Für die Erforschung der Relativitätstheorie schloss sich 2015 der Kreis. Gerade jenes Experiment, das ursprünglich die immer gleichbleibende Geschwindigkeit des Lichts zeigte und so die Entwicklung der speziellen Relativitätstheorie anstieß, erlaubt nun den Nachweis von Gravitationswellen. Die Dimensionen sind allerdings völlig andere.

Ligo betreibt zwei Detektoren, einen in der Nähe von Hanford im US-Bundesstaat Washington, einen nahe Livingston in Louisiana. Hier ist die Anlage in Livingston zu sehen.
Caltech/MIT/LIGO Lab

In den 1880er-Jahren führten die Physiker Michelson und Morley das inzwischen nach ihnen benannte Experiment durch. Sie vermaßen die Laufzeit von Licht, indem sie es zwischen Spiegeln hin- und herlaufen ließen. Heute tun die über den Globus verteilten Gravitationswellenlabors Ligo, Virgo und Kagra dasselbe auf viel größeren Skalen. Während bei Michelson und Morley die Spiegel zuerst einen, dann zehn Meter voneinander entfernt waren, sind es bei den neuen Detektoren mehrere Kilometer, in denen das Licht in luftleeren Röhren hin- und herläuft.

Dass die Lichtgeschwindigkeit konstant ist, macht die Messungen der vier sogenannten Interferometer erst möglich. Sie nutzen das Licht, um Distanzen sehr genau messen zu können. Manchmal dehnt und streckt sich der Raum nämlich minimal und ohne sichtbaren Grund. Dieser Vorgang – es handelt sich tatsächlich um eine Veränderung des Raums selbst – lässt sich auf Gravitationswellen zurückführen, die aus den Weiten des Weltraums kommen und durch die Kollision Schwarzer Löcher oder anderer schwerer Objekte im All verursacht werden. Um die zu messen, sind astronomische Genauigkeiten nötig, die weniger als ein Tausendstel des Durchmessers eines Protons betragen auf drei Kilometer Länge.

Vom ersten Nachweis zur Routine

Initiiert wurden diese Experimente bereits in den 1970ern, doch wie alle anderen Versuche zum Nachweis von Gravitationswellen zeichneten sie nichts als Rauschen auf. Ob es Gravitationswellen wirklich gibt und wann die Instrumente endlich einen Ausschlag aufzeichnen würden, war völlig unklar, bis 2015 bei einem Testlauf der beiden Ligo-Detektoren das historisch erste Gravitationswellensignal aufgezeichnet wurde. Auch der bei Pisa gelegene Virgo-Detektor konnte kurz darauf seine ersten Gravitationswellenbeobachtungen vermelden, und inzwischen ist die Anlage Kagra in Japan dazugestoßen. 2021 waren es 90 Gravitationswellensignale, die man verlässlich identifizieren konnte.

Ein Katalog aller in den ersten drei Messdurchläufen gefundenen Gravitationswellensignale.
LIGO Laboratory, OzGrav, Swinburne University of Technology

Seither hat man die Genauigkeit bei Umbauphasen mehrmals erhöht. Eine solche Phase wurde am 24. 5. abgeschlossen, Ligo und Kagra haben ihre Beobachtungen aufgenommen. Die Genauigkeit wird um etwa 30 Prozent höher sein. So werden auch Signale aus weiterer Ferne sichtbar werden, sodass mit einem Gravitationswellensignal alle zwei bis drei Tage zu rechnen ist. Zusätzlich wird es auch möglich sein, mehr Informationen aus den Signalen zu gewinnen. Die genaue Form des Signals erlaubt es, die Massen der verschmelzenden Objekte zu bestimmen, aber auch ihren Drehimpuls. Bei Schwarzen Löchern ist das eine ganze Menge, immerhin sind sie durch Masse, Drehimpuls und elektrische Ladung vollständig bestimmt und besitzen keine weiteren Eigenschaften – keine "Haare", wie ein berühmtes Theorem es ausdrückt.

"Eine größere Reichweite bedeutet, dass wir mehr über Schwarze Löcher und Neutronensterne lernen werden", sagt Jess McIver, Sprecherin der Ligo-Kollaboration. "Wir haben aber auch eine größere Chance, etwas Neues zu finden. Wir sind sehr gespannt zu sehen, was da draußen ist." 

Verzögerung in Europa

Auch der Virgo-Detektor hätte nun mit neuen Messungen beginnen sollen, doch hier gibt es Verzögerungen. "Während der vergangenen Monate haben wir einige Geräuschquellen identifiziert und gute Fortschritte bei der Genauigkeit gemacht, doch wird sind noch nicht beim angepeilten Ziel", sagt Gianluca Gemme, der Sprecher von Virgo. Man wolle nicht ohne die volle Genauigkeit starten, um das ganze Potenzial für Entdeckungen auszuschöpfen.

Die Geschichte ist für das Virgo-Team ein Déjà-vu. Denn eigentlich hätte schon der Messlauf, der 2015 zur Entdeckung des ersten Signals führte, bei Ligo und Virgo gemeinsam stattfinden sollen. Erst drei Detektoren in Kombination erlauben es, auch Rückschlüsse auf den Ursprung eines gemessenen Signals zu ziehen. Das ist wichtig, um auch andere Teleskope auf diese Region auszurichten. Auf diese Weise konnten bereits die Kollisionen von Neutronensternen beobachtet und dabei völlig neue Erkenntnisse über das damit verbundene Phänomen einer Kilonova gewonnen werden, die von konventionellen Teleskopen fast zeitgleich aufgezeichnet wurde.

Doch Virgo war nicht bereit und konnte erst zwei Jahre später seine ersten erfolgreichen Gravitationswellenmessungen vermelden. Nun ist man wieder im Rückstand. Ein Zeitraum, wann Virgo dazustoßen soll, wurde nicht genannt, nur dass es "im Lauf des Jahres" passieren soll.

Problem mit Lärm

Die vom Virgo-Team erwähnten Geräuschquellen sind eine von vielen Schwierigkeiten bei so genauen Messungen. Die Detektoren verfügen über enorm aufwendige Vorrichtungen zum Dämpfen jeder äußeren Bewegung, sowohl mechanischer als auch elektronischer Art. Dennoch muss in der Umgebung auf die Vermeidung von Störgeräuschen geachtet werden. Über Virgo herrscht ein Überflugverbot für Hubschrauber. Die auf den Feldern neben dem Detektor fahrenden Traktoren stellen kein Problem dar, problematisch sind vor allem sehr niedrige Frequenzen, überraschenderweise etwa durch die Brandung des etliche Kilometer von Pisa entfernten Meeres.

Eine Computersimulation der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher mit unterschiedlichen Massen. Als Vorlage diente das tatsächlich gemessene Signal GW190412.
Max Planck Institute for Gravitational Physics

Kagra soll zwar zeitgleich starten, aber anfangs nur einen Monat lang messen, bevor man die Anlage ebenfalls noch einmal herunterfährt, um die Genauigkeit zu erhöhen. Die beiden Ligo-Detektoren werden voraussichtlich 20 Monate lang im Einsatz sein. Dass die Anlage funktioniert, bewiesen die Testläufe, bei denen bereits erste mögliche Gravitationswellensignale entdeckt wurden.

Hoffnung auf die Sensation

Dabei hegen die Forschenden die Hoffnung, nicht nur die bereits bekannten Verschmelzungen von Schwarzen Löchern und von Neutronensternen zu sehen, sondern vielleicht auch etwas völlig Neues. Möglich sind zum Beispiel permanente Gravitationswellensignale von schnell rotierenden Objekten. Mögliche Kandidaten sind Neutronensterne. Sie sind eigentlich durch ihre enorme Schwerkraft fast perfekt glatt. Wären sie perfekt rund, könnten sie keine Gravitationswellen abstrahlen.

Doch weil es sich eigentlich um übergroße Atomkerne handelt, die nur aus den schweren Kernbausteinen bestehen, sind sie auch außerordentlich hart, etwa zwanzigmal stabiler als Stahl. Es ist also denkbar, dass sie Beulen in der Größenordnung von wenigen Zentimetern haben, die Reste ihrer Entstehungszeit sind und Gravitationswellen ausstrahlen. Die typische Rotationsgeschwindigkeit von Neutronensternen würde es den vier Observatorien gerade erlauben, solche Signale zu messen, sofern sie nur intensiv genug sind.

Die wahrscheinlich größte Sensation wären aber Gravitationswellen aus der Frühzeit des Universums. Sie würden es erlauben, weiter zurückzublicken als je zuvor. Während das junge Universum nämlich erst ab einem bestimmten Zeitpunkt für Licht durchsichtig wurde und konventionelle Teleskope keinen Zugang zu allen Ereignissen haben, die davor passierte, könnten Gravitationswellen weiter zurückreichen und Informationen über diese noch frühere Phase in sich tragen. 

Ob die Messgenauigkeit dafür ausreicht, ist unklar. Doch das war auch vor dem ersten Nachweis von Gravitationswellen 2015 so. Was kommen wird, weiß man erst, wenn man es misst. Und ab sofort beginnt das gespannte Warten. (Reinhard Kleindl, 29.5.2023)