Mehrere Packungen mit eingeschweißtem Rindfleisch. Auf der Verpackung ist zu lesen: Lab Grown Meat Beef
Ob Regale im Supermarkt in Zukunft wirklich mit Fleisch aus dem Labor bestückt sein werden, bleibt abzuwarten. Derzeit können aufgrund hoher Energiekosten nur sehr geringe Mengen produziert werden.
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Für viele klingt Laborfleisch immer noch wie der Stoff aus einem Science-Fiction-Film, langsam, aber sicher kommt es jedoch in der Realität an. Vor rund einem Monat wurde Fleisch aus dem Labor in den USA für den Verkauf zugelassen. In Singapur ist es bereits seit 2020 erhältlich. Auch eine Zulassung in Europa wird dadurch in den nächsten Jahren wahrscheinlicher, vor kurzem hat die Schweiz als erstes europäisches Land einen Antrag dafür gestellt.

Dabei sind noch viele Fragen offen. So kann etwa im Moment nur darüber spekuliert werden, wie es sich mit den gesundheitlichen Auswirkungen von kultiviertem Fleisch verhält. Denn bisher haben nur wenige Menschen Fleisch aus dem Labor probiert. Um gesundheitliche Auswirkungen auf den Körper beobachten zu können, braucht es jedoch Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte des Konsums. Und dennoch glauben Befürworterinnen und Befürworter daran, dass kultiviertes Fleisch irgendwann eine gesunde Alternative zu Fleisch aus Massentierhaltung werden könnte – ganz abgesehen vom Tierleid, das man dadurch verhindern könnte.

Nicht ohne Tierleid

Noch kommt kultiviertes Fleisch aber nicht ganz ohne Tierleid aus. Denn das Ausgangsmaterial sind immer noch tierische Zellen, die dem Tier zuvor entnommen werden müssen. Das kann ziemlich schmerzvoll für die Tiere sein, aber es tötet sie nicht. Diese Muskelstammzellen kommen dann in verschiedene Nährstofflösungen, um weiter zu wachsen und Muskelfasern zu entwickeln.

Und genau hier liegt das Hauptproblem: Als sehr gut geeignete Nährstofflösung hat sich nämlich fetales Kälberserum herausgestellt. Um das zu gewinnen, müssen aber das heranwachsende Kalb im Bauch und die Mutterkuh getötet werden. Weil das rein gar nichts mit weniger Tierleid zu tun hat, wird intensiv an Alternativen geforscht, berichtet Petra Kluger, Professorin für Tissue Engineering und Biofabrication von der Universität Reutlingen. Sie betont: "Es ist klar, dass kultiviertes Fleisch nur dann wirklich sinnvoll ist, wenn man es ohne tierische Bestandteile im Nährmedium herstellen kann, auch wir forschen daran. Mittlerweile gibt es auch viele gute Ansätze und bereits erste Alternativen."

Kluger und ihr Team suchen nach Möglichkeiten, die Nährlösung aus Abfallprodukten der Lebensmittelverarbeitung herzustellen – und Fleisch aus dem Labor so nachhaltiger zu machen. "In der Lebensmittelherstellung entstehen ja immer eine Menge Reste. Bei der Produktion von Rapsöl beispielsweise bleiben die Hülsen übrig, beim Pressen von Weintrauben entstehen die sogenannten Trester, und auch bei der Milchherstellung gibt es Bestandteile, die eigentlich weggeworfen werden." Ob sich eines dieser Abfallprodukte als Nährlösung für kultiviertes Fleisch eignet, bleibt noch abzuwarten. Auch mit Algen und Pilzen als Ausgangsbasis für eine Nährstofflösung wird experimentiert.

Fleisch mit dem gewissen Extra

Fleisch aus dem Labor soll über kurz oder lang aber nicht nur Tierleid minimieren. Wenn es nach den Forschenden geht, soll es auch viele gesundheitliche Vorteile bieten. Denn Fakt ist, die meisten Menschen essen zu viel Fleisch. Tierische Produkte enthalten zudem häufig viele gesättigte Fettsäuren, Cholesterin und Salz. Sie können zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselstörungen, Bluthochdruck und Fettleibigkeit führen. Von der WHO wurden rotes Fleisch und Wurstwaren deshalb auch als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft.

Wenn man Fleisch nun aber im Labor herstellt, könnte man die negativen Inhaltstoffe herausnehmen und durch bessere ersetzen – zumindest in der Theorie. Aber ist das wirklich möglich? "Genau das ist der spannende Punkt", sagt Kluger. "Wir haben theoretisch die Chance, Fleisch ganz individuell zu gestalten. Wir könnten es mit Folsäure anreichern, was vor allem für Schwangere wichtig ist. Oder mit einer Extraportion Vitamin D für ältere Menschen." Und das ist noch nicht alles. Laut der Expertin wird auch darüber nachgedacht, ganz neue Produkte zu entwickeln. "Wir denken darüber nach, kultiviertes Fleisch mit pflanzlichen Bestandteilen zu kombinieren. Ich glaube, dass es das Zeug hat, irgendwann zum Superfood zu werden."

Was die Zusammensetzung betrifft, glaubt auch Tilman Kühn, Professor für Public Health Nutrition an der Med-Uni Wien, dass es möglich werden könnte, kultiviertes Fleisch genau den Wünschen und Bedürfnissen der Verbraucherinnen und Verbraucher anzupassen: "Es gibt die Hoffnung, dass man die Zusammensetzung optimieren kann, etwa mit einer Mischung aus Proteinen und gesunden Fettsäuren. Das wäre dann vermutlich ein gesünderes Produkt als Fleisch aus Massentierhaltung."

Dennoch löst das nicht alle Probleme. Denn die gesundheitlichen Risiken von Fleisch entstehen vor allem bei seiner Zubereitung, weiß der Experte: "Für mich spricht die Verarbeitung dagegen, dass Laborfleisch wirklich gesünder sein könnte, die bleibt ja gleich. Beim Braten oder beim Konservieren wie Pökeln oder Räuchern entstehen nämlich Substanzen, die gesundheitliche Risiken mit sich bringen können." Heterozyklische Amine, die sich bei jeglicher Form des Erhitzens bilden, stehen beispielsweise im Verdacht, krebserregend zu sein. "Falls sich Fleisch aus dem Labor, was die Zubereitung betrifft, nicht von herkömmlichen Fleisch unterscheidet, werden diese Stoffe trotzdem entstehen."

Künstlich hergestellt und trotzdem natürlich?

Bleibt die Frage, ob es sich bei Laborfleisch um ein natürliches oder ein verarbeitetes Produkt handelt. Denn vor allem hochverarbeiteten Lebensmitteln wird die Entstehung von Krankheiten wie Adipositas oder Diabetes zugeschrieben – damit sie so gut schmecken, stecken besonders viel Fett, Salz oder Zucker drin. Nun wirkt auch kultiviertes Fleisch, das im Labor gezüchtet wird, nicht gerade sehr natürlich. Und trotzdem ist es das, erklärt Kluger: "Genau genommen ist kultiviertes Fleisch nicht hochverarbeitet. Der Geschmack muss nicht durch künstliche Geschmacksverstärker erzeugt werden, sondern kommt vor allem aus den Fettzellen, die auch im normalen Fleisch vorkommen. Ich glaube, dass die Beimischung von zusätzlichen Stoffen sehr viel geringer ausfallen wird, als es etwa bei Fleischersatzprodukten das Fall ist."

Auch Kühn sieht im Laborfleisch eine natürliche Variante. "Das Fleisch, das im Labor aus dem Nährmedium kommt, ist für viele Menschen auf den ersten Blick nicht natürlich. Wenn man sich jedoch die konventionelle Tierhaltung anschaut, ist auch diese häufig alles andere als natürlich. In unseren Köpfen haben wir immer das Idealbild von der glücklichen Kuh auf der Weide. Aber in Wahrheit stellt das die Minderheit dessen dar, was wir verzehren." Auch der Einsatz von Antibiotika, der in der Tierhaltung gang und gäbe ist, wird im Labor wahrscheinlich überflüssig.

Enormer Energiebedarf

Dennoch befürchten Gegenstimmen, dass eine Art Greenwashing mit kultiviertem Fleisch aus dem Labor betrieben werden könnte. Landwirschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) fordert daher eine "faktenbasierte und umfassende Folgenabschätzung zu Laborfleisch auf EU-Ebene". In einer Aussendung verweist er auf erste Studien der Universität Oxford, die darauf hinweisen, dass die Produktion von Laborfleisch klimaschädlicher sei als von natürlichem Fleisch. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie der Universität von Kalifornien in Davis könnten sogar bis zu 25-mal so viele CO2-Äquivalente pro Kilogramm Fleisch nötig sein wie bei Produkten aus Tierhaltung. Das liege vor allem an dem hohen technologischen Aufwand, der derzeit noch für die Produktion von Fleisch aus dem Labor benötigt wird. Tilmann Kühn erklärt: "Die Nährmedien müssen unter ganz konstanten Bedingungen produziert werden. Dafür ist unter anderem eine immer gleichbleibende Temperatur nötig. Das benötigt viel Energie."

Die derzeit noch sehr hohen Energiekosten und noch nicht tierfreie Nährmedien sind nur ein paar Gründe, warum es sicher noch einige Zeit dauern wird, bis kultiviertes Fleisch in größeren Mengen produziert werden könnte. Auch wenn es bereits Zulassungen in Singapur und den USA gibt, haben bisher nur sehr wenige Menschen kultiviertes Fleisch tatsächlich gegessen. Nur einige wenige ausgewählte Restaurants bieten es an, und das in sehr geringen Mengen.

Wann es erste Produkte in Europa geben wird, weiß auch Petra Kluger nicht. Aber sie schätzt: "Realistisch gesehen könnte es bei uns in drei bis fünf Jahren so weit sein." Und sie ergänzt: "Ich denke, kultiviertes Fleisch wird irgendwann eine weitere Möglichkeit sein, Fleisch zu essen. Es geht nicht darum, Fleisch an sich zu verdrängen. Es geht eher darum, irgendwann die Billigfleischproduktion einzuschränken. Wenn der Fleischbedarf zusätzlich durch kultiviertes Fleisch ergänzt werden kann, bekommen landwirtschaftliche Betriebe die Chance, Tierhaltung artgerecht zu gestalten." Wenn dieses Fleisch dann auch noch gesundheitsfördernde Eigenschaften hätte, umso besser. (Jasmin Altrock, 5.8.2023)