Wenn sich autonome Fahrzeuge mit herkömmlichen Autos die Straße teilen, sind brenzlige
Situationen unvermeidbar.
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Wenn sich Autounfälle schon nicht völlig verhindern lassen, so sollen sie wenigstens geringstmöglichen Schaden verursachen. Automobilhersteller versuchen deshalb seit langem, ihren Fahrzeugen durch elektronische Sicherheitsassistenten, aber auch durch mechanisch-konstruktive Verstärkungen mehr Sicherheit im Straßenverkehr zu verleihen.

In dieselbe Kerbe schlägt auch das europäische Forschungsprojekt Flexcrash, das unter dem Rahmenprogramm "Horizon Europe" läuft und mit knapp vier Millionen Euro budgetiert ist. Zehn Partner aus fünf Ländern arbeiten darin bis August 2026 an der Entwicklung neuer Produktionstechnologien, die unter Verwendung von Leichtbaumaterialien crashsichere Fahrzeugstrukturen ermöglichen sollen. Insbesondere die Frontpartie steht im Fokus der Forscher, da ein Großteil aller Totalschäden auf das Konto von Frontkollisionen geht.

Am Beginn des Projekts steht eine Erhebung, welche Typen von Unfällen überhaupt vorkommen, wie sie zustande kommen und welche Schäden sie nach sich ziehen. Diese Aufgabe kommt Forschern der IMC Fachhochschule Krems zu, neben dem F&E-Zentrum Virtual Vehicle der zweite österreichische Partner in dem Konsortium.

Eine Besonderheit von Flexcrash ist, dass dabei explizit Verkehrssituationen berücksichtigt werden, bei denen herkömmliche und selbstfahrende Autos gleichberechtigt am Verkehrsgeschehen teilnehmen. Dahinter steht die Idee, dass autonome Fahrzeuge – zumindest in der Theorie – deutlich sicherer unterwegs sein sollen als von Menschen gesteuerte.

Theorie und Praxis

Das trifft jedoch nur im geschützten Laborumfeld zu. Wenn beide quasi "in freier Wildbahn" aufeinandertreffen, ergeben sich völlig andere Herausforderungen. Die Interaktion beider Fahrzeugtypen könnte nämlich völlig neue Unfallszenarien nach sich ziehen, die wiederum angepasste konstruktive Maßnahmen seitens der Automobilhersteller erforderlich machen.

Doch warum sollten sich Unfallszenarien unter Beteiligung selbstfahrender Autos überhaupt grundlegend von solchen unterscheiden, an denen keine autonomen Fahrzeuge beteiligt sind? "Autonome Autos fahren nie schneller als erlaubt. Es wird also keine Unfälle geben, die autonome Autos durch zu schnelles Fahren verursacht haben", nennt Alessio Gambi, Professor am Institut für Digitalisierung und Informatik der IMC Fachhochschule Krems, ein Beispiel.

Typische Crashsituationen

Andererseits kommt die Einstellung des Menschen gegenüber Maschinen als potenzielle neue Gefahrenquelle hinzu: "Als menschlicher Fahrer hat man bestimmte Annahmen darüber, wie die anderen Autofahrer sich verhalten werden. Man beobachtet sie und passt sich deren Fahrweise an", sagt Gambi. "Sobald autonome Fahrzeuge im Spiel sind, könnte sich das grundlegend ändern. Denn diese Fahrzeuge halten sich immer an die Verkehrsregeln." Das könnte etwa bedeuten, dass menschliche Fahrer sich mehr Freiheiten gegenüber autonomen Fahrzeugen herausnehmen, weil sie wissen, dass nicht mit aggressiven Reaktionen zu rechnen ist.

Gambis Aufgabe im Projekt Flexcrash ist es, herauszufinden, welche Kategorien von Unfällen es im Zusammenspiel von menschlichen und Computerfahrern künftig geben kann – eine "Sammlung repräsentativer Fälle typischer Crashsituationen" nennt er es. Dazu nutzt Gambi zunächst die Unfalldaten aus öffentlich zugänglichen Datenbanken. Diese haben jedoch den Nachteil, das darin fast nie vermerkt ist, ob es sich bei den verunfallten Fahrzeugen um selbstfahrende oder von Menschen gesteuerte handelt.

Deshalb entwickeln der Forscher und sein Team eine Simulationsplattform, auf der diverse Verkehrssituationen von Menschen absolviert werden. Sie ist ähnlich aufgebaut wie ein simples Videospiel, bei dem man eine Straße sieht, Fahrzeuge sind als Quadrate dargestellt. Alle Teilnehmenden haben ein Ziel vorgegeben, das angesteuert werden muss, und bestimmte zulässige Bewegungsmöglichkeiten.

Komplexe Simulation

Die Simulation ist getaktet: Sobald alle ihren Zug gemacht haben, geht die Systemuhr einen Klick weiter. Dabei entscheiden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Züge, ohne zu wissen, was die anderen tun. Über eine Schnittstelle können Hersteller autonomer Fahrzeuge ihre Autos als virtuelle Teilnehmer ebenfalls in die Simulation einbinden. "Damit wollen wir jene interessanten Fälle identifizieren, die wir dann in einem weiteren Schritt tiefergehend untersuchen", sagt Gambi.

Für diesen weiteren Schritt werden die Forschenden dann die Simulationssoftware des deutschen Spieleherstellers Beam NG nutzen. Diese basiert auf einer Engine, die physikalische Gesetze mit hoher Präzision simulieren kann. Damit wollen sie Unfallabläufe im Detail analysieren, indem sie verschiedene Parameter wie Fahrtempo, Aufprallwinkel und Ähnliches verändern und einen gegebenen Unfalltyp mit diesen Variationen mehrfach durchspielen.

"Wenn zwei Fahrzeuge aufeinanderprallen, verteilt sich die Energie auf spezielle Weise", erklärt Gambi. "Mit dieser Engine können wir das physikalisch exakt nachbilden." Das Ziel von Flexcrash ist zwar nicht, Unfälle zu verhindern, aber durch konstruktive Maßnahmen im Fahrzeugbau das Ausmaß des Schadens zu reduzieren. Dennoch könnten die Einsichten über Crashcharakteristika, welche die Kremser in den Simulationen gewinnen, eines Tages auch dazu beitragen, selbstfahrende Autos intelligent genug zu machen, dass sie Unfälle völlig vermeiden. (Raimund Lang, 6.5.2023)