Wer einfach und günstig kocht, mit dem, was Vorratsschrank und umliegende Felder gerade so hergeben, kocht in Italien wie die armen Leute, in Frankreich nach Heimatregion und bei uns wie die Bauern. Cucina povera (arme Küche), cuisine du terroir (Küche der Heimatregion), Bauernküche – verschiedene Namen für die gleiche Idee: das Beste aus den wenigen verfügbaren Zutaten zu machen. Saisonal, regional, unkompliziert. Früher für das Gros der Bevölkerung alternativlos. Heute – in Zeiten von Überfluss und Klimawandel – Trend.

Vor allem die italienische cucina povera hat eine steile Karriere hingelegt. Reiseführer und Kochbücher preisen die bodenständigen, authentischen Gerichte. Neulich aber las ich, dass sich auch in Italien, diesem kulinarischen Schlaraffenland, mehr und mehr die "westliche, amerikanisch geprägte Diät" ausbreitet. Der Grund: schwindende Wertschätzung für das kulinarische Erbe, mehr berufstätige Frauen und damit weniger Zeit fürs heimische Kochen, was Fastfood-Riesen ausnutzen, indem sie das Land mit immer neuen Lokalen fluten.

Panzanella
Panzanella, köstlicher Brotsalat
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Zeit also, ein paar italienische Rezepte hervorzuholen. Die cucina povera hat ihren Ursprung in den ländlichen Regionen des Landes, insbesondere in der Toskana und Apulien, das ganz unten an der Stiefelspitze liegt. Die Gerichte dort sind bodenständig, meist vegetarisch und häufig mit Resten, zum Beispiel altem Brot, angereichert. Das war hier schon einmal Thema, weil es aber der Klassiker der Arme-Leute-Resteküche ist, es so viele gute Rezepte dazu gibt und bald die Paradeisersaison beginnt, folgt hier Runde zwei.

Das Kochen mit altem Brot funktioniert im südlichen Italien besonders gut, denn dort treffen die trockenen Brotreste auf saftige, sonnenreife Früchte. Im Idealfall auf ebenjene Paradeiser, denn pane + pomodori = grande amore. Bestes Beispiel: Panzanella – ein Salat, der traditionell nur aus altbackenem Brot, Paradeisern, Zwiebeln und Basilikum besteht. Ein simples Gericht, doch gerade diese verlangen nach perfekter Zubereitung. Der Salat lebt von seiner Textur. Sind die Croûtons zu hart, beißt man sich die Zähne aus, sind sie zu matschig, schmeckt Panzanella wie Bruschetta vom Vortag.

Panzanella nach Samin Nosrat

Klassisch wird das angetrocknete Brot einfach im Saft der Früchte eingeweicht. Samin Nosrat (deren Koch-Bibel "Salz, Fett, Säure, Hitze" ich häufig zurate ziehe) macht eine extra Vinaigrette, für die sie 4 EL Schalotten 15 Minuten in 4 EL Rotwein- und 2 EL altem Balsamicoessig mazerieren (also ziehen) lässt und anschließend mit 2 großen, auf einer groben Reibe geriebenen Paradeisern mischt. Dann kommt noch ein wenig gehacktes Basilikum, 8 EL Olivenöl, Salz, Pfeffer und 2 angedrückte Knoblauchzehen.

Ihre Croûtons macht sie aus daumendick aufgeschnittenem Sauerteigbrot. Weil es eine spannende Textur gibt, werden die Scheiben von Hand in ungefähr gleich große Stück gerupft. Für vier Personen braucht man ca. 250 g, die nun mit 40 ml Olivenöl gemischt, mit Abstand auf ein Blech gelegt (sonst verhindert der austretende Dampf, dass die Nachbar-Croûtons knusprig werden) und bei 200 Grad für 18 bis 22 Minuten gebacken werden (gut beobachten, Bleche tauschen und kleinere Stückchen vorab rausholen!).

Nun zum Wichtigsten, dem Anmischen, wo kross und saftig aufeinandertreffen. Erst einmal wird die Hälfte der Croûtons mit 120 ml Vinaigrette vermengt (die Knoblauchzehen vorher entfernen). Obendrauf kommen frische Paradeiser (ungefähr ein Kilo, klein und groß – Hauptsache saftig und aromatisch). Zehn Minuten ziehen lassen. Dann restliche Croûtons, 4 in Scheiben geschnittene kleine Gurken und eine halbe rote Zwiebel hinzufügen (vorab ca. 30 Minuten in Essig mazerieren, damit sie ihre Schärfe verliert). Obendrauf gibt man weitere 120 ml Vinaigrette und etwas frisches Basilikum. Abschmecken und gegebenenfalls nachjustieren. Zu trocken? Mehr Vinaigrette zugeben. Zu lasch? Ein wenig Essig der eingeweichten Zwiebeln und gegebenenfalls Salz zufügen. Zufrieden? Schnell essen!

Samin Nosrat hat auch tolle Panzanella-Rezepte für die anderen Jahreszeiten – Kürbis, Schwarzkohl, Salbei und Haselnüsse im Herbst; gebratener Radicchio und Roquefort im Winter; grüner Spargel, Feta und Minze im Frühling. Die Sommervariante aber ist mein absoluter Liebling.

Was tun, wenn das Brot zu hart zum Croûton-Schneiden ist? Entweder man weicht es im Ganzen großzügig in Wasser ein und gibt es vorab nochmals in den Ofen, oder man macht eine Pappa al pomodoro (zu Deutsch Brei aus Paradeisern, besser also nicht übersetzen). Nachdem man das Altbrot rund eine halbe Stunde in der würzigen Sauce gekocht hat, ist selbst der härteste Brocken zerfallen und die Suppe wunderbar sämig-weich.

Auch in Aquasale, gern gegessen in Apulien, wird hartes Brot wieder aufgeweicht: Man legt eine Scheibe in den Suppenteller und gießt Brühe darüber, die in der einfachsten Version lediglich aus angedünsteten Zwiebeln, Knoblauch, Petersilie und Paradeisern besteht.

Was sowieso immer geht: Brot mahlen und irgendwo drüberstreuen. Knusprige Brotkrumen, schreibt mein Italien-Reiseführer, sind in Apulien überall zu finden: auf Tiella di verdure (gebackenem Gemüseauflauf), in Saucen (zum Binden), in Pasta. Mit Anchovis etwa (Strascinati mollicati con peperoni crusch) oder einfach so mit etwas Käse, Kräutern und Öl. Einfach, günstig – und köstlich. (Verena Carola Mayer, 3.6.2023)