Am 1. Oktober 2018 war Donna Strickland eine weitgehend unbekannte Laserphysikerin an der kanadischen Universität Waterloo. Wikipedia-Eintrag hatte sie noch keinen, ein Moderator der Seite hatte einen solchen mit der Begründung abgelehnt, die "genannten Referenzen zeigen nicht, dass sie sich für einen Eintrag qualifiziert". Am 2. Oktober kürte das Nobelkomitee in Stockholm Strickland zur Nobelpreisträgerin – nach Marie Curie (1903) und Marie Goeppert-Mayer (1963) wurde ihr als erst dritter Frau überhaupt der Nobelpreis für Physik zuerkannt. Der Eintrag in Wikipedia und Einladungen aus aller Welt ließen nicht lange auf sich warten.

Bei einem Besuch in Wien Ende April sprach Strickland mit dem STANDARD über die Situation von Frauen in der Wissenschaft, den kleinen Klub der Physiknobelpreisträgerinnen und Fortschritte in der Laserphysik.

Die kanadische Laserphysikerin Donna Strickland wurde 2018 als erst dritte Frau mit dem Physiknobelpreis ausgezeichnet. Ende April war sie auf Einladung der Akademie der Wissenschaften zu Gast in Wien und sprach über neue Entwicklungen in der Laserphysik.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Sie wurden 2018 mit dem Physiknobelpreis für Ihre Beiträge zur Entwicklung einer Methode ausgezeichnet, die ultrakurze Laserpulse mit sehr hoher Energie ermöglicht. Diese Chirped Pulse Amplification (CPA) haben Sie 1985 mit Ihrem Ko-Laureaten Gérard Mourou entdeckt – wie hat sich das Feld seither entwickelt?

Strickland: Als wir diese Arbeiten gemacht haben, dachten wir, sie würden wichtig für spezielle Bereiche der Physik werden. Aber wir hatten nicht die umfassenden Anwendungsmöglichkeiten im Blick. Durch die ultrakurzen Pulse können sich jetzt viele Forschende in ihren Laboren Laser mit hoher Intensität leisten und damit arbeiten. Das hat das Feld wirklich verändert und es viel größer gemacht, als wir es uns hätten vorstellen können.

STANDARD: Leistungsstarke Laser werden heute beispielsweise auch für Augenoperationen eingesetzt. Wie kam es dazu?

Strickland: Ich war daran nicht beteiligt, aber Gérald (Mourou, Doktorvater von Strickland, Anm.) arbeitete zu dieser Zeit in Michigan mit einem Studenten mit leistungsstarken Lasern, und er wurde im Auge vom Laser getroffen. Im Krankenhaus sah sich ein junger Augenarzt die Verletzung an und bemerkte, dass diese sehr außergewöhnlich war: Normalerweise kommt es bei Laserverletzungen zu einem Riss im Auge, aber in diesem Fall war es ein perfektes rundes Loch. Der Augenarzt wollte also wissen, was das für ein Laser gewesen ist – und das war der Beginn einer Zusammenarbeit, aus der schließlich Augenoperationen mit Lasern entstanden sind.

Video-Interview mit Donna Strickland nach der Bekanntgabe des Physiknobelpreises 2018. Video: Nobel Prize
Nobel Prize

STANDARD: Mögliche Anwendungen von Lasern in der Medizin sind auch Gegenstand Ihrer aktuellen Forschung. Worum geht es dabei?

Strickland: Gemeinsam mit der Gruppe von Toshiki Tajima arbeiten wir daran, Laser in der Krebstherapie einzusetzen. Bei der Entfernung von Tumoren gibt es das Problem, dass Chirurgen nicht genau wissen, wie tief sie schneiden müssen, um den Tumor vollständig zu entfernen. Es wäre ein Vorteil, wenn sie die letzte Schicht stehen lassen können, und dann gehen wir mit unseren Lasern hinein und übernehmen die Entfernung. Ich selbst mache keine medizinische Physik, aber ich arbeite mit meinem Team an den Lasern.

STANDARD: Wie viel Zeit bleibt Ihnen seit dem Nobelpreis eigentlich noch für Ihre Forschung?

Strickland: Leider nicht sehr viel, die meiste Zeit bin ich unterwegs, halte Vorträge und treffe Kolleginnen und Kollegen. Meine Gruppe würde sich sicher wünschen, ich wäre öfter zu Hause.

Physiknobelpreisträgerin Donna Strickland beim Gespräch im Dachpavillon der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Sie sind in Wien, um einen Vortrag im Rahmen der Lise-Meitner-Vorlesungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zu halten. Die österreichische Physikerin Lise Meitner wurde 48-mal für den Physik- oder Chemienobelpreis nominiert, letztlich hat ihn ihr Forschungspartner Otto Hahn 1945 alleine bekommen. Haben Sie in Ihrem Werdegang oft über die Situation von Frauen in der Wissenschaft nachgedacht?

Strickland: Bevor ich den Nobelpreis gewonnen habe, war mir überhaupt nicht bewusst, dass ihn vor mir nur zwei Frauen bekommen haben. Ich fokussiere mich eher auf die positiven Seiten des Lebens: Es hätte mich sicher sehr gefreut, wenn dazwischen einmal eine Frau gewonnen hätte. Aber dass mehr als 50 Jahre keine Frau dabei war, darüber habe ich nicht nachgedacht.

STANDARD: Hat sich die Situation von Frauen in der Wissenschaft in den vergangenen Jahrzehnten verbessert?

Strickland: Oh ja, auf jeden Fall. Maria Goeppert-Mayer hatte zum Beispiel sehr lange keinen bezahlten Job. Sie folgte ihrem Mann, wenn der eine Position bekam, und nahm dann beispielsweise eine Stelle als Sekretärin an, weil sie dann im Büro saß und theoretische Physik machen konnte. Als sie den Nobelpreis gewann, gab es Schlagzeilen, wonach eine "Hausfrau aus San Diego" den Nobelpreis gewonnen habe. Das war natürlich absurd und ist zu meiner Zeit nicht mehr passiert. Ich habe aber natürlich mehr Aufmerksamkeit bekommen als meine männlichen Ko-Preisträger, was auch nicht fair ist, denn eigentlich sollte es ja einfach um die wissenschaftlichen Leistungen gehen, die wir beigetragen haben.

Die Nobelpreisvorlesung von Donna Strickland an der Universität Stockholm im Dezember 2018 zum Nachschauen. Video: Nobel Prize
Nobel Prize

STANDARD: 2020 hat mit Andrea Ghez eine weitere Frau den Physiknobelpreis erhalten. Sind Sie in Kontakt?

Strickland: Ja, wir haben einen kleinen Klub der Physiknobelpreisträgerinnen. Ich hoffe sehr, dass unser Klub noch wächst.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die Bedeutung von weiblichen Rolemodels in der Wissenschaft?

Strickland: Ich höre immer wieder von jungen Menschen, dass solche Vorbilder sehr wichtig seien. Ich habe als junger Mensch kaum darüber nachgedacht: Ich hatte keine Professorinnen, aber ich habe daraus nicht den Schluss gezogen, dass ich es nicht schaffen könnte. Die 1970er-Jahre waren natürlich anders als heute. Dank der Frauenbewegung waren wir damals in einer Situation, in der wir als Frauen mehr Möglichkeiten hatten als zuvor. Die Frauen haben sich also in den Beruf hineingeworfen. Das Problem war, dass sie den Männern nicht gleichzeitig gesagt haben, dass sie sich eine Aufteilung der Kindererziehung und Haushaltsarbeit erwarten. Aus diesem Grund sind die Frauen ausgebrannt. Wir müssen also jetzt stärker den Fokus auf die Männer richten und sie überzeugen, dass es eine faire Aufteilung braucht.

STANDARD: Sie engagieren sich auch stark dafür, Wissenschaft einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Warum denken Sie, dass es wichtig ist, dass sich mehr Menschen für Wissenschaft interessieren?

Strickland: Auf meinen Reisen nach Asien ist mir aufgefallen, wie sehr dort Wissenschafter wie Rockstars verehrt werden. In den USA und Kanada ist das ganz anders. Mich besorgt auch, wie viele Menschen den Kopf in den Sand stecken, was den Klimawandel angeht. In der Pandemie konnten viele Menschen der Wissenschaft in Echtzeit zusehen und dabei hat sich auch gezeigt, dass viele den wissenschaftlichen Prozess überhaupt nicht verstehen. Ich denke, dass wir diesen Prozess viel besser erklären müssen. Wir können uns nicht hinstellen und sagen: "Vertraut uns, denn wir sind Wissenschafter. "Wir müssen den Prozess erklären, wie wir zu unseren wissenschaftlich fundierten Ergebnissen kommen. Wir haben an der Universität Waterloo ein neues Netzwerk gestartet mit dem Namen TRUST, das genau das erreichen will.

STANDARD: Im derzeitigen akademischen System liegt ein starker Fokus auf Publikationen und Zitationen in High-Impact-Journalen. Wie denken Sie darüber, dass das die ausschlaggebenden Kriterien sind, die darüber bestimmen, ob jemand in der Wissenschaft Karriere machen kann oder nicht?

Strickland: Dazu würde ich gerne anmerken, dass meine mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Arbeit nicht in einem High-Impact-Journal erschienen ist. In den ersten Jahren hat sie auch Zitationen erhalten. Was die heutigen Metriken angeht, wäre diese Arbeit als blanker Misserfolg gewesen. Inzwischen werden die Zitationen wie ein Spiel betrieben: Jeder weiß, dass es wichtig ist, und so achten wir alle darauf, dass wir viel zitieren und auch viel zitiert werden. Es liegen aber leider auch keine Vorschläge auf dem Tisch, wie man das ändern könnte. (Tanja Traxler, 14.5.2023)