"Meine stärkste kulinarische Prägung ist nicht so sehr auf ein spezielles Gericht, sondern auf die Ausmaße dessen bezogen. Meine Mutter kocht im XL-Stil. Ihre Marillenknödel wirken wie kleine Fußbälle, ihre Vanillekipferln gleichen Hufeisen, und ihre Schnitzel sind groß wie Palatschinken.
Wie überdimensioniert ihre Speisen tatsächlich sind, fiel mir immer erst auf, wenn ich sie in einem anderen Haushalt bekommen habe. Meine Mutter ist sich der Größe ihrer Gerichte auch bewusst. Wir lachen darüber.
Es gibt aber einen ernsten Hintergrund. Sie ist 1945 geboren und hat Hunger erlebt. Für sie und ihre Generation ging es lange Zeit nicht um Genuss, sondern um Sättigung. Da erscheint es nur logisch, dass kulinarische Freuden von der Dimension eines Gerichts und nicht vom Geschmack kommen. Heute muss meine Mutter zum Glück nicht mehr hungern, ihrem XL-Kochstil bleibt sie aber treu."
(Aufgezeichnet von Michael Steingruber, RONDO, 14.7.2023)