Thomas Muster bei einem Medientermin in Wien-Floridsdorf.

Foto: Bildagentur Zolles KG

Muster unterstützt Turnierdirektor Herwig Straka seit einigen Jahren als Turnierbotschafter der Erste Bank Open.

Foto: Bildagentur Zolles KG

Muster mit Thiem und Massu im Jänner 2020.

Foto: imago images/AAP/Dodge

Wenn Thomas Muster über Tennis spricht, zeichnet er mit seinen Worten Bilder in den Raum. Fast schon legendär ist sein Sager nach einer äußerst kurzfristigen Zusammenarbeit mit Dominic Thiem im Jänner 2020. "Es gibt Häuser mit schönen Fassaden", sagte Muster damals, "aber man weiß halt selten, wer drinnen wohnt." Die beiden konnten nicht miteinander, seither ist der Kontakt komplett abgebrochen.

Muster, French-Open-Sieger von 1995 und ehemalige Nummer eins der Welt, ist seit einigen Jahren Turnierbotschafter der Erste Bank Open. Bei einem Pressetermin zu Österreichs größtem Tennisturnier sprach der 55-Jährige mehr als eine halbe Stunde über seinen einstigen Schützling. Und wieder konstruierte er in seinen Aussagen würzige Sprachbilder. Er sprach von zwei Teufelchen, die auf Thiems Schulter sitzen: Der eine sagt ihm, er solle die Karriere fortsetzen, der andere nicht. Muster bezeichnet manche Matches von Thiem der vergangenen Monate als so ansehnlich wie Plastikblumen zum Muttertag. Und als Muster über Mentalcoaching referiert, zieht er den Vergleich zu einem Kettenraucher im Nichtraucherseminar: Nur wenn er es wirklich will, hört er sich an, was Experten sagen.

Raus aus der Sackgasse

Obwohl Muster heute nicht mehr mit Thiems Familie spricht, analysiert er die Leistungen des 29-Jährigen. Laut eigenen Aussagen hat Muster in den letzten drei Jahren kein Match von Thiem verpasst. "Ich traue ihm heuer zu, dass er in die Top 30 kommt", sagt Muster. "Mit seiner Technik, seinem Spiel und dem Speed, den er produzieren kann, ist das möglich."

Dabei helfen soll Thiem vor allem dessen neuer Trainer, der Deutsch-Iraner Benjamin Ebrahimzadeh, der seit April neu im Betreuerstab ist. Muster hält den Abschied von Vorgänger Nicolas Massu richtig, sagt aber: "Der Schritt kam zu spät. Man hätte im Winter Vorbereitungen treffen können. Vielleicht hat er den Tiefpunkt gebraucht, denn schlechter hat es gar nicht mehr kommen können. Die Sackgasse war unübersehbar."

Im Juni 2021 verletzte sich Thiem am Handgelenk, konnte danach neun Monate lang kein Match bestreiten. Nach fünf Jahren fiel er aus den Top Ten, nach acht Jahren erstmals aus der Gruppe der besten 100 Tennisspieler der Welt. Die Rückkehr war kompliziert, Thiem erreichte bis heute nie das Niveau seiner besten Tage. Muster hat dafür eine Erklärung: "Ich bezweifle, dass er bis jetzt körperlich fit war. Da ist in drei Jahren viel verbockt worden von ihm, mit angekündigten Comebacks. Es war eine Summe an schlechten Entscheidungen." Erst jetzt erkenne er wieder, dass Thiems körperliche Verfassung ausreicht, um mehrere Wochen in Folge Turniere zu bestreiten.

Schleifen im Training

Ein Comeback ist keine leichte Kost. Muster muss es wissen, seine Rückkehr nach einem Unfall in Miami, als er mit einem eingegipsten Bein auf dem Platz Bälle schlug, machten Muster zur Legende. "Solch ein Comeback ist aufreibend, zeitintensiv, körperlich intensiv. Wenn du mit Verletzungen weiter Tennis spielst, fragst du dich, warum du das tust", sagt Muster. "Du bist finanziell unabhängig und merkst, es gibt andere Dinge im Leben. Du musst dich im Kopf neu erfinden, um das wieder anzugehen. Das funktioniert nicht im Vorbeigehen." Auch der Deutsche Alexander Zverev befinde sich aktuell in einer problematischen Phase. Eine in der es gilt, unzählige Wiederholungen an Schlägen im Training wettzumachen. "Das muss sich einschleifen und wieder selbstverständlich werden."

Thiems größte Schwachstelle sei die Positionierung. Er steht bei Ballwechseln tief, dort fühlt er sich wohler, weil er mehr Zeit bekommt, um sich auf seine Schläge vorzubereiten. "Gott sei Dank gibt es bei vielen Turnieren keine Linienrichter mehr. Du kannst sechs Meter hinter der Grundlinie kein Match gewinnen", sagt Muster. Zuletzt beim Turnier in München ging Thiem der Platz aus, sagt Muster, weil der Center Court im Vergleich zu anderen Turnierorten klein konzipiert ist. Thiem spiele vor großem Publikum in großen Stadien besser. "Du musst das Spielfeld kontrollieren. Die Wege werden sonst zu weit, die Regeneration wird nicht einfacher." Mit mehr Selbstvertrauen könne Thiem es schaffen, wieder näher an die Grundlinie zu kommen, die Bälle früher spielen, die Punkte diktieren. "In Madrid waren Ansätze da", sagt Muster. Vor allem im Match gegen Stefanos Tsitsipas, das er im Tiebreak des dritten Satzes verlor.

Die Jagd nach dem Image

Muster sagt, er verfolge Thiems Matches so genau, weil ihn die Psychologie dahinter interessiere. Er fragt sich: Wie gestaltet er das Comeback? Was macht sein Umfeld? Er bekam Thiems Selbstzweifel mit, vermisste die letzte Überzeugung. Mit neuem Trainer würde die Bereitschaft wieder geweckt. "Neben dem Tennistraining ist da glaube ich ganz viel Gesprächstherapie dabei", sagt Muster. Thiem müsse sich vor allem auf Sand wieder ein Image des Unbezwingbaren erarbeiten. "Die meisten haben gegen ihn verloren, bevor sie auf den Platz gingen. Am Anfang bekam er beim Shakehands noch Mitleid, jetzt geht es in die richtige Richtung."

Für seinen nächsten Auftritt macht Thiem einen Schritt auf die Challenger-Ebene, beim Turnier in Mauthausen in der kommenden Woche ist er topgesetzt. Ab 22. Mai steigen die French Open in Paris. Muster hält den Einzug ins Viertelfinale bei einer guten Auslosung für möglich. "Die Erwartungen sind so niedrig, Paris ist wahrscheinlich wurscht", sagt Muster. Trainer Ebrahimzadeh plant schon für den Herbst, glaubt er. "Sie arbeiten daran, die Intensität aus dem Training ins Match zu bekommen. In den nächsten Wochen wird ein Schub kommen, auch die Ausdauer wird besser. Dominic hat sich einen Grundstock erarbeitet."

Eine Tenniskarriere lässt sich heute problemlos bis ins Alter von 40 Jahren ausdehnen. Roger Federer machte es vor, auch der von Knieschmerzen geplagte 38 Jahre alte Stan Wawrinka genießt sein Leben auf der ATP-Tour. Bei Thiem glaubt Muster: "Fünf, sechs Jahre auf Top-Niveau sind noch locker drin."

Zum Schluss zeichnet Muster noch einmal ein Bild, wenn auch ein abstraktes: "Du musst besser werden. Wenn du gleich gut spielst, wirst du schlecht." (Lukas Zahrer, 4.5.2023)