EU Ungarn Orbán Ratsvorsitz
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán.
imago/Christian Thiel

Budapest/Brüssel – Das EU-Parlament will am Donnerstag die Eignung Ungarns, Mitte 2024 den EU-Ratsvorsitz zu übernehmen, in einer Resolution anzweifeln. "Die Resolution zur Rechtsstaatlichkeit wird mit großer Mehrheit angenommen werden. Fünf der sieben Fraktionen unterstützen sie", betonte die für Ungarn zuständige Berichterstatterin Gwendoline Delbos-Corfield am Mittwoch vor Journalisten in Brüssel. Für SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder ist das Hauptziel mit der Debatte schon erreicht.

Fünf der sieben Parlamentsfraktionen unterstützen die Resolution. EU-Parlamentarier hätten seit Jahren überlegt, eine Debatte zur Übernahme der Ratspräsidentschaft durch die Ungarn zu starten. Aber "bisher war es Tabu", so die französische Grüne. Bisher sei gesagt worden: "Wir können nichts tun, wir müssen damit leben. Ich war damit nicht zufrieden. Es ist die erste Präsidentschaft des neuen EU-Parlaments und der neuen Kommission. Da werden die Weichen für die kommenden fünf Jahre gestellt." Gegen das Land läuft wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit das Artikel-7-Verfahren, das zu einem Ausschluss aus der EU führen kann. Auch Gelder aus dem EU-Budget sind eingefroren – und sollten das laut der Berichterstatterin auch bleiben. Sie sieht keine Fortschritte bei der Integrität des Justizsystems oder dem Kampf gegen die Korruption.

"Die EU muss etwas tun"

Es sei sehr gut, dass die in die Resolution aufgenommenen Sätze zum Ratsvorsitz für soviel Wirbel gesorgt hätten, freut sich Delbos-Corfield. "Einige EU-Regierungen sind sehr besorgt und fragen uns, was wir machen können." Die offiziellen EU-Gesetze seien hier nicht klar: "Wie lange kann ein Artikel-7-Verfahren laufen? 10,15 Jahre? Die EU muss etwas tun!" Sollte dies nicht geschehen, appelliere sie an die neuen EU-Abgeordneten, die zeitgleich mit den Ungarn am 1. Juli 2024 starten würden, den Ratsvorsitz zu boykottieren.

"Ungarn wird sechs Monate das Schicksal der EU bestimmen. Ungarn ist keine Demokratie mehr", betonte die luxemburgische Schatten-Berichterstatterinnen Isabel Wiseler-Lima (EVP). "Wir sagen dem Rat nicht, was er tun soll. Aber wir verlangen eine Lösung, um die EU und unsere Werte zu schützen. Der Rat hat eine viel größere Handlungsfähigkeit als wir." Der Rat müsse den Ernst der Lage verstehen, appellierte auch der niederländische Sozialdemokrat Thijs Reuten an die EU-Mitgliedstaaten: "Ungarns Präsident Viktor Orbán hat klar gesagt, dass er die EU-Präsidentschaft nutzen will, um seine Agenda voranzubringen. Er glaubt immer noch, er kann die EU als Bankomat nutzen. Er muss verstehen, dass das nicht geht." Es wäre ein "Desaster", würde Ungarn im EU-Chefsessel Platz nehmen.

Sie mache sich Sorgen, dass der österreichische EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn zu schnell "grünes Licht" für die eingefrorenen EU-Gelder geben wolle: "Es geht hier nicht um Bedingungen zum Haushalt, sondern zur Rechtsstaatlichkeit", so die niederländische Abgeordnete Sophie in 't Veld (Liberale). Das EU-Parlament sei nicht machtlos: "Die EU-Verträge sagen nichts darüber, wie wir mit dem Ratsvorsitz zusammenarbeiten. In diesen sechs Monaten wird es nicht viel gesetzgebende Arbeit geben. Wir werden Orban keine Bühne bieten." Sie forderte Konsequenzen in der Zusammenarbeit des Parlaments mit den beiden anderen EU-Institutionen.

Debatte ausgelöst

SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder meinte am Mittwoch im Gespräch mit Journalisten, das Hauptziel der Resolution sei mit der damit ausgelösten Debatte bereits erreicht: "Man muss es als starkes politisches Signal des Parlaments werten. Wir wollen das Bewusstsein für das Problem schärfen!" Der Vorwurf, es handle sich um reinen Aktionismus, gehe ins Leere: "Wer, wenn nicht das Europäische Parlament, soll in grundsätzlichen Fragen aktionistisch sein?" Auf die Frage, auf welche mögliche Maßnahmen des Parlaments die Resolution in Bezug auf die ungarische Ratspräsidentschaft anspiele, meinte Schieder, dass dem EU-Parlament ja nach den im Juni 2024 erfolgenden Wahlen eine Schlüsselrolle bei der Wahl der nächsten Kommission zukomme. Es bestünden daher sehr wohl politische Druckmittel.

"Die Resolution behandelt viele wichtige Punkte im Zusammenhang mit der aktuellen Situation in Ungarn. Ich finde es schade, dass nur ein Detailaspekt öffentlich besprochen wird, für den es gar keine Rechtsgrundlage gibt. Ungarns Regierung muss noch mehr konkrete Maßnahmen ergreifen, bevor die eingefrorenen EU-Mittel freigegeben werden können", erklärte Angelika Winzig, ÖVP-Delegationsleiterin im Europaparlament, am Mittwoch. Sie habe vollstes Vertrauen in EU-Kommissar Hahn.

"Unsere Zahlungen an Ungarn hängen von der Lösung der Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit ab", betonte Hahn in einer Debatte mit den EU-Abgeordneten Mittwochabend in Brüssel. Budapest müsse "Bedingungen erfüllen", um Gelder aus Brüssel zu erhalten. Seit im Dezember 2022 EU-Gelder eingefroren wurden, führe die EU-Kommission laufend Gespräche mit Ungarn zur Lösung der offenen Fragen. Die Grundrechte der EU müssten eingehalten werden. "Die Konditionalitätsverordnung umzusetzen ist wichtig für den EU-Haushalt und im Interesse aller Europäer", so der Haushaltskommissar. Die Verordnung verknüpft EU-Auszahlungen mit der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit. (APA, 31.5.2023)