Björn Höcke auf dem Parteitag in Magdeburg.
Björn Höcke ist formal "nur" Fraktions- und Parteichef in Thüringen, gilt aber als der heimliche AfD-Chef.
IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Man kann nie vorhersagen, was bei einem AfD-Treffen alles passiert. Aber eines ist abzusehen: Wenn Björn Höcke beim am Freitag beginnenden zweiten Teil des Europatreffens in Magdeburg auftaucht, dann werden sich seine Fans wieder um ihn scharen, um Selfies und Gespräche bitten. Formal ist der 51-Jährige "nur" einer von 16 AfD-Landeschefs, nämlich jener aus Thüringen, wo er auch die Landtagsfraktion leitet.

Er sitzt nicht einmal im Bundesvorstand, doch de facto ist Höcke längst der inoffizielle Chef der Alternative für Deutschland. Das zeigte sich einmal mehr am vorigen Wochenende, als die AfD den ersten Teil ihres EU-Parteitages bestritt und die ersten 15 der 30 Listenplätze für die EU-Wahl im Juni 2024 vergab. Höcke brachte viele seiner Getreuen unter, dazu zählt auch Spitzenkandidat Maximilian Krah.

Es ist fraglich, ob die AfD an diesem Wochenende wie geplant dazu kommt, auch über das EU-Wahlprogramm abzustimmen. Die Kandidatenkür dauerte vergangenes Wochenende ausufernd lange und muss erst einmal abgeschlossen werden. Möglicherweise wird die inhaltliche Kursbestimmung auf ein weiteres Treffen Anfang 2024 verschoben.

"Die EU muss sterben"

Höcke jedenfalls hat seine Vision schon einmal zum Besten gegeben: "Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann", sagte er im Interview mit dem TV-Sender Phoenix. Das klingt anders als der Wunsch der Parteispitze nach einer "neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft".

Auf dem vormals Twitter genannten Kurznachrichtendienst X wies der Historiker Matthäus Wehowski darauf hin, dass "Sie starben, damit Deutschland lebe" die Durchhalteparole der Nazis im Kampf um Stalingrad war, und postete eine Titelseite des "Völkischen Beobachters".

Derlei Anleihen sind bei Höcke nichts Neues. Er setzt gezielt auf NS-Rhetorik, immer wieder findet man Parallelen. So bezeichnete er den ehemaligen deutschen Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) als "Volksverderber" – ein Begriff, den Hitler in "Mein Kampf" verwendete.

Dass Höcke nicht weiß, was er tut, kann man ausschließen. Er ist Lehrer für Geschichte und Sport. Bei der AfD-Gründung im Jahr 2013 war Höcke in Thüringen dabei. Dort stieg der vierfache Vater auch auf. Seit 2014 ist er Fraktions- und Landesparteichef.

Seinen Einfluss auf die gesamte Partei baute er lange Zeit im völkisch-nationalistischen und rechtsextremen "Flügel" auf, den der Verfassungsschutz 2020 als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung" einstufte. Das war damals selbst dem Bundesvorstand zu heiß, er forderte den Flügel auf, sich aufzulösen, woraufhin der seine Präsenz und Aktivitäten im Internet einstellte. Doch der Geist lebt weiter, und mittlerweile ordnet der Verfassungsschutz auch die gesamte Partei als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein, den Thüringer Landesverband als "gesichert rechtsextremistisch".

"Schutthalden der Moderne"

An seinem Weltbild lässt Höcke auch im 2018 erschienenen Gesprächsband "Nie zweimal in denselben Fluss" teilnehmen. Darin schreibt er: "Die Sehnsucht der Deutschen nach einer geschichtlichen Figur, welche einst die Wunden im Volk wieder heilt, die Zerrissenheit überwindet und die Dinge in Ordnung bringt, ist tief in unserer Seele verankert, davon bin ich überzeugt." Und es heißt darin auch: "Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen, dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt."

Es klingt wie eine Selbstempfehlung als AfD-Parteichef. Und tatsächlich fragen sich viele seit Jahren (auch in der AfD), warum Höcke denn in seinem Thüringen verharrt und nicht nach Berlin kommt, kandidiert und die Partei übernimmt.

Erklärungsversuche dafür gibt es hinter vorgehaltener Hand: Er sehe sich selbst mehr als brillanten Rhetoriker und Strippenzieher, möge aber die organisatorischen Mühen, die ein Parteivorsitz mit sich bringt, nicht. Aber auch: Er habe sich bisher nicht sicher sein können, gewählt zu werden. Denn in den vergangenen Jahren gab es auch kritische Stimmen zum "Bürgerschreck" Höcke. Diese aber sind mehr und mehr verstummt. So hat auch Co-Parteichefin Alice Weidel, die ihn einst per Parteitagsbeschluss loswerden wollte, längst Burgfrieden geschlossen. Die vergleichsweise Gemäßigten haben es nicht mehr in den Bundesvorstand geschafft.

In Thüringen Umfragesieger

Doch dass sich Höcke noch weiter mit seinen Thüringer Oppositionsämtern begnügt, gilt mittlerweile als ausgeschlossen. 2024 wird in Thüringen gewählt, da will er der erste AfD-Ministerpräsident Deutschlands werden. In einer Infratest-Dimap-Umfrage für den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) liegt die AfD mit 34 Prozent klar auf Platz eins, 13 beziehungsweise 14 Punkte vor CDU und Linkspartei. Diesen (Umfrage-)Erfolg sehen natürlich auch jene in der Partei erfreut, denen Höcke zu radikal ist.

Und dann ging beim Parteitag im Juni 2022 im sächsischen Riesa ja auch noch ein von Höcke unterstützter Antrag auf Satzungsänderung durch. Mit diesem wurde auch die Wahl einer einzelnen Person an die Parteispitze ermöglicht. Damals wurden Tino Chrupalla und Alice Weidel noch als Doppelpack gewählt. Die nächsten Vorstandswahlen stehen 2024 an, da könnte Höcke dann nach der Macht greifen. Gefragt, ob er denn kandidieren wolle, meinte er: "Sicherlich ist das eine Möglichkeit." (Birgit Baumann aus Berlin, 4.8.2023)