Zum ersten Mal wird künftig ein Kandidat der rechten AfD in Deutschland das Amt eines Landrats bekleiden, das mit jenem eines Bezirkshauptmanns in Österreich vergleichbar ist. Nach dem Wahlsieg der AfD im thüringischen Landkreis Sonneberg erwarten Experten weitere Erfolge der Partei in Ostdeutschland. "Wenn es nicht zu einem dramatischen Stimmungswechsel kommt, könnten die Landtagswahlen und die Kommunalwahlen im nächsten Jahr zu einem Triumphzug der AfD werden", sagte der Dresdner Politikwissenschafter Hans Vorländer der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

VIDEO: Sonneberg - Erstmals AfD-Politiker zum Landrat gewählt.
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Im Landkreis Sonneberg hatte der AfD-Kandidat Robert Sesselmann am Sonntag die Stichwahl um das Amt des Landrats gewonnen. Der 50-jährige Rechtsanwalt und gebürtige Sonneberger ist derzeit AfD-Landtagsabgeordneter in der thüringischen Hauptstadt Erfurt – und somit Kollege des Rechtsextremisten Björn Höcke, der Sesselmann noch am Wahlabend persönlich gratulierte.

Robert Sesselmann wirbt mit den Nationalfarben.
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Es ist das erste kommunale Spitzenamt für die Rechtspartei deutschlandweit. Die Unterstützung von Linken, SPD, Grünen und FDP für den CDU-Gegenkandidaten Jürgen Köpper reichte nicht aus, um den AfD-Erfolg zu verhindern.

Anti-Ampel-Agitation

Thematisch hatte Sesselmann vor allem auf Bundesthemen gesetzt, etwa das umstrittene Heizungsgesetz oder die Inflationskrise, sowie, wenig überraschend, gegen Flüchtlinge agitiert. Einer Umfrage für den TV-Sender Welt zufolge sind 52 Prozent der Deutschen beunruhigt von der Vorstellung eines AfD-Landrats. Anstelle der großen Themen muss Sesselmann künftig lokale Probleme lösen, etwa Kinderbetreuung oder den Zustand der Straßen.

Ob es bei einem AfD-Landesrat bleibt, ist ungewiss. Vorländer sagte, die AfD werde auf Landesebene zwar mangels Partnern nicht regieren – doch würden große Bündnisse der übrigen Parteien nötig sein, um noch Regierungsmehrheiten zustande zu bekommen. "Es wird immer schwieriger, gegen die AfD Politik zu machen oder gegen die AfD Wahlen zu gewinnen", sagte der Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung an der TU Dresden.

Instabile Mehrheiten

Der thüringische SPD-Landesvorsitzende Georg Maier machte auch die instabilen politischen Verhältnisse in dem Bundesland für den Ausgang der Landratswahl verantwortlich. Bei vielen Themen, die die Menschen bewegten, gebe es zu wenig erkennbare Fortschritte, weil die rot-rot-grüne Minderheitsregierung auf die Zustimmung der CDU angewiesen sei. "Wir drehen uns teilweise wirklich im Kreis", sagte Maier der dpa.

Großes Potenzial

Politikwissenschafter Vorländer sprach von einer Gemengelage verschiedener Motive bei den Wählerinnen und Wählern. Die AfD sei seit Jahren in vielen Regionen Ostdeutschlands tief verwurzelt und habe teils ein Potenzial von mehr als 30 Prozent. Viele Menschen hätten konservative, rechtsnationale oder sogar völkische Einstellungen. Derzeit komme die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung hinzu. "Das ist ein fruchtbarer Boden für die AfD", sagte Vorländer. Nächstes Jahr stehen Landtags- und Kommunalwahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg an sowie Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. (red, APA, 26.6.2023)