Die Lehre muss für junge Menschen attraktiver werden. Diese Floskel ist sowohl aus der Politik als auch aus der Wirtschaft immer wieder zu hören. Aber was bedeutet eigentlich eine "attraktive" Lehre?

Die jüngst aufgeflammte Debatte um eine vegane Kochlehre hat bei vielen Lehrbetrieben für Aufregung gesorgt: Die Absage für neue Lehrberufe zeige, wie veraltet und starr die Regelwerke für die Ausbildungsbetriebe in der Lehre seien. "Derzeit ist die Lehre viel zu sehr auf einzelne Betriebe und einzelne Berufsbilder beschränkt", kommentiert Robert Frasch, Lehrlingsexperte und Gründer des Netzwerks Lehrlingspower, die aktuelle Lage. Seiner Einschätzung nach müsse man die Lehre in Bezug auf die Bildung grundlegend neu denken.

Kochlehre und dann Fachhochschule? Das könnte bald kommen.
Christian Fischer

Denn selbst Köchinnen und Köche, die in einem Betrieb ganz klassisch die Lehre absolvieren, seien teilweise nicht ideal auf den Arbeitsmarkt vorbereitet. Denn manche Küchen arbeiten hauptsächlich mit automatisierten Maschinen, verwenden eher Convenience-Produkte, andere hingegen bereiten alle Speisen ausschließlich frisch mit der Hand zu und setzen auf regionale Produkte vom Zuliefererdienst. Daher sollte die Debatte eher weg von zu detailreichen Spezialausbildungen gehen, sagt Frasch.

Fachhochschulen als Vorbild

Es sollten immer erst die Grundlagen und das Handwerk beherrscht werden. "Man kann ja auch nicht Kinderarzt werden, bevor man nicht allgemein Medizin studiert hat", sagt der Lehrlingsexperte. Daher fordert er auch hierzulande eine Basisberufsausbildung, wie sie bereits in anderen Ländern üblich ist.

Konkret bedeutet das: Im ersten Lehrjahr könnten Auszubildende Grundlagen lernen, die nicht nur in einem Beruf wichtig sind, wie etwa Rechnungswesen oder politische Bildung. Im weiteren Verlauf der Lehre wäre für jemanden, der beispielsweise von Mechatronik zu Maschinenbau wechselt, ein flexiblerer Wechsel möglich. "Das wäre ein Rütteln an den Grundfesten des dualen Ausbildungssystems", sagt Frasch. "Das wird aber notwendig sein."

Josef Weghaupt, Gründer der Bäckerei Joseph Brot in Wien, fordert etwa eine Basisausbildung, ähnlich wie eine Fachhochschule. Dabei sollten Neulinge nicht nur lernen, wie sie aus Mehl Brot machen, sondern vor allem auch etwas über die ökologischen und ökonomischen Auswirkungen in der Lebensmittelherstellung, gesunde Ernährung und das richtige Handwerk in der Bäckerei.Auf lange Sicht sieht er eine große Entlastung für Betriebe, aber auch für Lehrlinge. Denn wer in einem Betrieb in der Industriebäckerei eine Lehre absolviere, könne in Folge kaum in einem handwerklichen Betrieb arbeiten – und umgekehrt.

Auch der Eigentümer des österreichischen Haubenlokals Steirereck, Heinz Reitbauer, befürwortet im Gespräch mit dem STANDARD eine ähnliche Idee und spricht von einer Fachhochschule für die Lehre. "Wir brauchen Experten in allen Bereichen, um die Kompetenz zu untermauern", sagt er. "Das ist in der Lehre allein nicht abbildbar."

Stimmt der Kurs?

Laut der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) geht es bereits in diese Richtung: Ein Viertel der rund 200 Lehrberufe in Österreich seien bereits als Schwerpunkt-, Gruppen- oder Modullehrberufe eingerichtet, die eine vorherige Basisausbildung erfordern.

Ganz besonders werde das durch die sogenannte höhere berufliche Bildung (HHB) gewährleistet, die die WKÖ seit Jahren fordert und die nun bald in Österreich umgesetzt wird. Zum Vergleich: In der Schweiz gibt es diese bereits seit 20 Jahren, Deutschland hat die gesetzliche Grundlage dazu im Jahr 2020 geschaffen. In Österreich ist geplant, dass das Bundesgesetz zur höheren beruflichen Bildung (HBB-G) Anfang 2024 in Kraft tritt. Auf Nachfrage des STANDARD heißt es, dass die WKÖ derzeit auf den Begutachtungsentwurf seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft warte. Klappt es mit der Umsetzung, sollen aufbauend auf den Lehrabschluss lückenlos höhere Qualifikationen mit offiziellen Abschlüssen möglich sein, und zwar auf berufspraktischem Weg.

Damit gebe es künftig also auch eine Perspektive der formalen beruflichen Höherqualifikation nach dem Lehrabschluss. Das könnte die Entscheidung für die Lehre unter jungen Menschen attraktiver machen und gleichzeitig Berufsbildungsabschlüsse schaffen, die gleichwertig zu allgemeinen und hochschulischen Bildungsabschlüssen sind.

Mit dem geplanten HBB-G soll es möglich sein, auf gesetzlicher Basis neue berufspraktische Abschlüsse zu entwickeln, die dem Bedarf am Arbeitsmarkt entsprechen und sich vor allem an die mehr als 1,6 Millionen Fachkräfte mit Lehrabschluss oder fachspezifischer Berufserfahrung in Österreich richten. Fachkräfte können solche Abschlüsse berufsbegleitend erwerben und sich im Betrieb in Fach- und Führungskarrieren weiterentwickeln. Das ginge dann auch in Lokalen, die statt auf Tafelspitz auf Gemüsecurry setzen. (Melanie Raidl, 27.5.2023)