Seit Jänner geht die U23-Europameisterin von 2018, Lubjana Piovesana, für Österreich auf die Matte.

Foto: EJU/Gabi Juan

"Manchmal ertappe ich mich noch dabei, dass ich sage, ich bin Engländerin und nicht Österreicherin", sagt Lubjana Piovesana. Seit Anfang Jänner hat die 26-Jährige die österreichische Staatsbürgerschaft, wenige Tage später folgte die Zulassung durch den Internationalen Judoverband (IJF). Seitdem zählt Piovesana, auch "Lulu" genannt, zu den österreichischen Medaillenhoffnungen. Am Mittwoch kämpft sie bei der WM in Doha, Katar, in der Klasse bis 63 Kilogramm.

Wer einen Nationenwechsel anstrebt, muss viele Hürden in Kauf nehmen. So auch die Neo-Österreicherin: "Der Prozess hat bereits 2021 angefangen. Durch die Corona-Krise und den Ukrainekonflikt hat sich alles verzögert und viel länger gedauert als erwartet."

Schlimme Vorwürfe

Der Grund für den Wechsel Piovesanas, der U23-Europameisterin von 2018, war unerfreulich. Während ihrer Zeit im britischen Nationalteam, das im Judo-Center Walsall an der University Wolverhampton situiert ist, wurde sie von einem Trainer und einer Sportlerin regelrecht gemobbt. Einmal soll sie auch Opfer von Gewalt gewesen sein. Sie sei am Boden gelegen, eine Kollegin habe auf sie eingeschlagen und -getreten, wie Piovesana in einem Instagram-Posting schreibt.

Polizeiermittlungen hätten die Situation verschlimmert, Lästereien und Ausgrenzungen hätten sich innerhalb von zwei Jahren gehäuft. Bei gemeinsamen Essen oder Coachings sei sie unerwünscht gewesen. Bei Wettkämpfen wäre Piovesana auf sich alleine gestellt gewesen, ihr Trainer hätte sie ignoriert. Die Situation setzte der Sportlerin jedenfalls zu. Piovesana kämpfte zu dieser Zeit mit starkem Haarausfall und Gewichtsverlust.

Lubjana Piovesana (links) im Grand-Slam-Einsatz für Österreich.
Foto: IJF/ Emanuele Di Feliciantonio

Während der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die Judoka offenbar nicht die einzige Betroffene war. Fünf weitere Sportlerinnen hätten sich wegen Mobbing zu Wort gemeldet. Zeugenaussagen seien von dafür zuständigen Personen ignoriert worden.

Der Weg zurück nach Walsall und somit zum britischen Team kam für die Athletin nicht mehr infrage. "Unter den Werten, die der britische Verband vertritt, ist das für mich nicht mehr möglich. Selbst wenn das heißt, dass ich den Traum, bei Olympischen Spielen zu kämpfen, aufgeben muss. Ich bin stark, aber der britische Verband hat mich zerstört", sagt Piovesana. Mit dem freiwilligen Ausstieg fielen auch Förderungsgelder sowie Wettkampfmöglichkeiten weg.

Neue Heimat

In Österreich ist sie wieder glücklich geworden. "Das Team hat mich super aufgenommen. Ich war von Anfang an Teil davon." Dass die Wahl auf Österreich gefallen ist, lag auf der Hand. Seit 2018 ist Piovesana mit dem Vorarlberger Judoka Laurin Böhler liiert. Der Umzug ins Ländle war nur Formsache. Allein mit der Sprache hapert es noch ein wenig: "Ich habe einen Deutschkurs mit A2-Level gemacht. Aber ich verstehe sie durch ihren Dialekt nicht." Probleme gebe es im Training aber nicht. Immerhin verfüge das österreichische Nationalteam über mehrere internationale Coaches. Ob sie in ihrer neuen Heimat etwas vermisst? "Ich habe mich noch immer nicht daran gewöhnt, dass die Geschäfte sonntags zu sind."

Psychologische Hilfe

Insgesamt drei Jahre hat die Judoka des LZ Hohenems keine internationalen Turniere mehr bestritten. Piovesana litt unter dieser Zwangspause: "Ich hatte Angst, dass ich gar kein Judo mehr kann. Das Kämpfen macht Spaß, aber noch nicht auf Turnieren. Ich bin immer noch sehr nervös." Erst der Gang zu einer Sportpsychologin habe die Situation verbessert. Ihr fehle es an Wettkampfpraxis. "Lulu braucht natürlich ein bisschen Zeit. Man darf sich nicht sofort Topleistungen erwarten. Ihr Potenzial ist zweifelsohne vorhanden", sagt Headcoach Yvonne Snir-Bönisch.

Das Antreten in Doha galt für die Tochter einer Belgierin und eines Italieners als unwahrscheinlich. Die Judoka schaffte es schließlich mit nur vier Turnierstarts. Mit Bronze bei den European Open in Rom und Platz fünf beim Grand Slam in Antalya löste sie das Ticket.

Das große Ziel der Studentin der Politikwissenschaften ist Olympia 2024 in Paris. In Katar gibt es wertvolle Qualifikationspunkte. (Laura Rieger, 9.5.2023)