Viel geschlafen haben die rund 1.500 Delegierten aus 175 UN-Staaten in Paris diese Woche nicht. Kein Wunder. Sie verhandeln den Entwurf für ein globales Plastikabkommen, das die Umweltverschmutzung durch Kunststoff beenden soll. Vor Mitternacht endeten die Debatten nie. Am Freitagabend musste ein Ergebnis her, das sah der strenge Zeitplan vor und ein kleiner aber wichtiger Schritt Richtung Abkommen ist gelungen. Das Ergebnis sei zufriedenstellend, die Basis für einen Vertragstext, der im November diskutiert werden soll, sei gelegt, sagt Hugo-Maria Schally. Er ist ein hoher Beamter bei der EU-Kommission und verhandelt mit. Er geht allerdings von "sehr schweren" weiteren Verhandlungen aus.

Wie nicht anders zu erwarten, gab es viel Streitpotenzial, vor allem wenn es um Produktionsbeschränkungen für Primärplastik geht. Auf rund 70 Milliarden Euro wird der jährliche Umsatz der Plastikindustrie geschätzt, dementsprechend schwer wiegen die wirtschaftlichen Interessen von zahlreichen Staaten und natürlich von Konzernen. Jeder namhafte Plastik- und/oder Erdölkonzern ist vor Ort, wie Beobachter dem STANDARD berichten.

Zur Erinnerung: Vergangenes Jahr hatten sich die UN-Staaten verpflichtet, bis Ende 2024 ein rechtlich verbindliches Abkommen gegen die Plastikvermüllung von Umwelt und Meeren zu erarbeiten.

Schildkröte, Plastik, Müll
Bis zu einem globalen Plastikabkommen ist der Weg noch sehr weit, doch die Zeit drängt bereits.
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Dünnhäutige Staaten

"China, Indien, die USA und die Golfstaaten reagieren sehr dünnhäutig auf die leisesten Vorschläge, die Produktion zurückzuschrauben", meint Schally. Diese Staaten hätten alles versucht, um ein rasches Vorankommen zu verhindern. Starke Meinungsverschiedenheiten der Teilnehmerstaaten erschweren schon die gesamte Woche die Beratungen. Eine sogenannte High-Ambition-Koalition aus 50 Ländern einschließlich der EU, Ruanda, Norwegen, Kanada, Chile und seit Freitag auch Japan will die Produktionsmengen von Plastik stark zurückfahren.

Geopolitische Spannungen

Andere Staaten mit großer petrochemischer Industrie wie China, die USA und Saudi-Arabien wollen hingegen das Problem lediglich mit Recycling und Abfallmanagement angehen. Zudem drücken die zahlreichen geopolitischen Spannungen rund um den Globus auf die Stimmung, wie es bei Beobachtern heißt.

Lisa Panhuber, Konsumexpertin bei Greenpeace, bezeichnet das Ergebnis als "Minimalkompromiss". Den nächsten Schritten blickt sie skeptisch entgegen. "Die petrochemische Industrie ist massiv vertreten und setzt alles daran, die Dinge zu verzögern und zu verwässern", sagt Panhuber. "Und man merkt sehr schnell, wie stark ihre Lobby ist. Industrievertreter etwa sind bei den meisten offiziellen Events eingeladen, die Zivilgesellschaft oder indigene Gruppen nicht." NGOs sei der Zugang kurz vor Beginn sogar erschwert worden, und es hätten deutlich weniger Aktivisten das Verhandlungsgebäude betreten dürfen als ursprünglich ausgemacht.

Sorge um Umsätze

Panhuber zufolge sorgen sich Ölkonzerne wegen gesellschaftlicher Veränderungen um ihre Umsätze: "Beispielsweise beim Heizen und beim Transport versucht man von Öl und Gas wegzukommen. Deswegen setzen viele vermehrt auf Plastik, um die eigene Produktion am Laufen zu halten."

Plastik findet sich überall, in Kleidung, Baumaterialien, Verpackungen, Polareis und Tiefseefischmägen – aber auch in Blut und Muttermilch wurden bereits Kunststoffpartikel nachgewiesen. Aus Rohöl hergestellte Plastikprodukte beschleunigen außerdem den Klimawandel. 2019 verursachten sie 1,8 Milliarden Tonnen Treibhausgase und damit immerhin 3,4 Prozent der klimaschädlichen Gase weltweit.

Fest steht, das Problem der Plastikverschmutzung ist groß und sichtbar. Auch trotz starker Lobbyarbeit wird der Druck auf Regierungen, etwas zu tun, nicht nachlassen. (Andreas Danzer, 2.6.2023)