Die deutsche Fußballerin Giulia Gwinn kurz vor einem Schuss bei der EURO 2022 gegen England.
Am 20. Juli beginnt die Fußball-WM in Australien und Neuseeland. Die deutsche Fußballerin Giulia Gwinn (auf dem Foto) kommentiert als Expertin für den ZDF, dass die Spiele live im Fernsehen übertragen werden, war nicht immer so.
IMAGO/Eibner/Memmler

Am Donnerstag beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft. Dass dies in der breiten Bevölkerung kaum Gesprächsthema ist und in relativ wenigen Werbungen und Medien zum Thema gemacht wird, lässt darauf schließen, dass es sich um die WM der Frauen handelt. Noch immer wird dem Wettbewerb der Frauen weniger Aufmerksamkeit zuteil, Profifußballerinnen müssen in vielen Ländern Zweitjobs annehmen, weil sie im Kontrast zu den Millionengagen zahlreicher Kollegen wenig verdienen. Manche Fußballfans begründen ihre Abneigung gegenüber Frauenfußball damit, dass dieser in Sachen Tempo und Stärke nicht mithalten könne.

Ob dies wirklich so ist, hinterfragt ein Werbevideo, das in sozialen Netzwerken derzeit fleißig geklickt wird. Der Telekommunikationsanbieter Orange demonstriert seine Unterstützung des französischen Nationalteams, genannt "Les Bleus". Nach etlichen beeindruckenden Torschüssen der Spieler, unterlegt mit aufgeregten Kommentatorenstimmen und dramatischer Musik, wird klargemacht: Es handelt sich um Deepfakes. Statt Männern sind es Frauen, denen die Glanzleistungen gelungen sind, virtuell wurden nur etliche Köpfe ummontiert. Nicht nur "Les Bleus" können die starken Emotionen hervorrufen, sondern auch "Les Bleues". Das Extra-E weist im Französischen auf den nicht ganz so kleinen Unterschied zwischen Männer- und Frauenteam hin.

Orange - la Compil des Bleues (English version)
Marcel

Passend dazu erschien nun auch eine Forschungsarbeit der Universität Zürich, die sich Vorurteilen gegenüber Frauenfußball widmete. In der Studie, die im Fachjournal "Sport Management Review" veröffentlicht wurde, fragte sich das internationale Forschungsteam: Wie beeinflusst die Wahrnehmung des Geschlechts der Spielerinnen und Spieler die Bewertung der Qualität?

Verpixelte Videos

Dafür ließen Carlos Gomez-Gonzalez vom Institut für Betriebswirtschaftslehre der Uni Zürich und seine Kollegen (ausschließlich Männer) 613 Probandinnen und Probanden Torszenen aus WM- oder Champions-League-Spielen betrachten, die als Saisonhighlights gepriesen wurden. Unter anderem kamen darin die US-amerikanische Topstürmerin Alex Morgan (derzeit beim Verein San Diego Wave FC) und der kroatische Teamkapitän Luka Modrić (Real Madrid) vor. Die Leistung der Beteiligten musste anschließend auf einer Skala von 1 bis 5 bewertet werden.

Die Kontrollgruppe sah Originalvideos, in diesen lässt sich meist recht schnell durch sekundäre Geschlechtsmerkmale (etwa Unterschiede in Körperbau, Gesicht und Körperbehaarung) und das mehr oder weniger häufige Auftreten von Pferdeschwänzen erkennen, ob man ein Frauen- oder Männermatch verfolgt. Für die andere Gruppe wurden die Personen in den Videos durch Unschärfefilter unkenntlich gemacht.

Unter den Testteilnehmenden gaben 96 Prozent an, prinzipiell Fußball zu schauen, 80 Prozent würden sich sogar täglich Spiele ansehen. Das Geschlechterverhältnis war mit 276 Teilnehmerinnen und 337 Teilnehmern relativ ausgeglichen, mit 74 Prozent bevorzugten allerdings die meisten den Herrenfußball. Damenfußball sahen sich 15 Prozent lieber an, elf Prozent hatten keine Präferenz.

Kein schlechterer Fußball

Das Ergebnis der Videobewertung: Die Männerfußball-Sequenzen wurden signifikant besser bewertet als die Frauenfußball-Videos. Dies galt allerdings nur, wenn die Videos nicht verpixelt waren: "Geschlechtszensiert" verschwand der Unterschied, Fußballerinnen und Fußballer wurden dann qualitativ ähnlich eingeschätzt.

Während drei der fünf Videos der Männer in "unzensuriertem" Zustand eine durchschnittliche Bewertung von mindestens 4 bekamen, erreichte keines der fünf Frauenfußball-Videos diesen Wert. Durchschnittlich kamen die verschwommenen Videos übrigens auf eine schlechtere Qualitätsbewertung als die nichtverpixelten. Das hatten die Wissenschafter bereits erwartet, weil generell weniger erkennbar ist.

Cristiano Ronaldo (der beim saudi-arabischer Fußballverein al-Nassr FC der Hauptstadt Riad spielt) zeigt Victory-Zeichen.
Unter Fußballerinnen und Fußballern ist Cristiano Ronaldo nicht einmal Nummer zwei bei den meisten geschossenen Toren.
AP/Árni Torfason

"Dieses Ergebnis widerlegt die Annahme, dass die geringe Nachfrage nach Frauenprofifußball auf die Leistungsqualität der Spielerinnen zurückzuführen ist", wird Erstautor Gomez-Gonzalez in einer Aussendung der Uni Zürich zitiert. Das gilt jedenfalls für den Vergleich der gezeigten Torschüsse bei Topspielerinnen und -spielern. Der gängigen Meinung zufolge würden Männersportarten als besser als Frauensportarten angesehen, weil Männer im Durchschnitt größer, stärker und schneller seien, betont Gomez-Gonzalez.

Kommunikationsproblem bei Rekorden

Dass sexistische – also für Frauen nachteilige – Stereotype die Wahrnehmung von Qualität beeinflussen können, macht die Studie deutlich. Auch wenn ein Spiel eines Frauen-Nationalteams gegen eine männliche Profimannschaft in den meisten Fällen ein ungleiches Kräfteverhältnis darstellen würde, muss dies nicht bedeuten, dass Spiele der Frauen-WM weniger packend sind als die der Männer-Weltmeisterschaften.

Kanadische Fußballerin Christine Sinclair posiert beim Trikottausch mit der japanischen Kollegin Hina Sugita.
Kanadierin Christine Sinclair (rechts) hält den Rekord für die meisten Tore im internationalen Fußball.
IMAGO/Sports Press Photo/Gia Quilap

Das spiegelt sich auch in der Kommunikation von Rekorden wider. Cristiano Ronaldo galt 2021 für einige Medien mit 111 Toren für Portugal als "highest goalscorer in international football", also als "bester Torschütze im internationalen Fußball" (mittlerweile bei 123 Toren). Übertroffen wurde er in dieser Funktion, die im Englischen genderneutral formuliert ist, allerdings von sieben Frauen, darunter die Kanadierin Christine Sinclair, die damals bereits 187 Tore verzeichnen konnte (heute 190 Tore). Die Fifa teilte bei der WM in Katar mit, der Argentinier Lionel Messi habe die meisten Minuten in der Geschichte der Weltmeisterschaften gespielt (2.314 Minuten), wurde aber eigentlich von der US-Amerikanerin Kristine Lilly übertroffen (2.536 Minuten).

Immerhin werden entsprechende vorurteilbehaftete Äußerungen seltener und weniger akzeptiert. Finanziell gibt es ebenfalls Verbesserungen, die österreichische Spielerinnen wie Carina Wenninger und Sarah Puntigam positiv kommentierten: Die Fifa erhöhte die WM-Turnierprämie auf insgesamt ungefähr 138 Millionen Euro, das einem Drittel der Männerprämien entspricht. Zudem zeigt ORF 1 alle Spiele der Fußball-WM in Australien und Neuseeland/Aotearoa live – wobei Österreich bei dieser WM nicht dabei ist. (Julia Sica, 19.7.2023)