will, und verwendet dafür bestimmte Begriffe.

Gleichzeitig hat es aber eine diskriminierende Wirkung. Studien zeigen, dass queere Schülerinnen und Schüler schlechtere Leistungen erbringen, wenn sie häufig solche Beschimpfungen hören. Und auch heterosexuelle Menschen, die den Ausdruck "schwul" als Beleidigung oder Beschimpfung hören, haben danach eine negativere Einstellung gegenüber Schwulen und Lesben. Die Diskriminierung passiert dabei grundsätzlich unabhängig davon, ob gerade eine betroffene Person anwesend ist oder nicht.

STANDARD: Woran liegt es überhaupt, dass Menschen Vorurteile oder negative Einstellungen gegenüber anderen Gruppen haben?

Klocke: Das liegt daran, dass Menschen kategorisieren, die Umwelt, aber auch andere Menschen. Und die Menschen wollen sich selbst positiv sehen. Eine Möglichkeit, das zu erreichen, ist die eigene Gruppe als positiv zu kategorisieren und andere Gruppen abzuwerten. Ist man selbst heterosexuell und vielleicht in seinem Selbstwert etwas beeinträchtigt, kann man den eigenen Selbstwert erhöhen, indem man Schwule und Lesben abwertet. Das gilt nicht nur für Homophobie, sondern generell für Vorurteile. Ein weiterer Grund ist, dass wir das, was uns nicht so vertraut ist, erst einmal ablehnen. Das ist evolutionär an sich ein sinnvoller Mechanismus, wir schützen uns dadurch vor Gefahren. Aber es führt eben auch dazu, dass Menschen, die aus Gruppen kommen, mit denen wir keine Erfahrung haben, erst einmal abgewertet werden.

STANDARD: Das gilt ja prinzipiell für alle Formen der Diskriminierung. Wie sieht es speziell bei der Benachteiligung von Homosexuellen aus?

Klocke: Vor allem Geschlechternormen und Religiosität spielen bei Homo- und Transphobie eine Rolle. Wenn jemand sehr strikte Vorstellungen davon hat, wie Buben und Mädchen, Männer und Frauen zu sein haben, welche Eigenschaften ihnen zugeordnet werden, welches Verhalten adäquat ist, dann wertet man queere Menschen eher ab. Das betrifft tatsächlich vor allem Männer und Buben, weil auf ihnen öfter der Druck lastet, selbst Geschlechternormen zu entsprechen.

STANDARD: Man liest auch manchmal, dass eine unterdrückte Homosexualität hinter so einer Abwertung stecken könnte ...

Klocke: Es gibt tatsächlich Hinweise darauf. Wir haben nicht genügend Daten, um das mit Sicherheit sagen zu können. Aber in Untersuchungen hat sich gezeigt, dass etwa Männer, deren Männlichkeit infrage gestellt wurde oder die als feminin bezeichnet wurden, das kompensieren, indem sie ein hypermaskulines Verhalten an den Tag legen. Das kann eine besonders risikoreiche Geldanlage sein, aber eben auch, sich abfällig gegenüber Schwulen zu äußern. Man will damit die eigene Männlichkeit irgendwie sichern. Das erklärt auch, warum das bei Buben und Männern häufiger vorkommt. Mädchen und Frauen stehen nicht so unter Druck, ihre Weiblichkeit immer wieder zu beweisen. Weiblichkeit wird in unserer Gesellschaft als etwas Biologisches betrachtet, dass man einmal erwirbt und einem nicht so schnell wieder genommen werden kann. Männlichkeit hingegen ist prekär und muss immer wieder bewiesen werden.

STANDARD: Wie stark spielt die Bildung mit bei homophober Einstellung?

Klocke: Tatsächlich zeigen Studien Zusammenhänge zwischen Bildungsniveau, Schulabschluss und Homophobie. Es dürfte wohl so sein, dass es mit einem höheren Bildungsgrad leichter fällt zu erkennen, dass sexuelle Orientierung keine Bedrohung darstellt. Dazu kommt auch, dass man sich mit einem höheren Bildungsniveau eher in einem Umfeld bewegt, in dem es sich nicht schickt, offen homophobe Einstellungen zu äußern. Das sind aber natürlich nur statistische Mittelwerte. Weil in Gruppen, die beispielsweise gegen Vielfalt an Schulen kämpfen, übernehmen sehr wahrscheinlich sehr gebildete Eltern eine Führungsrolle, weil sie homophobe Einstellungen haben. Und selbstverständlich gibt es Menschen ohne Schulabschluss, die überhaupt kein Problem mit queeren Personen haben.

STANDARD: Warum sind es vor allem die rechten Gruppierungen, die homosexuelle und queere Menschen als Feindbilder instrumentalisieren? Ist das einfach ein propagandistisches Mittel, das gut funktioniert?

Klocke: Wir wissen, dass mehr Kontakte zu und öffentliche Sichtbarkeit von queeren Menschen generell zu einer positiveren Einstellung führen. Das zeigen auch historische Untersuchungen darüber, wie sich die Einstellung gegenüber Homosexuellen verändert hat, ganz klar. Aber das führt natürlich auch dazu, dass bei jenen Menschen, die eine negativere Einstellung gegenüber homosexuellen und queeren Menschen haben, eine immer größere Kluft aufgeht zwischen der eigenen Vorstellung, wie die Welt sein sollte, und der Welt, wie sie in den Medien vorgefunden wird. Und ich gehe davon aus, dass jene, die bereits eine negative Einstellung haben, nun lauter werden, weil sie sozusagen das letzte Gefecht ausfechten, um die Welt, so wie sie aus ihrer Sicht sein sollte, zu erhalten.

STANDARD: Was kann man selbst gegen diese laute Homophobie tun?

Klocke: Am besten funktioniert es, wenn man die Ursachen von Vorurteilen umdreht und zum Beispiel Fremdheit und Unsicherheit durch Vertrautheit und Kontakt, also persönliche Begegnungen, austauscht. Das kann nachweislich Vorurteile abbauen. Das spricht natürlich absolut für Kinderlesungen von Dragqueens oder dass man queere Menschen in Schulen einlädt, die aus ihrer Biografie erzählen und Fragen beantworten. Dragqueen-Lesungen lösen durch ihre Schrillheit wahrscheinlich mehr Protest aus, als wenn queere Studierende zwei Stunden in eine Schule gehen und von sich erzählen. Aber solche Lesungen tragen dazu bei, dass Buben eine etwas liberalere Vorstellung davon bekommen, was sie dürfen oder welche Kleidung sie tragen können, und führen damit zu mehr Vertrautheit. Das hat gar nichts mit Geschlechtsidentität zu tun.

In dem Zusammenhang sind übrigens auch Pädagoginnen und Lehrer gefordert, Kinder zu sensibilisieren, welche Konsequenzen ihr Verhalten hat. Erklärt man ihnen, dass solche Beschimpfungen andere beleidigen können, ist das erfolgreicher, als bei Schimpfwörtern, die meistens nicht diskriminierend gemeint sind, einen moralischen Zeigefinger zu erheben. Der erzeugt nämlich in erster Linie das Gefühl, dass man jedes Wort auf die Goldwaage legen muss. (Pia Kruckenhauser, 17.5.2023)