Roger Robinson hängte einen Gegner nach dem anderen ab. "Nur eine Taktik kam infrage: permanent Druck machen."

Foto: Kathrine Switzer

Kathrine Switzer und Roger Robinson bei der WM in Bathurst.

Foto: Kathrine Switzer

Vor kurzem hab ich in Bathurst in Australien etwas getan, von dem ich dachte, dass ich es nie wieder tun würde: Ich bin noch einmal bei der Cross-Country-WM mitgelaufen. Was für eine Zugabe im Alter von 83 Jahren! Zum ersten Mal waren die Masters-Bewerbe Teil der "echten" WM. Es war wie ein wahr gewordener Traum, an der Spitze des Feldes zu laufen, auch wenn es "nur" der Bewerb M80–84 war. Doch es war ein richtiges Rennen, ein Rennen, wie es sein sollte, wenn es um Medaillen geht. Um zu siegen, musste ich einen hartnäckigen Australier bezwingen.

Meine Liebe zum Querfeldeinlauf reicht fast siebzig Jahre zurück. Ich war 16, da erhielt ich als Preis für den Sieg bei einem Schulrennen ein billig produziertes Buch mit dem Titel The Jubilee History of the International Cross-Country Union, 1903–1953. Meine junge Fantasie wurde beflügelt durch Storys von schlammigen Wettkämpfen und verblichene Fotos von kleinen drahtigen Männern, die in weiten Shorts über Hügel und Hürden rannten. Plötzlich wurde mir klar, dass der Sport, der mir in der Schule so viel Spaß machte, eine lange Geschichte hatte. Meine lebenslange Leidenschaft für den Laufsport begann mit diesen billig gedruckten Seiten.

Als Bub mit mäßigem Talent hätte ich nicht gedacht, dass ich je gut genug sein würde, um an der WM teilzunehmen. Und doch schaffte ich es, mich 1966 für das englische und 1977, nachdem ich dorthin übersiedelt war, für das neuseeländische WM-Team zu qualifizieren. 46 Jahre später bekam ich eine weitere Chance. Es war aufregend, im selben Event wie Jacob Kiplimo und Beatrice Chebet zu laufen, und noch besser, am Ende so wie sie als Champion dazustehen. Seinerzeit, 1966 und 1977, bin ich auf schnellen Pferderennstrecken in Rabat und Düsseldorf nicht an meine Bestleistung herangekommen. Ich war nie ein schneller Streckenläufer, brauchte den Schlamm und die Hügel eines echten Querfeldeinrennens, um mein Defizit an Geschwindigkeit auszugleichen.

Schluss mit gemütlich

Nichts kann die alten Resultate ungeschehen machen, meine Enttäuschung darüber mindern. Aber diesmal hab ich alles richtig gemacht. An das Gefühl, WM-Gold zu holen, reicht in diesen letzten Lebensjahren wohl nur wenig heran. Wenn du glaubst, dass es beim Laufen mit achtzig um gemütliches Herumtraben geht, warte nur, bis du einen Hügel hinaufrennst, am Anschlag, mit müden Beinen, um Luft ringend. Warte, bis du merkst, dass dir einer knapp auf den Fersen ist – mit M80 auf der Startnummer und einem finsteren Blick wie Mel Gibson in Lethal Weapon.

Er heißt James Harrison, er hat mir alles abverlangt. Im Laufe der Jahre hab ich viele harte Rennen gewonnen und viele verloren. Dieses war eines der härtesten. Bei einer Distanz von vier Kilometern kam nur eine Taktik infrage – permanent Druck machen. Nach drei Vierteln der Strecke hatte ich ihn dort, wo ich ihn haben wollte. Wir rannten einen Hügel hinauf, eine Steigung, die an diesem Wochenende viele Herzen gebrochen hat. Da spürte ich, dass er nachlassen musste. Die Hartnäckigkeit, das monatelange harte Training, die unzähligen Bergaufläufe hatten sich bezahlt gemacht, endlich.

Es ist auf jeden Schritt angekommen. Bergauf wie bergab gab es keine Sekunde Zeit zur Erholung. Diese Dinge fallen einem nicht leicht nach achtzig Jahren (und in meinem Fall mit zwei künstlichen Knien). Aber es war eine WM, und wir sind extra hingefahren, um uns dieser Prüfung zu stellen.

Schluss mit unlustig

Der Weltverband World Athletics unter Präsident Seb Coe, der in seiner frühen Jugend in England ein Cross-Country-Läufer war, will den Querfeldeinsport wiederbeleben. Weg von den eintönigen Pferderennestrecken, so lautet das Credo, hin zu einzigartigen Kursen. Bei der WM 2019 in Aarhus, Dänemark, führte die Strecke im wahrsten Sinn des Wortes über das Moesgaard-Museum, nämlich über das steile Dach des Museums, das quasi in einen Hang hineingebaut ist. Heuer waren wir im australischen Outback unterwegs – am Fuß des Mount Panorama, die Gegend zerklüftet, Staub, Buschgras, überall Kängurukot. Nur ein paar Blaugummibäume spendeten Schatten.

Es gab einen "Billabong" mit tückischem, knöcheltiefem Schlamm, der viele Läufer außer Tritt gebracht hat. Es ging auch durch einen Weingarten, gefolgt von einer Schikane durch einen ganzen Wald an Autoreifen zu Ehren der Motorrennstrecke von Bathurst. Hoch oben auf einem trockenen Hügel lag der Abschnitt "Bondi Beach", eine Düne, die mit Rettungsschwimmerflaggen und "Vorsicht vor Haien"-Schildern geschmückt war. Ein australischer Witz, aber für die Läufer die nächste Unterbrechung des Rennrhythmus.

Das schafft keine andere Disziplin. Nur Cross-Country hat so direkt mit der Beschaffenheit des Untergrunds zu tun. Dazu kam die Sommerhitze im Outback, 35 Grad am späten Nachmittag. Bei den verschiedenen Events wurden mehrere Läufer ins Krankenhaus eingeliefert, einige waren im Rennen ohnmächtig geworden, darunter die Führende der Frauen, Letesenbet Gidey aus Äthiopien. Als sich ein schwerer Abendsturm näherte, dessen Wolken wie dunkle Reiter anmuteten, wurde das Hauptrennen der Männer hastig vorangetrieben, und Kiplimo holte seinen ersten großen Titel, als hinter dem Berg schon Blitze zuckten und heftige Windböen die Läufer erschauern ließen. Australien macht keine halben Sachen.

Schluss mit kalt

Die WM war ein großes Cross-Country-Festival. Hunderte Masters-Teilnehmer säumten bei den anderen Bewerben die Strecke. Ich habe viele alte Freunde getroffen, es war ein globales Wiedersehen. Ich musste nur aus Neuseeland anreisen, doch es gab auch Teams aus Fidschi, Papua-Neuguinea, Tonga und anderen pazifischen Nationen. Unsere Sportart spielt oft genug im kalten Winter, das hätten sich diese Länder eher nicht angetan.

Mit dem 83-Jährigen, der zuletzt 1977 eine Querfeldein-WM bestritt, hatte niemand gerechnet. Auch ich selbst nicht. Mein Orthopäde hat einmal zugesehen, wie ich mit dem von ihm implantierten Knie über eine schlammige Strecke stolperte. Später gestand er mir, dass er davon wochenlang Albträume hatte.

Doch mein Leben mit dem Sport hat mich gelehrt, dass man den Moment nutzen muss. Worauf soll ein 83-Jähriger warten? Noch bevor ich mich anmeldete, hatte ich den Kurs im Internet genau studiert. Er sah viel attraktiver aus, als er war. Als ich die steilen Anstiege in natura sah, dachte ich, ich muss verrückt geworden sein. Aber ich wusste auch, dass beim Laufen nur eines absolut sicher ist – nur wenn du gar nicht erst an den Start gehst, läufst du garantiert nicht gut.

Schluss mit unglücklich

Ich habe mich angemeldet, ich habe meinen Moment genutzt. Ich hatte den puren Nervenkitzel, ein großes Rennen zu gewinnen. Ich hatte das Glück, dass der Boden nicht zu weich war – und dass einige Europäer und Südamerikaner auf die WM verzichteten, war auch kein Pech. Aber du kannst in jedem Rennen nur gegen diejenigen antreten, die auftauchen.

Im Jänner 1953, mit 13, lief ich bei Schulmeisterschaften mein erstes Querfeldeinrennen, ich kam mit viel Rückstand weit hinten an. Siebzig Jahre als Läufer liegen also hinter mir. Man weiß nie, wohin ein Highschool-Rennen führen kann. Man muss schon Glück haben, mit 83 überhaupt auf den Beinen zu sein. Also widme ich den Sieg in aller Demut jenen Freunden, die nicht mehr unter uns sind oder nicht mehr laufen können. Einige waren viel bessere Läufer als ich. (Mitarbeit: Fritz Neumann, 19.5.2023)