Nachdenkliche Frau mit Laptop
Mit Quiet Thriving können Berufstätige laut der Arbeitspsychologin Christine Hoffmann die Kontrolle über ihr Wohlbefinden im Job zurückgewinnen.
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Regelmäßige Überstunden, Anrufe und E-Mails nach Feierabend sowie Aufgaben, die über die eigentliche Jobbeschreibung hinausgehen: Für viele Beschäftigte gehört das zum Arbeitsalltag. Dagegen regte sich zuletzt vor allem unter jungen Menschen Widerstand. Das Phänomen "Quiet Quitting", übersetzt die stille Kündigung, war geboren.

Bekannt geworden ist der Begriff durch ein Tiktok-Video des Users Zaid Khan aka "zaidleppelin". Anders als der Name zunächst vermuten lässt, kündigen Quiet Quitter aber nicht ihren Job, stattdessen gehen sie nicht mehr die sprichwörtliche Extrameile für ihren Arbeitgeber. Das Erbringen von Leistungen, die über die Arbeitsvereinbarung hinausgehen, ist demnach tabu.

Und diese Idee findet Anklang: Drei von zehn Beschäftigten in Österreich sehen sich bereits als Quiet Quitter – haben ihren Job "still und leise" gekündigt und machen nur noch Dienst nach Vorschrift. Zu diesem Ergebnis kommt der "Workmonitor 2023" des Personaldienstleisters Randstad, für den neben Arbeitenden aus 34 Ländern auch 1000 Österreicherinnen und Österreicher zwischen 18 und 67 Jahren befragt wurden.

In der Umfrage sprechen sich außerdem 42 Prozent für eine reduzierte Wochenarbeitszeit – zum Beispiel eine Viertagewoche – aus. Dass der Wunsch nach einer Arbeitszeitverkürzung quer durch alle Branchen und Berufe groß ist, zeigte bereits im Vorjahr der Arbeitsklimaindex der Arbeiterkammer. Als Gründe nannten die Beschäftigten psychischen Stress, Überstunden und überlange Arbeitszeiten sowie mangelnde Unterstützung durch ihre Vorgesetzten.

Mentale Belastung

Der Trend zum leisen Rückzug aus dem Job folgt dem US-Phänomen der massenhaften Kündigungen, das als "Great Resignation" bekannt geworden ist. Als Ausgangspunkt galt auch dafür die Pandemie, in deren Folge eine wachsende Zahl an überlasteten und meist schlecht entlohnten Beschäftigten ihrem Arbeitsplatz den Rücken kehrten.

Auch die Quiet Quitter fühlen sich im Job unglücklich, gestresst und ausgelaugt. Der Unterschied: Viele von ihnen mögen ihre Arbeit eigentlich und wollen ihre Stelle nicht kündigen – den überzogenen Anforderungen, die seitens der Unternehmen an sie gestellt werden, wollen sie aber dennoch nicht mehr nachgeben. Nicht zu verwechseln sei das Quiet Qutting jedoch mit der "inneren Kündigung", bei welcher Beschäftigte so unzufrieden sind, dass sie ihre Arbeitszeit nur mehr absitzen. Die Anhängerinnen und Anhänger des Social-Media-Trends setzen hingegen auf eine klare Trennung von Arbeit und Privatleben. Davon versprechen sie sich neben mehr Zeit für Freunde und Familie vor allem Vorteile für die psychische Gesundheit. Ist Quiet Quitting also die Lösung für Unzufriedenheit im Job?

Nicht unbedingt. Kritik am stillen Rückzug gibt es aber nicht nur von Vertreterinnen und Vertretern der "Hustle-Culture", die harte Arbeit nach dem Höher-schneller-weiter-Prinzip predigen. Auch jene, die eine bessere Vereinbarung von Beruf und Privatleben befürworten, stoßen sich an der Debatte darum. Denn: Sich mental von allem Negativen abzuschotten, während man weiter in derselben Situation feststeckt, ist auf Dauer keine Lösung. "Quiet Quitting ist eine Form der Resignation. Menschen bewerten ihre schlechte Arbeitssituation als unveränderbar und versetzen sich dadurch in eine Position von Ohnmacht und Hilflosigkeit", erklärt Arbeitspsychologin Christine Hoffmann. Diese Haltung könne langfristig zu Antriebslosigkeit führen – welche sich auch auf andere Lebensbereiche übertrage.

Christine Hoffmann (Didaktik-Expertin, Coach, Arbeitspsychologin)
Christine Hoffmann ist als Didaktik-Expertin, Coach und Arbeitspsychologin in Wien tätig.
Andrea Klem

"Es kommt auf die Interpretation an", sagt Karriereberaterin Lisa Eckhardt. Quiet Quitting im Sinne von gesunder Abgrenzung zum Job und Neinsagen zur übertriebenen und ständigen Aufopferung sei im Grunde eine gute Sache. Eine negative und passive Grundhaltung der Arbeit gegenüber zu haben gehe auf lange Sicht aber nicht gut. Quiet Quitting kann deshalb laut Arbeitspsychologin Hoffmann zwar kurzfristig eine sinnvolle Bewältigungsstrategie sein, um Energie zu sparen und Regeneration zu ermöglichen. Wer langfristig in diesem Zustand bleibt, beraubt sich jedoch der Arbeitsfreude. Und damit eines wichtigen Bausteins für die Lebenszufriedenheit.

Lisa Eckhardt (Karriereberaterin)
Lisa Eckhardt hat acht Jahre Erfahrung als Recruiterin gesammelt und sich anschließend als Karriereberaterin in Wien selbstständig gemacht.
Privat

Raus aus dem Frust

Bleibt also statt der stillen Kündigung nur mehr die echte Kündigung? Es geht auch anders, meint Psychotherapeutin Lelsey Alderman. In der Washington Post argumentierte sie, man solle sich nicht passiv den Umständen ergeben und sich stattdessen aktiv um neue Strukturen bemühen. Statt zu resignieren und nur das absolute Minimum zu leisten, soll das "Quiet Thriving" – also das stille Aufblühen – dabei helfen, den Arbeitsalltag durch große und kleine Schritte so zu verändern, dass Wachstum im Job wieder möglich ist.

Auch Arbeitspsychologin Hoffmann sieht im Quiet Thriving die gesündere Alternative, mit der Berufstätige die Kontrolle über ihr Wohlbefinden und Arbeitsumfeld zurückgewinnen können. Damit das gelingt, braucht es aber zuerst einen Perspektivwechsel: "Unsere Aufmerksamkeit ist begrenzt, und unser Fokus auf Gefahrenabwehr führt dazu, dass wir mehr Schlechtes als Gutes sehen. Ich empfehle daher zuerst ein Wechseln der Perspektive, bevor Schritte im Außen gesetzt werden." Erst wenn Menschen wissen, was sie sich wünschen, können sie ihre Bedürfnisse klarer kommunizieren. Die beiden Expertinnen geben Tipps, wie das Aufblühen im Job gelingt:

Kleine und große Veränderungen

Kritik am Quiet Thriving gibt es aber, beispielsweise von der ehemaligen Recruiterin Dani Herrera. "Fallt nicht auf den neuen Arbeitstrend herein", warnt sie auf Medium.com. Ihre These lautet: Wenn ihr in der Arbeit aufblüht, dann schweigt nicht darüber. Stattdessen solle man bewusst über Ziele, Erfolge und positive Ergebnisse sprechen – vor allem mit der eigenen Führungskraft.

Sollten Unzufriedene also lieber das Gespräch mit ihren Vorgesetzten suchen, statt sich den Job selbst aufzuhübschen? Es komme darauf an, sagt Arbeitspsychologin Christine Hoffmann. Ihr Credo lautet: Freude an der Arbeit braucht immer wieder Arbeit an der Freude. Sie plädiert deshalb dafür, zuerst den eigenen Wirkungsbereich zu nutzen, um positive Veränderungen anzustoßen. Sonst laufe man Gefahr, sich selbst und das eigene Glück von anderen abhängig zu machen: "Meistens wurde vorher auch nicht vereinbart, regelmäßig Überstunden zu machen – also braucht es auch nicht den Segen der Führungskraft, wenn wir pünktlich Feierabend oder genügend Pausen machen."

Auch Karriereberaterin Lisa Eckhardt ist der Meinung: "Manche Veränderungen können aus eigener Hand in Angriff genommen werden, andere erfordern die Abstimmung mit der Führungskraft." Häufig seien ihre Klientinnen und Klienten überrascht, was am Arbeitsplatz alles möglich ist, wenn sie damit beginnen, explizit ihre Bedürfnisse und Wünsche zu äußern. Beispiele dafür wären flexiblere Arbeitszeiten, mehr Gehalt oder neue Aufgabenbereiche. "Für diese Gespräche braucht es natürlich gute Vorbereitung und viel Fingerspitzengefühl", sagt sie.

Gedeihen oder gehen?

Quiet Thriving ist zwar langfristig der besser Ansatz bei Unzufriedenheit im Job – denn er soll Menschen dabei helfen, nicht zu verdrängen, sondern aktiv zu werden. Aber nicht jede Situation lässt sich aus eigener Kraft meistern: Wenn uns unsere Arbeit trotz aller Bemühungen nicht ermöglicht, unsere zentralen Bedürfnisse nach Sicherheit, Autonomie, Verbundensein und Kompetenzerleben zu befriedigen oder sie sogar im Widerspruch zu wichtigen Wertvorstellungen steht, ist die Suche nach einem neuen Job laut der Arbeitspsychologin definitiv die richtige Entscheidung. Schließlich sollte die Arbeit, genau wie jeder andere Lebensbereich, zu unserer Lebenszufriedenheit beitragen. (Anika Dang, 30.5.2023)