IM Mastery Academy, Jugendliche, Finanzakademie
Die Aussicht auf großen Reichtum und selbstbestimmte Arbeit macht die Kurse der Academy für viele Jugendliche attraktiv.
Getty Images

Conni* ist 18 und will ihr Leben ändern. Sie steht kurz vor dem Abschluss ihrer Lehre als Einzelhandelskauffrau, 40 Stunden pro Woche arbeitet sie in einem Geschäft. Für einen Trip nach London hat sie zwei Monate gespart, auf vieles verzichtet, um zumindest für ein paar Tage verreisen zu können. Das hat sie satt. Sie will jetzt Geld verdienen, viel Geld. "Damit ich jederzeit sagen kann: Hey, ich fliege einfach so eine Woche nach London."

Deshalb steht Conni an diesem Samstagabend vor einer Eventlocation unweit des Wiener Matzleinsdorfer Platzes. Es regnet in Strömen. Wie rund 300 andere durchnässte Jugendliche in schwarzen Hoodies und engen Kleidern drängt sie sich durch den Eingang in den Saal. Das Publikum ist zwischen 16 und 20 Jahre alt; sie wollen etwas aus ihrem Leben machen. "Was wird aus dir?" steht in großen Lettern auf einem Bildschirm. Laute Partymusik beschallt den brechend vollen Seminarraum und heizt die Stimmung an. Als der erste Speaker des Abends die Bühne betritt, springen die Teenager von ihren Sesseln und begrüßen ihn mit tosendem Applaus. Er und weitere Vortragende werden ihnen in den nächsten drei Stunden erzählen, wie man mit Online-Trading unverschämt reich werden kann.

Krypto-Trading und Network-Marketing

Was im ersten Moment nach Freikirche oder Rockkonzert aussieht, ist ein Event der sogenannten IM Mastery Academy, einer Online-Finanzakademie aus den USA, die Kurse in Monatspaketen anbietet: In verschiedenen Modulen, etwa Währungshandel, Krypto-Trading oder Social-Media-Training, sollen junge Menschen lernen, sich selbst ein "Business" aufzubauen. Einzelne Module kosten pro Monat durchschnittlich 200 Dollar, das All-in-Package wird auf dem Recruiting-Event in Wien um 500 Dollar beworben. Mitglieder werden zum "Network-Marketing" aufgefordert, sie sollen selbst neue Mitglieder anwerben – so ersparen sie sich einen Kursbeitrag oder erhalten Provisionen und steigen in der IM-internen Hierarchie auf. Bis zu 750.000 Dollar könne man durch das Anwerben anderer pro Monat verdienen, verspricht eine Powerpoint-Folie.

Vertrieben werden die Kurse nicht nur von IM selbst, sondern auch von Mitgliedern, die sich dafür eigene Marken aufgebaut haben. Groß im Geschäft ist in Österreich etwa das in Wels beheimatete Team Alpha oder in Deutschland Empire und Be your own Bank (Byob). Das Netzwerk soll mittlerweile mehrere Hunderttausend Mitglieder umfassen.

IM Mastery Academy
Wer in der Hierarchie des Academy-Netzwerks weiter aufsteigt, bekommt höhere Provisionen ausbezahlt. Einen höheren Rang erreichen Mitglieder, indem sie neue zahlende Mitglieder anwerben. Die Grafik zeigt, wie viele Mitglieder man anwerben muss, um weiter aufzusteigen, und wie viel man dafür verdienen kann. Für die genaue Höhe der Entlohnung gibt die Academy aber keine Garantie ab.
Quelle: Die Grafik basiert auf Zahlen, die bei dem Event der IM Mastery Academy in Wien präsentiert wurden. Gestaltung: DER STANDARD

Spiel mit der Hoffnung

Ein Zertifikat gibt es nach der Ausbildung nicht. Wie lange sie dauert, hänge von der eigenen Motivation ab. Ein Leben wie das der Multimilliardäre Steve Jobs, Elon Musk oder Mark Zuckerberg sei drin, wird suggeriert. "Das können alle schaffen", sagt ein Speaker, der selbst erst Mitte 20 und wie seine Kollegen ein großer Player in der Academy ist. Man müsse nur wissen, wie man Geld für sich arbeiten lasse. Es werden Bitcoin-Charts und spektakuläre Finanzdiagramme gezeigt. Der Markt sei gerade "down", ein guter Zeitpunkt also, um einzusteigen. Es gehe darum, sich etwas aufzubauen und am Ende zu den reichsten fünf Prozent der Welt zu gehören. Und wie? Na, mit dem Smartphone, erklärt er. Das sei 2023 ohne weiteres möglich.

Hier und heute erhalte man "lebensverändernde" Informationen, die einem in der Schule niemand geben würde. Auch ein extra aus Miami eingeflogener Speaker, der als Krypto-Star-Educator in der Academy gehandelt wird, betont die Exklusivität des Events. Dass er seine Tipps regelmäßig vor tausenden Jugendlichen offenlegt? Egal! "Meine Information heute ist 10.000 Euro wert, ihr könnt euch glücklich schätzen, dass sie euch nur fünf Euro Eintritt gekostet hat."

Fassen wir zusammen: Trading sei die Zukunft, man müsse als junger Mensch auf den Zug aufspringen. Zu zwei Drittel besteht der Vortrag aus Überzeugungsversuchen, kostenpflichtig Teil der "IM Family" zu werden. "Für alle im Raum, für die 500 Euro viel Geld sind: Für euch wird das immer viel Geld sein – bis ihr euer Mindset verändert." Die Startinvestitionen seien am Ende irrelevant, in zehn Jahren würden die Jugendlichen schließlich 10.000 Euro pro Monat verdienen. Außerdem werde man schon jetzt dafür belohnt, anderen von dieser "einmaligen Möglichkeit" zu erzählen. Der Speaker vergleicht das mit einem Gratis-Training im Fitnessstudio. Eine "Win-win-win-Situation" für alle.

IM Mastery Academy, Jugendliche, Finanzakademie
Im Rahmen der Veranstaltung in Wien wurden den Jugendlichen Bitcoin-Charts und Finanzdiagramme gezeigt.
Getty Images/iStockphoto

Weltweites Netzwerk im Fokus der Behörden

Für das, was da auf der Bühne versprochen wird, interessieren sich mittlerweile weltweit Behörden. Hinter der IM Mastery Academy steht das in New York ansässige Unternehmen International Markets Live, das von den Gründern Chris und Isis Terry geführt wird. 2018 wurde das Unternehmen von der amerikanischen Regulierungsbehörde Commodities Futures Trading Commission zu 150.000 Dollar Strafe wegen unzulässiger Tradingberatung verurteilt. Auch in Kanada, Belgien, Polen und Deutschland sprachen Finanzbehörden Warnungen aus, im Mai 2022 wurden in Spanien acht führende Köpfe des dortigen Academy-Netzwerks für ihre "kultartigen" Praktiken verhaftet, wie mehrere Medien berichteten.

Immer wieder steht der Vorwurf im Raum, es handle sich bei der Academy um ein Pyramidenspiel oder Schneeballsystem. Bei einem Pyramidenspiel werden den Mitgliedern eines Netzwerks große Gewinne versprochen, wenn sie neue Mitglieder anwerben. Das Ziel ist dabei weniger, den Absatz des eigentlichen Produkts zu steigern, als die Zahl der Teilnehmer im System zu erhöhen. In Österreich sind Pyramidenspiele strafrechtlich verboten.

Auf STANDARD-Anfrage sagt die Finanzmarktaufsicht (FMA), man habe bereits Informationen und Beschwerden über die Academy erhalten. Allerdings sei man nicht zuständig, da die Academy Schulungen anbiete, keine Finanzdienstleistungen. Zur Prüfung, ob strafrechtliche Tatbestände, insbesondere Betrug oder ein Pyramidenspiel vorliegen, habe man den Sachverhalt bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht. Bei der Staatsanwaltschaft Wien weiß man zudem von einer Anzeige durch eine Privatperson. Dieses Verfahren sei aber im April 2021 wegen fehlender Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten eingestellt worden.

Dem "Hamsterrad" entkommen

Die meisten Jugendlichen im Publikum ahnen davon nichts. Sie notieren die vermeintlichen Goldtipps brav mit, nicken an den richtigen Stellen. Ein Großteil von ihnen geht noch zur Schule oder absolviert eine Lehre. Viele haben keine Lust, ihr Leben lang für wenig Lohn fremdbestimmt zu arbeiten. Tom ist 18 und arbeitet am Bau. Er will dem "Hamsterrad" entkommen – morgens früh aufstehen, arbeiten gehen und abends müde zurückkommen. Er will ein anderes Leben: "Es stellt sich ja immer die Frage: Wenn du acht Stunden pro Tag für wen anderen arbeiten gehen kannst, warum dann nicht auch für dich selbst?" Deshalb zahlt er seit kurzem über 200 Dollar monatlich für die Academy. Warum man neue Mitglieder anwerben müsse, obwohl man mit Trading angeblich viel Geld verdienen könne, erklärt sich Tom so: "Wenn man keine Mitglieder anwerben würde, wäre die Academy nicht halb so groß, wie sie jetzt ist." Dann hätte er niemals die Chance bekommen, dabei zu sein.

Angeworben wurde Tom von seiner Freundin Nina. Sie ist schon seit knapp eineinhalb Jahren Mitglied, hat mit 16 Jahren für die Versprechen der Academy ihre Lehre abgebrochen. Seitdem baut sie ihren Social-Media-Auftritt auf und betreibe Krypto- und Fremdwährungs-Trading. Reich sei sie damit noch nicht geworden, gibt sie zu. Derzeit arbeite sie Teilzeit. Dort zu kündigen, bevor sie mit der Academy einen sechsstelligen Betrag im Monat verdient, hält sie für "komplett blöd". Es gebe hier im Raum aber viele, die bereits nach den ersten sechs Monaten richtig viel Geld gemacht hätten. Und warum klappt es bei manchen besser als bei anderen? "Weil sie die Zeit gut genutzt haben. Ich war in den ersten Monaten noch nicht so dahinter, war feiern und in einem schlechten Umfeld. Aber wenn du dich von Tag eins nur darauf fokussierst, dann klappt es!"

IM VISION Rotterdam – Official Recap Video | IM Academy IM Mastery academy
Mit Videos von großen Events wie hier in Rotterdam lockt die IM Mastery Academy neue Mitglieder an.
Youtube / IM mastery academy

Luxusmagnet Instagram

Auch Influencerinnen und Influencer sind im Publikum. Sie sammeln Videomaterial für ihre Followerschaft. Denn auch auf Social Media wird das Netzwerk der IM Academy immer größer. Den IM-Profilen auf Instagram und Tiktok folgen hunderttausende junge Frauen und Männer, deren Content mit Hashtags wie #Freedom, #Mindset oder #Motivation versehen ist und großteils aus Self-Empowerment-Sprüchen besteht. Sie posieren in Markenkleidung vor Luxushotels oder dicken Autos – auch das suggeriert: Du befindest dich hier in einem erfolgreichen, elitären Zirkel.

Nicht selten werden neue Mitglieder von anderen direkt über Social Media angeworben: "Du willst wissen, wie ich mir dieses Luxusleben leisten kann? Klicke auf den Link in meiner Bio." Dieser führt direkt auf die Website der IM Mastery Academy. Auch Birgit R.s Tochter Lena ist so erstmals mit der Academy in Berührung gekommen.

Eigentlich hatte Lena klare Vorstellungen von ihrer Zukunft. Sie war gerade 18 geworden, hatte die Matura in der Tasche und wollte als Au-pair in die USA. Doch dann teilt sie ihrer Mutter mit: "Mama, es ist alles anders." Sie wolle sich jetzt ganz der Academy verschreiben. "Manchmal muss man kleinere Ziele für größere opfern", habe sie gesagt. In der Academy findet sie eine neue Familie. Lena trennt sich von ihrem Freund, kauft Bücher über Finanzen, Neuro-Linguistisches Programmieren (NLP), esoterische Themen und reist für die Academy zu Events nach Hannover, Nürnberg, Miami – alles bezahlt von einem Nebenjob als Kellnerin. An der Wand in ihrem Kinderzimmer hängen jetzt motivierende Sprüche der Trading-Gurus.

Birgit erkennt ihre Tochter kaum mehr wieder. Ihr Umfeld wendet sich von Lena ab, mittlerweile hat sie erfolgreich 15 Personen angeworben und bekommt dafür Provision in ihre "elektronische Geldbörse" überwiesen. Von einer klassischen Ausbildung will sie nichts mehr wissen. 

Eltern ohne Anlaufstelle

Auch im Zimmer von Jan B. kleben die Motivationsmantras. Anders als Lena wurde er nicht online, sondern von Freunden an der Schule angeworben. Seine Mutter Helga nimmt das Engagement ihres Sohnes zunächst nicht allzu ernst. Erst als Jan kurz nach seinem 18. Geburtstag erzählt, dass er die Schule aufgeben und künftig vom Traden leben will, schrillen bei ihr die Alarmglocken.

Das Leben ihres Sohnes ändert sich schlagartig. Er hört auf, im Verein Fußball zu spielen. Er ist bis in die Morgenstunden wach, verschläft dafür den Tag. Alles dreht sich jetzt um die Academy und darum, neue Mitglieder anzuwerben: "Er hat versucht, sein ganzes Umfeld zu bearbeiten. Wenn ich mit ihm im Taxi gefahren bin, hat er versucht, den Taxifahrer für das Netzwerk zu gewinnen", erzählt Frau B. Viele Freunde hätten sich von Jan abgewendet, nachdem er versucht habe, sie zu zahlenden Mitgliedern zu machen. In den aller seltensten Fällen sei das gelungen: "Ich glaube, er hat am Ende drei oder vier Leute angeworben", sagt Frau B. Dafür gebe er bis zu 30.000 Euro aus einem Bausparvertrag aus, nicht nur für die IM Academy, sondern auch für Coaching in anderen Bereichen.

Sektenstelle schlägt Alarm

Helga B. und Birgit R., die Mütter von Jan und Lena, haben Angst, dass ihre Kinder weiter abgleiten, noch mehr Geld verlieren. Sie suchen nach Hilfe – und finden sie nicht. Egal wohin sie sich wenden, niemand habe sich richtig zuständig gefühlt. Eine Adresse, die immer wieder mit Anfragen besorgter Angehöriger konfrontiert ist, ist die der Bundesstelle für Sektenfragen. Der Psychologin Ulrike Schiesser, die die Betroffenen dort berät, fällt vor allem das jugendliche Alter der Mitglieder der IM Mastery Academy auf. Viele haben gerade mit Schule oder Lehre zu kämpfen: "Die Academy scheint dann wie ein glorreicher Ausweg, eine Abkürzung, um ans Ziel zu kommen."

Waren früher Pyramidenspiele oder Multi-Level-Marketing-Strukturen vor allem auf ältere, berufstätige Menschen ausgerichtet, sei das bei der Academy anders: "Heutzutage haben die Kinder Geld", sagt Schiesser. Als gefährlich schätzt sie vor allem ein Versprechen ein, auf dem das Geschäftsmodell der Academy beruht: "Du kannst dein eigener Chef sein, kannst mit dem Trading beginnen, ohne Geld zu besitzen, jeder kann Investor sein." Dazu komme eine Kultur der Selbstoptimierung, der Selbstliebe und des positiven Mindsets von "Fun, Freiheit, we are family", die etwa auf Instagram vorherrsche. Oft würden die Jugendlichen die Schule abbrechen, frühere Interessen aufgeben und soziale Kontakte abbrechen. "Und wenn der Erfolg ausbleibt, dann war vielleicht einfach das Mindset nicht positiv genug", resümiert Schiesser. All das würde das traditionelle Multilevel-Marketing auf ein neues Niveau heben.

IM Mastery Academy, Trading, Jugendliche
Die Academy lockt mit dem Versprechen, heutzutage könne jeder mit dem Trading beginnen.
IMAGO/Addictive Stock

Keine Gesprächsbereitschaft

In ihrer Isolation vom früheren Umfeld werden Betroffene häufig bestärkt. Die IM Mastery Academy etwa bereitet ihre Mitglieder in "Mindset Masterix"-Trainings darauf vor, dass Freunde und Familie kein Verständnis für die neu gefundene Ambition haben werden. Warum? "Weil sie Angst haben, dass dein Business funktioniert und du am Ende erfolgreicher wirst als sie", behauptet ein Speaker beim Event in Wien.

Von der IM Mastery Academy selbst wollte niemand mit dem STANDARD sprechen. Interviewanfragen an die Zentrale in den USA oder an Führungsfiguren in Österreich und Deutschland blieben zu weiten Teilen unbeantwortet. In einigen Fällen kam als Antwort, man rede nicht mit Medien, da sie die Wahrheit nur verdrehen würden.

"Macht das, was erfolgreiche Menschen machen"

In den Geschäftsbedingungen für Mitglieder im Vermarktungsnetzwerk werden diese explizit angewiesen, nicht mit Journalistinnen und Journalisten zu sprechen. Zahlreiche STANDARD-Anfragen an betroffene Jugendliche blieben daher ebenfalls entweder unbeantwortet oder wurden mit dem Verweis abgewehrt, dass die Academy von den Medien bisher stets zu Unrecht negativ dargestellt wurde.

Es ist 21 Uhr, die Veranstaltung in Wien neigt sich dem Ende zu. Zum Schluss gibt es noch eine sehr große, exklusive "Überraschung", wie die Speaker verkünden. Die ersten fünf Neuankömmlinge, die noch an Ort und Stelle ein All-in-Package abschließen, sowie jene Mitglieder, von denen sie angeworben wurden, bekommen eine private Fragestunde mit einem US-amerikanischen Krypto-Superstar. Für alle, die immer noch zögern, legt der Sprecher nach: "200 bis 500 Euro sind nicht der größte Verlust, den ihr machen könnt." Der größte Verlust sei es, gar nicht erst zu starten: "Macht das, was erfolgreiche Menschen machen: Trefft schnelle Entscheidungen!"

Die Teenager stürmen zum Ausgang. Sie sind aufgekratzt, voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Wie viele von ihnen an diesem Tag eine Mitgliedschaft abgeschlossen haben, lässt sich nur erahnen. (Viktoria Kirner, Michael Windisch, 24.6.2023)