Verkehrsschild, das einen Gehweg markiert
Die Gewerkschaft will Familien mit einem steuerfreien Bonus belohnen, wenn diese ihre Arbeitszeit familienintern ausgleichen.
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Kürzer arbeiten und dabei den Wohlstand halten? Diese Debatte hat in den vergangenen Tagen für viel Aufsehen gesorgt. Die Positionen sind hier recht unterschiedlich. Die Industriellenvereinigung (IV) und die Wirtschaftskammer (WKO) warnen vor einer Arbeitszeitverkürzung und sehen den Wohlstand in Gefahr. Die Arbeiterkammer (AK) hingegen hat ein Modell erstellt, das zeigt, dass sich das alles doch ausgeht – und der Wohlstand der Arbeitnehmer sogar steigt. 

Die Aufteilung zwischen Arbeitszeit und Betreuung – etwa für Pflege oder Kinder – belastet Familien oftmals zusätzlich. Frauen werden damit oft in die Teilzeit gedrängt, weil sich das Familienleben anders nicht organisieren lässt. Hier sorgt der ÖGB nun mit einem Vorschlag für ein neues Familienarbeitszeitmodell für neuen Zündstoff in der Debatte: Das ÖBG-Modell geht davon aus, dass sich Väter stärker an der Kinderbetreuung beteiligen wollen. Männer und Frauen sollen ihre Arbeitszeit freiwillig angleichen, berichtet der "Kurier". Eine Forderung, die der ÖGB nicht zum ersten Mal erhebt. Diese Bemühung soll aber finanziell abgegolten werden. Die Arbeitszeit der Eltern soll sich zwischen 28 und 32 Stunden einpendeln. Frauen werden dafür in der Regel ihre Stundenbasis erhöhen müssen, Männer ihre senken. Wem das gelingt, soll steuerfreie Zahlungen erhalten. Der ÖGB schlägt 250 Euro pro Elternteil und Monat vor. Gedacht ist das Modell für die Phase nach der Karenz und maximal bis zum vierten Lebensjahr des Kindes.

Wer will, wer kann

Der Wunsch, weniger zu arbeiten, ist auch etwas, das sich in der Erhebung der Arbeiterkammer gezeigt hat. Dieser Wunsch zieht sich laut AK quer durch alle Branchen und Sektoren in Österreich. Auffällig ist aber, dass der Wunsch nach einer verkürzten Arbeitszeit vor allem in den Dienstleistungsbranchen hoch ist. Jene, die aktuell weniger als 30 Stunden arbeiten, wünschen sich hingegen oft eine Erhöhung ihrer Stunden. Jene, die mehr arbeiten, wünschen sich wiederum eine Reduktion. Hier könne es also einen Ausgleich geben, erklärt Stefan Ederer vom Wifo, das das Modell für die AK erstellt hat. 

Sichtbar ist laut der Wifo-Erhebung auch, dass sich der Wunsch nach einer Arbeitszeitverkürzung quer durch alle Bildungsschichten zeigt. Das könnte auch die ÖGB-Forderung unterstützen, dass Männer bezüglich der Kinderbetreuung ihre Stunden reduzieren. Menschen mit höherer Bildung arbeiten tendenziell mehr – auch sie wünschen sich eine Reduktion ihrer Arbeitsstunden. Bei älteren Arbeitnehmern, die schon Richtung Pension gehen, ist der Wunsch nach einer Verminderung der Arbeitsstunden höher als bei jenen, die noch jung sind oder frisch in den Arbeitsmarkt eintreten.

Kein Problem für Gesamtwirtschaft

Würden nun all diese Wünsche berücksichtig, also die Arbeitszeitveränderung auf sektoraler Ebene implementiert, ergäbe das einen unmittelbaren Anstieg der Beschäftigung im Basisjahr, zeigt das Wifo-Modell. Damit einher ginge ein Rückgang der Arbeitslosenquote. Die Arbeitsproduktivität würde zunehmen. Steigen würden die Stundenlöhne, aber auch die Preise.

Nach zehn Jahren würde sich das anfängliche Plus bei der Beschäftigung von 1,9 Prozent auf 0,8 Prozent nivellieren – angenommen ist hier, dass es bei der Arbeitszeitverkürzung keinen Lohnausgleich gibt. Mit einem Lohnausgleich würde die Beschäftigung im Jahr eins um 1,6 Prozent steigen und der Anstieg im Jahr zehn bei 0,7 Prozent liegen.

Der positive Beschäftigungseffekt sinkt also aufgrund der Substitution über die Zeit auf ein bis 1,5 Prozent. Der Effekt auf das BIP wäre leicht negativ, sagt Wifo-Experte Ederer, aber mit einem Minus von weniger als einem Prozent vernachlässigbar. "Nach zehn Jahren der Implementierung dieses Schocks (also der Arbeitszeitverkürzung, Anm.) gleichen sich die Szenarien wieder aus."

Wünsche der Beschäftigten hören

Damit sei eine Arbeitszeitverkürzung mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gut kombinierbar, sagt AK-Chefökonom Markus Marterbauer. Er plädiert dafür, dass den Wünschen der Beschäftigten nachgegeben werden sollte. Das steigere auch den Wohlstand der Mitarbeiter. Wodurch sich dieser Wohlstand aufbaut, wenn für weniger Stunden auch weniger Lohn bezogen wird, lässt der AK-Experte aber offen. Er weist darauf hin, dass das Wifo-Modell eben zeige, dass sich die gesamtwirtschaftlichen Effekte von den verschiedenen Arbeitszeitvarianten nicht unterscheiden.

Vieles davon sei letztlich aber Verhandlungssache bei den Kollektivvertragsverhandlungen. Marterbauer erwähnt in diesem Zusammenhang das Modell, das zuletzt für die Elektroindustrie abgeschlossen wurde. Für die Branche gab es eine Lohnerhöhung um mehr als zehn Prozent und eine Freizeitregelung. Die Lohnerhöhung kann also auch in Freizeit konsumiert werden, was laut Marterbauer zu einer Verdoppelung des Urlaubsanspruchs von bisher fünf auf zehn Wochen führen kann. Letztendlich werde es wirtschaftlich höchst sinnvoll sein, den Wünschen der Beschäftigen nachzukommen – also eben Teilzeitstunden zu erhöhen oder Arbeitszeit zu reduzieren –, wenn man die Mitarbeiter halten möchte. Jene Unternehmen, die hier flexibel agieren, werden laut Marterbauer auch die sein, die ihre Mitarbeiter werden halten können. Das könne auch den Fachkräftemangel reduzieren.

Industriellenvereinigung warnt 

Einen anderen Ansatz verfolgt hier naturgemäß die Industriellenvereinigung. Sie warnt vor Forderungen nach einer Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich. Österreich liege mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 37,65 Stunden für Vollzeitbeschäftigte im EU-Vergleich schon jetzt im unteren Drittel. Darüber hinaus gingen die Österreicher vergleichsweise früh in Pension, und die Teilzeitquote sei sehr hoch – daher sollten ungenutzte Potenziale am Arbeitsmarkt gehoben werden.

Im EU-Durchschnitt sei im vergangenen Jahr 38,35 Stunden pro Woche gearbeitet worden, in Deutschland sogar 38,9 Stunden, verweist die IV auf Eurostat-Daten. Die vom ÖGB ins Treffen geführte Statistik zur "normalen Arbeitszeit", wonach aktuell in der EU nur die Griechen noch länger als die Menschen in Österreich arbeiten, ist nach Ansicht der IV verkürzt, weil dabei die Feiertage und Urlaube nicht berücksichtigt würden.

In einer Zeit, in der Unternehmen Schwierigkeiten hätten, Mitarbeiter zu finden, sei die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung problematisch, heißt es in einer Aussendung der IV. "Wir müssen mit weniger Arbeitszeit die Produktivität auf heutigem Niveau erhalten und weiterhin steigern, um unseren Wohlstand und unseren Sozialstaat in dieser Form zu erhalten", sagt IV-Präsident Georg Knill.

Anreize schaffen 

Die Industriellenvereinigung schlägt vor, Anreize für die Beschäftigung über das Pensionsantrittsalter hinaus zu setzen. Die Kinderbetreuung und -bildung sollte ausgebaut, die Vollzeitarbeit attraktiver gemacht und die qualifizierte Zuwanderung gefördert werden.

Laut einer Studie des Economica-Instituts im Auftrag der IV würde eine Arbeitszeitreduktion auf 32 Stunden in Österreich zu erheblichen Lohn- und Gehaltseinbußen führen. "Eine Arbeitszeitreduktion auf 32 Stunden pro Woche hat nicht nur volkswirtschaftliche Nachteile, sondern auch Auswirkungen auf die persönliche finanzielle Zukunft. Im Laufe eines Erwerbslebens summieren sich diese Einbußen auf den Wert einer Eigentumswohnung", warnt Knill.

Die IV betont, dass eine Verteilung der wöchentlichen Normalarbeitszeit auf vier Tage bereits jetzt möglich sei, und argumentiert, dass eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich den Standort schädigen und die Kosten für den Stundenlohn schlagartig um 20 Prozent erhöhen würde.

Wirtschaftskammer sieht Wohlstand in Gefahr

Einer generellen Arbeitszeitverkürzung kann auch die Wirtschaftskammer wenig abgewinnen. Der Wirtschaft fehlen jetzt schon Arbeitskräfte, obwohl die Unternehmen 170.000 mehr Menschen beschäftigen als 2019. Der einfache Grund: "Wir arbeiten laut Statistik Austria heute im Schnitt um 1,5 Stunden pro Woche weniger als vor Covid", teilt Rolf Gleißner, Leiter der Abteilung für Sozialpolitik in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), in einer Aussendung mit. Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung, wie sie AK, ÖGB und SPÖ fordern, würde den Arbeitskräftemangel noch verschärfen. "Und nicht nur das. Denn das Arbeitsvolumen ist das Fundament für Wohlstand und Sozialstaatsfinanzierung. Weil die Babyboomer in Pension gehen, steigt die Last darauf.

Das Fundament selbst, die Zahl der Menschen im Erwerbsalter, schwindet hingegen. Arbeiten diese alle auch noch kürzer, bricht es irgendwann ein", befürchtet Gleißner und verweist auf die von der AK in Auftrag gegebene Wifo-Studie, der zufolge eine Arbeitszeitverkürzung die Löhne der Menschen und das BIP zusätzlich reduzieren würde. Was die Wünsche der Arbeitnehmer betrifft: Aus Umfragen wisse man, dass rund sieben von zehn Arbeitnehmern sagen, dass ihre Arbeitszeitwünsche immer oder meistens erfüllt werden, bei weiteren 20 Prozent werden diese teilweise erfüllt. Aber: "Die Arbeitszeit ist abhängig von Betriebsablauf, Öffnungszeiten und Kundenbedürfnissen", stellt Gleißner klar.

Der heutige Arbeitsmarkt biete einen Rekord an offenen Stellen und daher meist auch die Wahl zwischen Vollzeit und Teilzeit. "Wir brauchen daher kein Arbeitszeitkorsett für alle, das noch dazu Wohlstand und Sozialstaat gefährdet. Wir brauchen vielmehr Anreize für Menschen, die Überstunden leisten oder länger arbeiten wollen. Das ist Nachhaltigkeit", fasst Gleißner zusammen. (Bettina Pfluger, 15.6.2023)