Frau hält in der einen Hand einen Proteinshake und in der anderen ein Handy
Hochverarbeitete Lebensmittel enthalten häufig sehr viele Kalorien. Ein Plus an Eiweiß macht sie noch kalorienreicher.
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In den Regalen der Supermärkte tauchen immer mehr von ihnen auf. Shakes, Riegel, Joghurts oder auch Eiscreme, die mit einer Extraportion Eiweiß werben. Gerade Menschen, die auf ihre Ernährung achten, viel Sport machen oder abnehmen möchten, fühlen sich häufig davon angesprochen. Denn klar ist: Der Körper und vor allem  Muskeln brauchen Eiweiß, um stark zu werden und zu bleiben. Und starke Muskeln sorgen für einen höheren Grundumsatz und somit für einen besseren Stoffwechsel. 

Doch gerade in hochverarbeiteten Lebensmitteln sind in der Regel wenig Proteine enthalten. In ihnen stecken vor allem die drei großen Player Salz, Fett und Zucker. An Eiweiß wird häufig gespart, denn es trägt kaum etwas zum Geschmack bei und ist teuer in der Verarbeitung. Trotzdem setzen immer mehr Lebensmittelhersteller vermehrt auf den Zusatz von Proteinen in ihren Produkten.

Für diese Produkte könnte die Proteintheorie sprechen, die die beiden Biologen David Raubenheimer und Stephen J. Simpson von der University of Sydney 2019 aufgestellt haben. Sie sprechen dabei von der Hebelwirkung des Proteins. Ihrer Meinung nach isst man von hochverarbeiteten Lebensmitteln wie Fertigprodukten so viel, weil ihnen der Proteingehalt fehlt. Der Körper verlangt danach, bekommt das Eiweiß jedoch nicht. Das Resultat: Man isst immer mehr davon.

Insekten essen mehr Kohlenhydrate, wenn ihnen das Eiweiß fehlt

Die Theorie stellten die beiden Biologen im Rahmen ihrer Forschung an Insekten auf. Die Insekten bekamen eine Zeitlang vorangig kohlenhydratreiche Nahrung. Als sie dann wieder den Zugang zum gesamten Speiseplan hatten, tendierten sie vermehrt zu eiweißreichem Futter. Die Tiere wussten also instinktiv, wie viel Protein ihr Körper braucht. Diese These wurde noch verstärkt, als die Forscher den Insekten dann über einen noch längeren Zeitraum nur kohlenhydratreiche Nahrung gaben. Sie begannen sich zu überessen. Sprich, sie mussten viel mehr zu sich nehmen, bis ihr Eiweißbedarf gedeckt war, mit der Zeit wurden sie fettleibig. 

Ein Plus an Proteinen in verschiedenen Lebensmitteln könnte laut dieser Theorie also ein Überessen verhindern. Und in weitere Folge auch Übergewicht reduzieren oder gar nicht erst entstehen lassen. Fakt ist, dass vor allem in Ländern mit einem hohen Konsum von hochverarbeiteten Lebensmitteln auch die Zahl an fettleibigen Personen höher ist. In Großbritannien nehmen die Menschen etwa 51 Prozent ihrer Kalorien über Fertigprodukte auf. In den USA sind es sogar 57 Prozent. In Österreich ist der Verbrauch etwas geringer, hier liegt er bei 35 Prozent.

Tabelle für die Einteilung verschiedener Lebensmittel. Angefangen bei frischen Lebensmitteln bis hin zu stark verarbeiteten Lebensmitteln. Von Letzteren sollte man am wenigsten verzehren.
Lebensmittel werden in vier Kategorien unterteilt. Angefangen bei frischen Lebensmitteln bis hin zu stark verarbeiteten Lebensmitteln. Von Letzteren sollte man am wenigsten verzehren.
Fachgesellschaft für Ernährungstherapie und Prävention e.V.

Tilman Kühn, Professor für Public Health Nutrition an der Med-Uni Wien, ist dieser Proteinthese gegenüber jedoch skeptisch: "Es stimmt zwar, dass hochverarbeitete Lebensmittel häufig proteinärmer sind, aber ich glaube nicht, dass das der Grund für Übergewicht ist." Für ihn sind vor allem die Nährstoffe, die in hochverarbeiteten Lebensmitteln stecken, schuld daran, dass man schneller zunimmt. "In Fertigprodukten sind in erster Linie zu viel Zucker, Salz und gesättigte Fette drin. Alles Dinge, die richtig zusammengesetzt sehr gut schmecken, aber auch nachweisbar schlecht für den Körper sind und dazu beitragen, dass man bei häufigem Verzehr zunimmt."

Ein Plus an Eiweiß führt zu deutlich mehr Kalorien

Wenn diesen Produkten zusätzlich Proteine hinzugeführt werden, kommt es zu keinem gesundheitlichen Benefit, sondern lediglich zu einer noch höheren Kalorienbilanz. "Das Problem etwa in vielen Joghurtprodukten ist der hohe Zuckergehalt. Mit zusätzlichem Eiweiß bleibt das Produkt trotzdem hochkalorisch", erklärt Kühn. "Viele hochverarbeitete Lebensmittel werden meiner Meinung nach nicht viel besser, nur weil man ihnen noch Proteine hinzufügt."

Dazu kommt, dass wir in Österreich keinen Mangel an Eiweiß in der Ernährung haben, wie der Ernährungsexperte betont: "Bei uns ist der Verzehr von Proteinen im Schnitt deutlich höher als der empfohlene Richtwert. Wir verzehren viel Fleisch und Milchprodukte. Und selbst bei Menschen, die sich vegan ernähren, also komplett auf tierische Produkte verzichten, zeigen großangelegte Studien, dass auch bei ihnen kein Mangel auftritt." 

Ein zu viel an Proteinen schadet zwar dem Körper nicht, aber es bringt ihm außer zusätzlichen Kalorien auch nichts. Nur wenn der Bedarf über längere Zeit hinweg deutlich überschritten wird, kann es passieren, dass die Nieren darunter leiden. Lediglich bei Personen, die viel Sport treiben, landet ein Plus an Proteinen in den Muskeln. "Dafür reicht jedoch etwa ein Naturjoghurt aus. Wer zu einem hochverarbeiteten Eiweißshake oder Riegel greift, muss sich im Klaren darüber sein, dass dort zusätzlich eine Menge Zucker und Fett zum Einsatz kommt", betont der Experte. 

Die richtige Kombination sorgt für Glücksgefühle

Fakt ist, dass hochverarbeitete Lebensmittel den allermeisten sehr gut schmecken und man deshalb häufig nicht aufhören kann. Aber wenn es nicht am fehlenden Eiweiß liegt, warum können wir dann nicht genug von Schokolade, süßen Joghurtdrinks und Fertigpizza bekommen? Ganz einig ist sich die Wissenschaft bei der Beantwortung dieser Frage nicht. Für Tilman Kühn dürfte die Kombi der drei großen Player im Fertigessen der Grund sein: "Zucker, Salz und Fett scheinen in der richtigen Kombination alle möglichen Belohnungszentren im Körper und Gehirn anzusprechen. Vor allem Zucker und Salz gehören zu den absoluten Hauptgeschmacksträgern und stimulieren unseren Appetit." (Jasmin Altrock, 8.7.2023)