Junge Frau sitzt auf einem Stuhl beim Fenster und liest
In den vergangenen Jahren kam es zu einem Boom bei der Bildungskarenz.
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Drei Monate durch Südostasien reisen, aber nicht als Backpacker nach dem Uni-Abschluss, sondern mitten im Berufsleben. "Ich bin seit acht Jahren im selben Job und wollte einfach mal einen Tapetenwechsel", erzählt ein 34-jähriger Marketing-Manager. Vor kurzem hat er einen Werbepsychologie-Onlinekurs absolviert – während einer ausgedehnten Auslandsreise.

Auch der 30-jährige Fabian nimmt sich gerade eine einjährige Auszeit vom Job, um seine Diplomarbeit in Architektur zu schreiben. Ob er danach wieder seine alte Stelle in einem Architekturbüro antritt, weiß er noch nicht: "Das habe ich aber auch so kommuniziert, weil mir nach dem Abschluss natürlich mehr Möglichkeiten offenstehen." In seinem Umfeld sei die Bildungskarenz für viele gerade ein Thema, um ein Studium zu beenden oder Zusatzausbildungen zu absolvieren. "Ich verstehe es aber auch, wenn Leute nach ein paar Jahren im Job eine Auszeit brauchen und sich persönlich weiterentwickeln wollen", sagt er.

Starker Anstieg

Genau das tun offenbar nicht wenige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Österreich, wie ein aktueller Bericht des Rechnungshofs (RH) kritisiert. Das Modell der Bildungskarenz wurde bereits 1998 eingeführt, zu einem Boom kam es erst in den vergangenen Jahren. Seit 2010 hat sich die Zahl der Beschäftigten in Bildungskarenz pro Jahr mehr als verdoppelt. Allein von 2019 bis 2021 gab es eine Steigerung von fast dreißig Prozent. Insgesamt waren es 2021 rund 14.000 Personen.

Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) kündigte daraufhin an, im Herbst eine "breite öffentliche Debatte" starten zu wollen. Wie genau eine Reform des Instruments aussehen könnte, ließ er aber noch offen. Die Bildungskarenz als "mit öffentlichen Mitteln finanzierte Auszeit", wie es im RH-Bericht heißt, wolle man aber künftig effektiver gestalten.

Denn genau damit werben einige Unternehmen gezielt: "Nimm dir eine bezahlte Auszeit", schreibt der Sprachreise-Anbieter Education First (EF) in einer Social-Media-Anzeige. Angebote wie diese sprechen vor allem junge Menschen an. Mit einem Anteil von über 50 Prozent in Bildungskarenz war die Gruppe der 25- bis 34-Jährigen im Jahr 2021 am stärksten vertreten.

Man habe während der Corona-Pandemie ein verstärktes Interesse von Berufstätigen bemerkt, die sich umorientieren mussten oder wollten, heißt es bei EF. "Eine neue Sprache zu lernen oder aufzufrischen öffnet viele Türen am Arbeitsmarkt", ist Viktoria Pollak, Country-Manager bei EF, überzeugt. Sie könne zwar keine genauen Zahlen nennen, sagt sie. Aber: Etwa ein Drittel der "EF Sprachreisen für Berufstätige" buchten Kundinnen und Kunden während ihrer Bildungskarenz.

Ob eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer überhaupt in Bildungskarenz gehen kann, hängt vom Unternehmen ab. Die Zustimmung des Arbeitgebers ist Voraussetzung. Während der Karenz, die zwischen zwei und zwölf Monaten dauern kann, bekommen die Beschäftigten 55 Prozent des vorherigen Nettoeinkommens vom AMS ausbezahlt. Rund 300 Millionen Euro kostete das den Staat 2021. Die Auswahl der Weiterbildung steht den Beschäftigten dabei weitgehend frei.

Zwischen den Kursen und dem aktuellen Job muss auch nicht unbedingt ein Zusammenhang bestehen. Nur jene, die dem "Hobbybereich" zugeordnet werden, sind ausgeschlossen. Die Weiterbildung soll zwar 20 Wochenstunden umfassen, davon müssen aber nur fünf Stunden in einem Kurs verbracht werden. Der Rest kann als Lernzeit verbucht werden. Würde man eine solche "Auszeit" nicht in der Bildungskarenz, sondern in der Arbeitslosigkeit verbringen, bekäme man zwar AMS-Geld in derselben Höhe ausbezahlt – nicht aber bei einem Auslandsaufenthalt.

Ungleiche Verteilung

"Ich wollte schon während meines Bachelorstudiums ein Auslandssemester machen, das ist sich aber finanziell nie ausgegangen", erzählt die heute 30-jährige Nadine. Nachdem sie einige Zeit in einer Wirtschaftsprüfungskanzlei gearbeitet hatte, entschloss sie sich vor vier Jahren, ihren Traum in Kombination mit ihrem Masterstudium zu verwirklichen. Sie beantragte Bildungskarenz. "Begeistert war mein Arbeitgeber zwar nicht, aber er hat es mir schlussendlich bewilligt", sagt sie.

Ursprünglich wollte Nadine nach Südamerika reisen, um internationale Erfahrung zu sammeln und ihre Sprachkenntnisse zu vertiefen. "Für mein Studium kamen dann aber nur Partner-Unis in Skandinavien oder Deutschland infrage. Geworden ist es schließlich Berlin, weil mir die Stadt am meisten zugesagt hat", erklärt die 30-Jährige. Vor allem persönliche Motive, wie das Nachtleben und die Freizeitmöglichkeiten in der deutschsprachigen Metropole, hätten ihre Entscheidung beeinflusst. "Aber nur Gaudi auf Staatskosten war der Aufenthalt nicht", beteuert sie.

Ob ein Kurs zum Jobprofil passe, werde aktuell kaum geprüft, kritisiert der Rechnungshof. Ebenso wenig werde kontrolliert, ob man die gelehrten Kompetenzen nicht ohnehin schon habe. Das ursprüngliche Ziel, mit neuen Qualifikationen die Chancen am Arbeitsmarkt zu verbessern, werde dadurch oft nicht erreicht, heißt es weiter in dem RH-Bericht. Bei zwei Dritteln der Karenzierten verbessert sich das Einkommen ein Jahr nach Abschluss der Bildungskarenz nicht. Zudem wird das Modell deutlich öfter von Personen genutzt, die bereits einen hohen Bildungsabschluss besitzen. Die Daten legen auch nahe, dass viele Frauen, die knapp drei Viertel des Weiterbildungsgeldes beziehen, die Bildungskarenz für die Verlängerung der Elternkarenz in Anspruch nehmen.

"Für eine richtige Berufsausbildung ist die Bildungskarenz derzeit zu kurz. Gerade Geringqualifizierte haben weniger Chancen, diese von ihrem Arbeitgeber bewilligt zu bekommen", sagt Silvia Hofbauer, Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration bei der Arbeiterkammer. Hinzu komme, dass Personen mit niedrigerer formaler Bildung weniger bildungsaffin seien, über Angebote oft nicht Bescheid wüssten. Sie plädiert daher für eine umfangreiche Beratung. Diese solle nicht nur die Möglichkeiten von Ausbildungen umfassen, sondern auch die Perspektiven danach.

"Wichtig ist, dass Menschen sich nach wie vor selbstbestimmt weiterbilden können, weil Firmen das oft vernachlässigen", sagt sie. Gerade für Frauen, die nach einer Elternkarenz wieder in den Beruf einsteigen, seien Weiterbildungen sinnvoll. Die Voraussetzung: genügend Kinderbetreuungsplätze. Das ist wiederum ein anderes Thema.(Anika Dang, 22.7.2023)